Arzt und Recht - OUP 03/2013
Versagen des Gelenkersatzes: Hersteller- oder Arzthaftung?
Ein Produktfehler ließe sich nicht feststellen.
Zudem habe das Landgericht zu Recht keinen Behandlungsfehler festgestellt. Der beklagte Arzt durfte das von der Streithelferin hergestellte Adapter-Keramikkopfsystem bei potenziell erhöhtem Bruchrisiko und günstigerem Abriebverhalten nach ordnungsgemäßer Patientenaufklärung entsprechend dem medizinischen Standard implantieren.
Der beklagte Arzt hafte auch nicht wegen mangelhafter Eingriffs- und Risikoaufklärung. Der Kläger sei vor der Operation über die aufklärungspflichtigen Risiken, insbesondere das Risiko eines Bruchs der Hüftprothese einschließlich des Kopfes, aufgeklärt worden:
Aus der von der Zeugin, die das Aufklärungsgespräch geführt hat, geschilderten Aufklärungspraxis dürfe darauf geschlossen werden, dass der Kläger über das Risiko eines Bruchs des Materials unterrichtet wurde. Dies gelte trotz der Tatsache, dass der Kläger vor dem Landgericht erklärt hat, der beklagte Arzt habe das Keramikmaterial als bruchfest geschildert. Die Zeugin habe bekundet, dass sie sich in den von ihr geführten Aufklärungsgesprächen an dem schriftlichen Aufklärungsbogen – der das Bruchsrisiko anführt – orientiert habe und nach der dortigen Darstellung vorgegangen sei. Dies mache eine Aufklärung des Klägers über das Bruchrisiko plausibel.
Des Weiteren vertritt das Oberlandesgericht die Auffassung, dass die Alternativen eines Keramikkopfes, insbesondere des von der Streithelferin hergestellten Adapter-Keramikkopfsystems einerseits und eines Metallkopfs andererseits, nicht aufklärungspflichtig waren. Das von der Streithelferin hergestellte Adapter-Keramikkopfsystem führe wegen des auf den Schaft gesteckten Adapters dazu, dass die Kugel eine dünnere Keramikschicht und damit gegenüber anderen Keramikkugeln und erst recht gegenüber Metallkugeln eine potenziell höhere Bruchgefahr aufweist. Bei dem lediglich 1 bis 2 Jahre vor dem streitgegenständlichen Eingriff eingeführten System konnten langfristige Untersuchungen und Studien, die die erhöhte Bruchgefahr bestätigen oder widerlegen, im Operationszeitpunkt noch nicht vorliegen. Ein Stahlkopf mit reduziertem Bruchrisiko habe demgegenüber den Nachteil, dass er den Abrieb erhöht und die Revisionsrate wegen einer Lockerung der Prothese vergrößert, was sich vor allem langfristig bemerkbar macht.
Im rechtlichen Ausgangspunkt sei die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes. Gäbe es indessen mehrere medizinisch indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, bestehe mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten, dann müsse diesem nach vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (BGH, Urteil vom 15.03.2006, Az. IV ZR 313/03 = ArztR 2006, 91).
Gemessen hieran liegen nach Auffassung des Oberlandesgerichts im Streitfall in Bezug auf das Material des Keramikkopfs keine aufklärungspflichtigen Behandlungsalternativen vor. Sowohl der Keramikkopf des von der Streithelferin hergestellten Adapter-Kopfsystems als auch ein Metallkopf wiesen ein Bruchrisiko auf, führten zum Abrieb der Kunststoff-Inlays der Pfanne und begründeten damit ein Revisionsrisiko wegen Prothesenlockerung.
Unterschiedlich sei lediglich das Ausmaß der Risiken. Während beim Keramikkopf, vor allem dem des von der Streithelferin hergestellten Systems, das Bruchrisiko höher ist, bewirkt ein Metallkopf einen höheren Abrieb und ein höheres Revisionsrisiko wegen Prothesenlockerung. Im Hinblick darauf, dass das absehbare Bruchrisiko auch bei dem von der Streithelferin hergestellten Adapter-Keramikkopfsystems gering ist, fehle es indessen an wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen. Gegen eine aufklärungspflichtige Behandlungsalternative spreche auch, dass die Entscheidung über das zu verwendende Material je nach den anatomischen Gegebenheiten des Patienten oft erst intraoperativ fallen kann. Würde man für die vorliegende Konstellation eine Aufklärungspflicht bejahen, müsste ein Arzt vorab über eine Vielzahl denkbarer Kombinationen aufklären, was den Patienten häufig überfordere und eine sachgerechte Entscheidung nicht erleichtern würde.
Schließlich sei zutreffend von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers ausgegangen worden. Einen echten Entscheidungskonflikt habe der Kläger nicht dargetan. Er habe lediglich angegeben, dass er sich bei Kenntnis des relativ hohen Bruchrisikos für Titan entschieden hätte, ohne hierfür Gründe zu nennen. Andererseits hatte er erklärt, dass er dem beklagten Arzt als Spezialisten, dem er empfohlen worden sei, vertraut habe. Seine Ehefrau habe in diesem Zusammenhang sogar bekundet, dass der beklagte Arzt damals der „Hüftpapst“ mit entsprechendem Ruf gewesen sei, der ihnen sogar Schaumstoff oder andere Dinge hätte verkaufen können. Nichts spricht daher dafür, dass der Kläger einer Erläuterung und Empfehlung des beklagten Arztes nicht gefolgt wäre und es ernsthaft erwogen hätte, sich gegen die empfohlene Maßnahme zu entscheiden.
Fazit
Die Entscheidung zeigt, dass der Arzt, auch wenn er nach den oben aufgezeigten Grundsätzen nicht für (fehlerhafte) Materialeigenschaften der Prothese haftet, sich dennoch mit diesen ausführlich auseinandersetzen muss, um eine fachgerechte Auswahlentscheidung zu treffen und insbesondere die ggf. aufklärungspflichtigen Risiken richtig zu erfassen. Auch für ein fehlerfreies Medizinprodukt gilt, dass der Arzt haftet, wenn er das Produkt falsch auswählt oder über die Produkteigenschaften und Alternativen sowie Risiken und das gebotene Verhalten nach dem Eingriff nicht ausreichend aufklärt. Im Übrigen zeigt die Entscheidung einmal mehr auf, dass eine zusätzliche handschriftliche Dokumentation auf dem Aufklärungsbogen dem insofern beweisbelasteten Arzt im Haftungsprozess Schwierigkeiten erspart. Des Weiteren wird die Bedeutung der in vielen Fällen vorliegenden, aber verkannten hypothetischen Einwilligung des Patienten verdeutlicht, die ihrerseits durch entsprechende Dokumentation in den Behandlungsunterlagen nachgewiesen werden sollte.