Übersichtsarbeiten - OUP 04/2021

Worauf gilt es, bei der oralen medikamentösen Schmerztherapie muskuloskelettaler Schmerzen zu achten?

Bei insgesamt positiver Nutzen-Risiko-Bilanz hemmen Ibuprofen und weitere NSAR die antithrombotische Wirkung von Acetylsalicylsäure [8].

Metamizol

Das Pyrazololderivat Metamizol wurde 1922 in Deutschland eingeführt und zählt zu den am häufigsten verschriebenen Schmerzmitteln überhaupt. Beim perioperativen Einsatz von Nicht-Opioid Analgetika (NOPA) geht hierzulande beispielsweise hervor, dass Metamizol zu 61 % eingesetzt wird, weit vor Diclofenac (13 %), Ibuprofen (12 %), Paracetamol (11 %) oder Etoricoxib (3 %) [14]. Ähnlich häufig vorordnet wird es auch in der Palliativmedizin und in Pflegeheimen. Metamizol hat keine periphere antiphlogistische Wirkung, weshalb es im orthopädischen-unfallchirurgischen Bereich nicht als Mittel der ersten Wahl gilt. Der Wirkmechanismus von Metamizol weicht von dem der NSAR ab. Somit entfallen auch die typischen Nebenwirkungen der COX-Inhibitoren [9].

Weil das Präparat bis 1987 in Deutschland rezeptfrei erhältlich war, wurde es nicht zuletzt aufgrund der unerwünschten Nebenwirkungen auf das Blutbildungssystem, insbesondere des Agranulozytoserisikos, rezeptpflichtig. Risikoeinschätzung und Bewertung variieren indes von Land zu Land beträchtlich. Während Metamizol in angloamerikanischen Ländern (England, Kanada, USA) und dem skandinavischen Raum (Finnland, Dänemark, Schweden) gar nicht auf dem Markt ist, ist es in Spanien, Russland, Brasilien, Mexiko und Israel frei verkäuflich [14].

Metamizol ist für den Gastrointestinaltrakt besser verträglich als die NSAR und hat im Vergleich zu Paracetamol und den NSAR eine große therapeutische Breite. Anaphylaktische Reaktionen sind mit einer Häufigkeit von 1:5000 beschrieben worden, insbesondere bei Patienten mit Analgetikaasthma, Analgetika-Intoleranz und Urtikaria vom Angioödem-Typ. Vor allem bei zügiger i.v.-Applikation kann es zu isolierten, möglicherweise dosisabhängigen kritischen Hypotensionen kommen. Bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse ergaben sich für Patienten unter Metamizol kein erhöhtes Risiko [3].Die i.v.-Applikation scheint auch die gefürchtete Komplikation einer Agranulozytose zu fördern.

Die Inzidenz ist für Deutschland umstritten. Nach einer aktuellen Erhebung wird jedoch eine weit höhere Rate als früher für die Neutropenie angenommen, nämlich 1:1602 [14], wobei die Angaben in der Literatur erheblich variieren, was bei sehr seltenen Ereignissen nicht verwunderlich ist.

Diese seltene, aber andererseits sehr ernste Komplikationen mit bekannten forensischen Problemen hat dazu geführt, dass ein interdisziplinäres Expertengremium Empfehlungen für den Einsatz in der Praxis publizierte [14]. Mögliche Symptome einer Agranulozytose wie Fieber, Abgeschlagenheit, Angina tonsillaris können sehr unspezifisch und schwierig vom grippalen Infekt abzugrenzen sein. Spezifischer sind die Symptom-Trias Fieber, Halsschmerzen und entzündliche Schleimhautläsionen bis hin zu einer systemischen Infektion mit Pneumonie und Sepsis.

Treten derartige Hinweise bei der Therapie mit Metamizol auf, sollte umgehend die Medikation beendet werden und ein Differenzialblutbild angefertigt werden. Besondere Bedeutung kommt der Patientenaufklärung zu, die das Nutzen-Risiko-Verhältnis als auch die Mitteilung möglicher Symptome beinhalten sollte. Bei Entlassungsbriefen aus Kliniken sollte der Hausarzt über die Metamizolmedikation informiert werden. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die Symptomatik einer Agranulozytose noch auftreten kann, wenn die Metamizoleinnahme bereits einige Tage zurück liegt und der Patient die Substanz nicht mehr einnimmt. Nach 10 Tagen ist allerdings eine Risikoerhöhung nicht mehr zu erwarten [14].

