Übersichtsarbeiten - OUP 10/2016

Zellfreie Implantate zur Behandlung von fokalen Knorpelschäden des Kniegelenks
Indikation, Technik und ErgebnisseIndications, techniques and results

Karl F. Schüttler1, Philip P. Roessler2, Steffen Ruchholtz1, Turgay Efe3

Zusammenfassung: Zusammenfassend stellen die zellfreien Knorpelverfahren eine auch zukünftig interessante Therapieoption dar. Unter dem zunehmenden Kostendruck im Gesundheitssystem, der mit der ACI verbundenen Notwendigkeit zum zweizeitigen Vorgehen und dem unvermeidbaren Entnahmedefekt, könnten die zellfreien Verfahren eine sinnvolle Alternative zur ACI darstellen. Voraussetzung hierfür wäre der erhoffte Nachweis, dass auch größere Defekte als mit der Mikrofrakturierung mit langfristig guten Ergebnissen versorgt werden können, da nur so die im Vergleich zur Mikrofrakturierung längere OP-Zeit und die höheren Kosten der Augmentationen oder der zellfreien Verfahren gerechtfertigt würden.

Schlüsselwörter: Zellfrei, zellfreies Implantat, Knorpelschaden, Knie, Kniegelenk

Zitierweise
Schüttler KF, Roessler PP, Ruchholtz S, Efe T: Zellfreie Implantate zur Behandlung von fokalen Knorpelschäden des Kniegelenks.
Indikation, Technik und Ergebnisse.
OUP 2016; 10: 598–602 DOI 10.3238/oup.2016.0598–0602

Summary: Cell-free cartilage repair techniques are and will continue to be an interesting option in the treatment of focal cartilage defects. Taking the increasing economic cost pressure within the public health system as well as the fact that ACIs are always two-stage-procedures with the possibility for biopsy related morbidity into account, cell-free cartilage repair techniques might become a potential alternative to the ACI procedure. But to become a real alternative to the ACI, the hope that larger defects can be treated with satisfying long term results, still remains to be proven. Especially as the higher costs and longer OR times for these cell free implants when compared to the microfracture technique need to be justified.

Keywords: cell-free, cell-free implant, cartilage defect, knee,
knee joint

Citation
Schüttler KF, Roessler PP, Ruchholtz S, Efe T: Cell-free implants in the treatment of focal cartilage defects of the knee joint. Indications, techniques and results.
OUP 2016; 10: 598–602 DOI 10.3238/oup.2016.0598–0602

Einleitung

Die Behandlung von Knorpeldefekten hat seit den anfänglichen Konzepten wie der Pridie-Bohrung [29] oder der Mikrofrakturierung von Steadman [40, 41] und später der revolutionären autologen Chondrozytenimplantation (ACI) von Brittberg [6] gerade in den letzen Jahren eine Vielzahl an Neuerungen und Innovationen erfahren. Ein Therapieansatz, der auf Grund vieler Vorteile besonderes Interesse verdient, ist der Einsatz zellfreier, einzeitiger Verfahren.

Durch die EU-Verordnung 1394/2007 aus dem Jahr 2007 und der damit verbundenen Novellierung des deutschen Arzneimittel- und Transplantationsgesetzes unterliegen unter ärztlicher Aufsicht entnommene Gewebe und Zellen und deren Weiterverarbeitung zur Anwendung am Patienten dem Arzneimittelgesetz (AMG) und müssen somit die gleichen Anforderung wie jedes andere „Medikament“ erfüllen [1]. Dies hat dazu geführt, dass mehrere Unternehmen ihre Verfahren/Produkte zur ACI vom Markt nehmen mussten, da die deutlich gestiegenen Anforderungen auf Grundlage des AMG nicht mehr erfüllt werden konnten. Zusätzlich spielen auch gesundheitsökonomische Überlegungen eine Rolle hinter dem steigenden Interesse an zellfreien Knorpelersatzverfahren. So haben diese Zwänge die entscheidenden Frage aufgeworfen, was tatsächlich benötigt wird, um eine Knorpelregeneration zu erzielen, und ob wirklich die kostenintensiven, zweizeitigen zellbasierten Verfahren der alleinige Schlüssel zum Erfolg sind.

