Arzt und Recht - OUP 11/2012
Verstoß gegen das Berufsrecht?
Rechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Karlsruhe
Einleitung
Die Tätigkeit des Arztes ist gefahrgeneigt. Die Sorge des Arztes um Wohl und Wehe seiner Patienten wird deshalb häufig dicht gefolgt von der Sorge, sich bei der ärztlichen Tätigkeit strafbar zu machen (Tötung, Körperverletzung, Schweigepflichtverletzung). Auch die zivilrechtliche Haftung ist trotz der im Regelfall eintretenden Berufshaftpflichtversicherung ein reales Risiko.
Am wenigsten präsent sind hingegen Gefahren durch Verstöße gegen das Berufsrecht. Berufsrechtliche Sanktionen werden nur selten ohne vorangegangenes Strafverfahren verhängt. Die Anzahl straf- und separater berufsrechtlicher Verfahren liegt zudem statistisch deutlich unter der Zahl zivilrechtlicher Arzthaftungsprozesse. Die im Extremfall existenzbedrohenden Konsequenzen von (wiederholten) Verstößen gegen das Berufsrecht erfordern jedoch ebenfalls eine gewisse Sensibilität des Arztes. Nicht jedes von dem Arzt als sozialadäquat empfundenes Verhalten ist auch berufsrechtlich akzeptabel. Diese erhöhten Anforderungen an das Verhalten eines Arztes sind der besonderen Vertrauenswürdigkeit geschuldet, die als wesentliche Grundlage des Arztberufes durch berufsrechtliche Regelungen geschützt werden soll.
Die folgende Darstellung wesentlicher Grundlagen des Berufsrechts und konkreter Einzelfälle aus der jüngeren Berufsrechtsprechung dient der Sensibilisierung für die oftmals verkannten berufsrechtlichen Verhaltensgrenzen.
Berufsrechtliche Grundlagen
Berufsrechtliche Verhaltensregeln ergeben sich aus der Bundesärzteordnung, den Heilberufe-Kammergesetzen der Bundesländer sowie den Berufsordnungen der Landesärztekammern. Vorrangig zu den genannten allgemeinen berufsrechtlichen Bestimmungen sind für bestimmte Tätigkeitsbereiche spezielle gesetzliche Verhaltensgebote zu beachten (Transplantationsgesetz, Transfusionsgesetz, Stammzellgesetz).
Im Mittelpunkt der berufsrechtlichen Pflichten steht der Heilauftrag des Arztes (§ 1 Abs. 2 Berufsordnung). Die berufsrechtlichen Pflichten sind jedoch nicht ausschließlich auf diesen Kernbereich beschränkt.
Die Ahndung von Verstößen gegen das Berufsrecht und die verfahrensrechtliche Ausgestaltung finden sich in den Heilberufe-Kammergesetzen der Bundesländer. Zumeist entscheiden bei den Berufsgerichten neben Juristen auch Ärzte als ehrenamtliche Richter. In der Regel sehen die Heilberufe-Kammergesetze der Bundesländer folgende Sanktionen vor:
- Verwarnung
- Verweis
- Geldbuße (z.B. § 58 Heilberufe-Kammergesetz Baden-Württemberg: bis zu 50.000,00 €)
- Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts zu Organen der Kammer auf bestimmte Dauer sowie
- Feststellung der Berufsunwürdigkeit.
Sofern die Landesärztekammer im Vorfeld des berufsgerichtlichen Verfahrens Vorermittlungen anstellt, erhält der Arzt Gelegenheit zur Stellungnahme. Das Berufsgerichtsverfahren wird durch eine Antragsschrift der Landesärztekammer eingeleitet. Es ist nicht öffentlich.
Gegen eine Entscheidung des Berufsgerichts kann der Arzt Berufung zum Berufsgerichtshof/Landesberufsgericht erheben. Gegen die Berufungsentscheidung bleibt dem Arzt dann nur noch die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.