Die Zulassung des Wirkstoffs Metamizol ist gemessen am häufigen Einsatz relativ zurückhaltend formuliert, und zwar für die Behandlung akuter und chronischer starker Schmerzen, wenn andere Analgetika kontraindiziert sind [1]. In der Orthopädie/Unfallchirurgie stellt sich die Indikation von Metamizol weniger bei aktivierten Arthrosen und rheumatischen Entzündungen dar als viel mehr bei Kopfschmerzen und Kreuzschmerzen im Falle von Kontraindikation beziehungsweise Unverträglichkeit gegenüber anderen Nicht-Opioid Analgetika, zum Beispiel bei der Gefahr von nephrologischen, gastrointestinalen oder kardialen Nebenwirkungen [12].

Neuerdings wird berichtet, dass aufgrund einer Interaktion von Metamizol mit Acetylsalicylsäure eine Abnahme der Thrombozytenaggregation beobachtet wurde, was gerade bei Patienten mit einer Dauertherapie mit NSAR beachtet werden sollte [11].

Zentrale Muskelrelaxantien

Für die Schmerztherapie in Deutschland sind zentrale Muskelrelaxantien wie Methocarbamol, Orphenadrin, Tizanidin und Pridinolmesilat mit zentraldämpfender Wirkung zugelassen. Die Senkung des Muskeltonus soll verspannte Skelettmuskulatur zum Entspannen bringen [6], ebenso wie Diazepam 5 mg [16].

Neue Übersichtsarbeiten konnten keine anhaltende Wirksamkeit von Muskelrelaxantien beim Kreuzschmerz nachweisen. Die früher häufig eingesetzten Muskelrelaxantien, z.B. bei Muskelverspannungen im Schulter-Nacken-Bereich haben infolge erheblicher Nebenwirkungen erhebliche Indikationseinschränkungen bis zur Beendigung der Zulassung erfahren. Neben den gastrointestinalen Nebenwirkungen ggf. mit Beeinträchtigung der Leberfunktion und den zentralnervösen Nebenwirkungen wie Benommenheit, Sedierung und Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit kommen auch allergische Reaktionen hinzu [6].

Bei Benzodiazepinen kommt die Gefahr der Abhängigkeit hinzu [23]. Schwerwiegende Hautreaktionen unter der Einnahme von Tetrazepam führten zum Ruhen der Zulassung, tolperisonhaltige Produkte wurden ebenfalls aufgrund von schweren Überempfindlichkeits -und Hautreaktionen auf die symptomatische Behandlung von Spastizität nach einem Schlaganfall eingeschränkt [19].

Flupirtin wurde aufgrund erhöhter Leberwerte bis hin zum Leberversagen von der Firma selbst aus dem Handel genommen, nachdem die europäische Arzneimittelagentur (EMA) 2013 ein Risikobewertungsverfahren einleitete mit nachfolgender erheblicher Einschränkung der Anwendung.

Zentrale Muskelrelaxantien sind also nicht Schmerzmittel erster Wahl bei muskuloskelettalen Beschwerden und bedürfen einer strengen Nutzen-Schaden-Abwägung.

Opioide

Aufgrund des Nebenwirkungspotenzials bzw. der Kontraindikationen der Nicht-Opioid-Analgetika (NOPA), zu denen Paracetamol, Metamizol und die NSAR zählen, stellen die Opioide eine mögliche alternative Therapieoption dar. Allerdings müssen auch bei ihnen die Nebenwirkungen berücksichtigt werden, die sich anders als bei den NSAR darstellen. Gerade angesichts der nordamerikanischen „Opioid-Krise“ beziehungsweise „Opioid-Epidemie“ in den letzten 20 Jahren (2017 ca. 18.000 Tote in Zusammenhang mit verschriebenen Opioiden, entspricht ca. 50 Tote pro Tag) ist die Diskussion zum Abhängigkeitspotenzial dieser Präparate in den Vordergrund getreten (Rheuma, Nummer 20)I25I. Eine ähnliche Entwicklung wie in den USA ist in Deutschland aufgrund der restriktiveren Regelungen im Betäubungsmittelgesetz nicht eingetreten bzw. zu erwarten. Nach dem Arzneimittelverordnungsreport 2019 ist in Deutschland die Menge an „Defined Daily Dosages“ (DDD) von Opioid-Analgetika von 2009–2016 langsam von 379 auf 421 Millionen DDD gestiegen und blieb 2017 mit 423 Millionen DDD und 2018 mit 422 Millionen DDD konstant. Auch das Verhältnis von schwachen und starken Opioiden ist mit 60 zu 40 % konstant [5].

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