Übersichtsarbeiten - OUP 02/2025

Weichteilverletzungen in der Alterstraumatologie
Ein Spektrum komplexer Herausforderungen

Yvonne Goldhahn, Jürgen Hauffen, Gudrun Schlewitz

Zusammenfassung:
Die erfolgreiche Behandlung von Weichteilverletzungen in der Alterstraumatologie erfordert einen individuellen, ganzheitlichen und interdisziplinären Behandlungsansatz, der die speziellen pathophysiologischen Bedingungen des älteren Menschen berücksichtigt. Präventive Maßnahmen sowie die systematische Berücksichtigung der komplexen Einflussfaktoren und eine frühzeitige Intervention sind für den Therapieerfolg von entscheidender Bedeutung zur Reduzierung der Komplikationsrisiken und prolongierten Heilungsverläufen. Nur durch die sorgfältige Beachtung der multidimensionalen Zusammenhänge zwischen körperlichen, kognitiven und sozialen Faktoren kann eine erfolgreiche Behandlung gewährleistet werden. Dieser Artikel untersucht anhand von 4 Fallbeispielen Weichteilverletzungen in der Alterstraumatologie, die häufig auftreten, langsam heilen und einer umfassenden interdisziplinären Behandlungsstrategie bedürfen. Dabei werden verschiedene Therapieansätze vorgestellt, unter besonderer Berücksichtigung der vielfältigen Einflussfaktoren. Ziel dieses Beitrages ist es, einen Überblick über die komplexe Herausforderung in der Versorgung von Weichteilverletzungen bei geriatrischen Patientinnen und Patienten zu vermitteln.

Schlüsselwörter:
Weichteilverletzungen, Einflussfaktoren, Alterstraumatologie, Alterungsprozesse, geriatrische Wundversorgung, interdisziplinäre Behandlung

Zitierweise:
Goldhahn Y, Hauffen J, Schlewitz G: Weichteilverletzungen in der Alterstraumatologie.
Ein Spektrum komplexer Herausforderungen
OUP 2025; 14: 61–66
DOI 10.53180/oup.2025.0061-0066

Summary: The successful treatment of soft tissue injuries in geriatric traumatology requires an individual, holistic, and interdisciplinary treatment approach that takes into account the specific pathophysiological conditions of older people. Preventive measures, as well as systematic consideration of the complex influencing factors and early intervention, are of decisive importance for the success of treatment in order to reduce the risk of complications and prolong the healing process. Only by carefully considering the multidimensional relationships between physical, cognitive, and social factors can successful treatment be guaranteed. This article uses 4 case studies to examine soft tissue injuries in geriatric traumatology that occur frequently, heal slowly, and require a comprehensive treatment strategy. Various treatment approaches are presented with special consideration of the many influencing factors. The aim of this article is to provide an overview of the complex challenges in the treatment of soft tissue injuries in geriatric patients.

Keywords: Soft tissue injuries, influencing factors, geriatric traumatology, ageing processes, geriatric wound care, interdisciplinary treatment

Citation: Goldhahn Y, Hauffen J, Schlewitz G: Soft tissue injuries in geriatric traumatology. A spectrum of complex challenges.
OUP 2025; 14: 61–66. DOI 10.53180/oup.2025.0061-0066

Goldhahn Y, Schlewitz G: Sektion Hand- und Plastische Chirurgie, Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Ingolstadt

Hauffen J: Sektion Septische Chirurgie, Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Klinikum Ingolstadt

Einleitung

Wie das Licht, das sich durch einen Regentropfen bricht und sich in ein faszinierendes Spektrum verschiedener Farben aufteilt, so präsentiert sich auch die Vielfalt an Einflussfaktoren auf die Behandlung von Patientinnen und Patienten in der Alterstraumatologie. Gleich den 7 unterscheidbaren Hauptfarben des Regenbogens offenbart sich dem behandelnden medizinischen Personal eine Palette verschiedener Verletzungsmuster, deren Spektrum sich aus dem Zusammenspiel verschiedener altersbedingter physiologischer Veränderungen sowie pathologischer Prozesse ergibt und die jeweils ihre eigene individuelle Herangehensweise erfordern (Abb. 1).

Die demografische Entwicklung in den industrialisierten Ländern führt zu einer stetig wachsenden Bedeutung der Alterstraumatologie. Mit zunehmendem Alter verändert sich die Beschaffenheit des menschlichen Gewebes und diese altersbedingten Veränderungen resultieren in einer besonderen Vulnerabilität für Weichteilverletzungen, die sehr häufig auftreten und deren Erscheinungsformen sich – ähnlich den ineinander übergehenden Farbnuancen eines Regenbogens – oft überlappen und gegenseitig bedingen. Die Herausforderung in der Behandlung geriatrischer Patientinnen und Patienten mit Weichteilverletzungen liegt nicht nur in der medizinischen Versorgung der unmittelbaren Verletzung, sondern auch in der Berücksichtigung der oft komplexen Begleiterkrankungen und der besonderen psychosozialen Situation. Wie jede Farbe des Regenbogens ihre eigene Wellenlänge besitzt, so erfordert auch jede/jeder geriatrische Patientin/Patient mit Weichteilverletzungen seinen individuellen, interdisziplinären Behandlungsansatz, der sowohl die medizinischen als auch die pflegerischen Aspekte in einem ganzheitlichen Konzept vereint. Die Berücksichtigung der komplexen Einflussfaktoren, welche oben grafisch dargestellt werden, ist für die Therapieentscheidung, den Behandlungserfolg sowie die Prognose im geriatrischen Kontext von entscheidender Bedeutung [1].

Der Alterungsprozess führt zu einer grundlegenden strukturellen Veränderung des Gewebes im Körper und spielt eine fundamentale Rolle bei der Entstehung und Heilung von Weichteilverletzungen. Die Kollagenproduktion nimmt im Alter kontinuierlich ab, während sich gleichzeitig die Qualität des vorhandenen Kollagens verschlechtert. Die Elastizität der Haut verringert sich durch die fortschreitende Degradation elastischer Fasern, die Epidermis durchläuft einen Atrophieprozess und die Aktivität der Talgdrüsen nimmt signifikant ab. Insgesamt verläuft die Zellproliferation langsamer. Dies führt zur umgangssprachlichen Pergamenthaut. Die Durchblutung der Haut ist reduziert, die Barrierefunktion beeinträchtigt und die Immunantwort eingeschränkt, was insgesamt zu einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit bei bereits geringer mechanischer Einwirkung zu ausgedehnten Läsionen und verzögerter Wundheilung führt [2].

Hautablederung

Ablederungsverletzungen entstehen durch tangential einwirkende Gewalt, bei der Scherkräfte die oberen Hautschichten von den darunterliegenden Muskelfaszien und/oder dem Subcutangewebe trennen. Man unterscheidet zwischen offenen Ablederungen mit Hauteinrissen und starken Blutungen, geschlossenen Ablederungen ohne Kontinuitätsunterbrechung der Haut mit Ausbildung eines Weichteilhämatoms und Taschenbildung, sowie speziellen Formen wie z.B. Skalpierungsverletzungen der beharrten Kopfhaut und Avulsionsverletzungen der Finger. Die Hauptkomplikationen sind eine unzureichende Durchblutung des Hautlappens mit resultierender Gefahr für Nekrosen, Infektionen und verzögerter Wundheilung. Die Behandlung richtet sich nach dem Ausmaß der Verletzung, welche oftmals unterschätzt werden (Abb. 2).

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