Unter anderem die Feststellung der Berufsunwürdigkeit kann zu einer existenzgefährdenden Bedrohung werden. Die Approbationsbehörde könnte auf dieser Grundlage insbesondere bei wiederholten schwerwiegenden Verstößen gegen das Berufsrecht gemäß § 5 Abs. 2 Bundesärzteordnung die Approbation widerrufen. Gemäß § 6 Abs. 1 Bundesärzteordnung kann mit sofortiger Wirkung das Ruhen der Approbation angeordnet werden.
Während solche Extremfälle selten sind, zeigen die folgenden Beispiele berufsgerichtlicher Entscheidungen, dass das Berufsrecht kein „zahnloser Tiger“ ist, sondern durchaus von den zuständigen Stellen durchgesetzt wird.
Beispiele aus der berufsgerichtlichen Praxis
Bezirksberufsgericht für Ärzte in Reutlingen, Urteil vom 19.10.2011, Az. BGÄR 8/11
Zum Sachverhalt
Der Arzt erwarb über eine deutsche Firma 2 Combituben. Nach der Sprechstunde beschäftigte er sich mit der Gebrauchsanweisung, um sein Praxispersonal einweisen zu können. Hierbei kam er zu dem Ergebnis, dass in der deutschen Übersetzung der Gebrauchsanweisung ein gravierender Fehler enthalten ist, der dazu geführt hätte, dass Luft statt in die Lunge in den Magen gepumpt worden wäre, was gegebenenfalls zu tödlichen Folgen hätte führen können. Da er sich ärgerte, wegen dieses Fehlers unnötig viel Zeit verloren zu haben, teilte er der Firma mittels E-Mail unter Betreff „ACHTUNG: Tödlich-falsche Gebrauchsanweisung“ mit, dass die Gebrauchsanweisung „einen gravierenden und bei Befolgen tödlichen Fehler in der Benutzung“ enthalte und die Ansprechpartner den Fehler „bei aufmerksamem Lesen selbst finden“ würden. Des Weiteren schrieb er:
„Da Ihnen sicher nicht an einer Veröffentlichung dieses Fehlers gelegen ist, der Ihnen sicher erhebliche Kosten verursachen würde und ich an rechtlichen Schritten gegen Sie nicht interessiert bin, bin ich bereit gegen Zusendung von 2 Combituben … Stillschweigen zu wahren.“
Der Arzt bedauerte in der berufsgerichtlichen Verhandlung sein Fehlverhalten. Er habe aus Verärgerung und zur Entdeckung des Fehlers spontan die E-Mail geschrieben. Er habe nicht in erpresserischer Absicht gehandelt. Mit den geforderten Tuben wollte er den ehrenamtlichen DRK-Ortverein unterstützen.
Aus den Gründen
Das Berufsgericht sah in dem Verhalten einen Verstoß gegen die gewissenhafte Berufsausübung gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg und damit ein berufsunwürdiges Verhalten. Die Firma habe das Verhalten des Arztes nur als Erpressungsversuch verstehen können. Es wäre dem Arzt unbenommen und gegebenenfalls sogar als notwendig und verdienstvoll anzusehen gewesen, wenn er die Herstellerin oder Lieferantin auf den konkreten Fehler in der Gebrauchsanweisung hingewiesen und sich bei dieser Gelegenheit über seinen unnötigen Zeitaufwand beschwert hätte.
Auch wenn sich der Arzt zu der E-Mail aus einer Augenblicksverärgerung heraus habe hinreißen lassen, sei der Vorwurf eines zumindest objektiven Erpressungsversuchs so gewichtig, dass geringere Sanktionsmittel als eine Geldbuße nicht in Betracht kämen. Bei der Zumessung der Geldbuße könne jedoch berücksichtigt werden, dass der Arzt sich bisher berufsrechtlich nichts habe zuschulden kommen lassen und seinen Fehler einsehe.
Geglaubt hat das Berufsgericht dem Arzt auch, dass er sich nicht persönlich bereichern, sondern die „Früchte“ seiner E-Mail einem guten Zweck zuführen wollte. Der gute persönliche Eindruck, den der Beschuldigte in der Verhandlung hinterließ, berechtige zu der Annahme, dass es sich bei dem Fehlverhalten um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt habe.