Das ideale Verfahren zur Behandlung von fokalen Knorpeldefekten wäre also ein kostengünstiges, einzeitiges Verfahren, welches direkt und jederzeit verfügbar wäre („off the shelf“), ohne die vorherige Entnahme von vitalem Knorpelgewebe und der damit verbundenen Entnahmemorbidität auskäme und die Regeneration von biomechanisch belastbarem hyalinen Knorpel ermöglicht.

Biologische Grundlagen

William Hunter beschrieb bereits 1743 das fehlende endogene Heilungspotenzial des Gelenkknorpels [17]. Dieses fehlende Heilungspotenzial beruht, wie wir heute wissen, im Wesentlichen auf den anatomischen Besonderheiten des Knorpels, mit seinen lakunär angeordneten Zellen, welche in Hinsicht auf Proliferation im Vergleich mit anderen Geweben relativ geringe Aktivitäten aufweisen und der fehlenden Gefäßversorgung, welche die Rekrutierung von Entzündungszellen und mesenchymalen Stammzellen limitiert [8, 21, 23]. Somit sind den „normalen“ Vorgängen der Geweberegeneration und Wundheilung enge Grenzen gesetzt.

Auf die Beseitigung dieser beiden inhärenten Nachteile des Knorpels zielten die anfänglichen Therapien von Pridie und Steadman ab [29, 40]. Pridie und Steadman ermöglichten durch die Bohrung bzw. Mikrofrakturierung den Einstrom von mesenchymalen Stammzellen in den Defekt. Aufgrund des komplexen anatomisch-biomechanischen Aufbaus des hyalinen Gelenkknorpels zeigte das nach Mikrofrakturierung entstehende Regeneratgewebe jedoch keine suffiziente Belastbarkeit mit dem bekannten Problem der schlechten Langzeitergebnisse insbesondere bei größeren Läsionen über 2,5 cm2 [19].

Aufgrund dieser Probleme versuchte später Brittberg durch die Implantation von reifen Chondrozyten ein Regeneratgewebe zu generieren, welches anatomisch und biomechanisch näher am hyalinen Gelenkknorpel ist [6]. Neben den anfänglichen Problemen wie der Notwendigkeit zur Entnahme eines periostalen Lappens mit verbundener Entnahme-Morbidität und der möglichen Hypertrophie des Periostlappens, welche durch die neueren Generationen wie die matrixassoziierte autologe Chondrozytenimplantation (MACI) gelöst werden konnten, bleibt die Tatsache, dass es sich durch die notwendige Entnahme und Vermehrung der Knorpelzellen immer um ein zweizweitiges Verfahren handelt und immer mit einem Hebedefekt am gesunden Gelenkknorpel einhergeht [25].

Aktuelle Arbeiten mit mesenchymalen Stammzellen und biologischen Augmentationen haben zu einem besseren Verständnis der notwenigen Faktoren für eine suffiziente Geweberegeneration geführt [42]. So konnte gezeigt werden, dass die Funktion der mesenchymalen Stammzellen sich nicht in Proliferation und anschließender Differenzierung in den für das zu regenerierende Gewebe notwenigen Zelltyp erschöpft, sondern auch eine Vielzahl an regulatorischen, anti-inflammatorischen und sekretorischen Funktionen im Rahmen der Geweberegeneration von diesen Zellen ausgeführt werden [7, 42]. Natürlich ist auch mit diesen neuen Verfahren zur Regeneration des Knorpels schlussendlich die Anwesenheit von vitalen Chondrozyten in der typischen extrazellulären Matrix des hyalinen Knorpels erforderlich. Jedoch kann zunehmend in Frage gestellt werden, ob die Implantation von Chondrozyten nach Expansion in vitro der Königsweg zum Erreichen dieses Ziels ist.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5