Übersichtsarbeiten - OUP 02/2022
Akute und chronische Sprengungen des AkromioklavikulargelenksWie kommen wir zu guten Ergebnissen?
Malte Holschen, Yacine Ameziane, Kai-Axel Witt, Jörn Steinbeck
Zusammenfassung:
Verletzungen des Schultereckgelenkes sind häufig und treten meist im Rahmen von Sportverletzungen auf. Multiple Versorgungsoptionen stehen für die operative Versorgung höhergradiger Verletzungen des Schultereckgelenkes zur Verfügung. Zunehmend erfolgt die Stabilisierung minimal-invasiv durch den Einsatz von Faden-Button-Systemen. Neben dem geringeren Operationstrauma bestehen bei dieser arthroskopisch assistierten Technik simultane Behandlungsmöglichkeiten von Begleitverletzungen des Glenohumeralgelenkes.
Neben der potenziellen Gefahr des Ausreißens der Implantate, besteht das Risiko eines sekundären Korrekturverlustes. Chronische Verletzungen des AC-Gelenkes sollten neben der Stabilisierung mittels Faden-Button-System biologisch durch ein autologes oder allogenes Sehnengraft augmentiert werden.
Schlüsselwörter:
Schultereckgelenk, AC-Gelenk, Faden-Button-System, glenohumerale Begleitpathologie,
Sportverletzung, Schulterarthroskopie, arthroskopische Stabilisierung
Zitierweise:
Holschen M, Ameziane Y, Witt K-A, Steinbeck J: Akute und chronische Sprengungen des
Akromioklavikulargelenks. Wie kommen wir zu guten Ergebnissen?
OUP 2022; 11 058–062
DOI 10.53180/oup.2022.0058-0062
Summary: Dislocations of the acromioclavicular joint are common sports injuries. Numerous surgical techniques for AC-joint stabilization have been described. Minimally-invasive techniques using suture-button-systems are currently gaining relevance. Besides a reduced surgical invasiveness, the arthroscopically-assisted AC-joint stabilization offers the opportunity to treat concomitant lesions of the glenohumeral joint.
Besides an implant failure due to dislocation, there is a risk of secondary loss of correction of the AC-joint. Chronic dislocations of the AC-joint need to be stabilized by a suture-button-system as well as a biological augmentation by a tendon allograft or autograft.
Keywords: AC-joint, acromioclavicular joint, suture-button-system, concomitant glenohumeral pathology, sports injury, shoulder arthroscopy, arthroscopic stabilization
Citation: Holschen M, Ameziane Y, Witt K-A, Steinbeck J: Acute and chronic dislocations of the acromioclavicular joint. How do we achieve good results?
OUP 2022; 11: 058–062. DOI 10.53180/oup.2022.0058-0062
Orthopädische Praxisklinik (OPPK), Münster
Einleitung
Verletzungen des Acromioclaviculargelenks (ACG) sind häufig. In der Normalbevölkerung ergibt sich eine kumulative Inzidenz von 8,9–18 Fällen/100.000 Einwohnern [1]. Die Schäden an diesem kleinen Gelenk treten oft im Rahmen von Sportunfällen auf und gewinnen durch Kontaktsportarten an Bedeutung [2, 3].
Der Verletzungsmechanismus beruht meist auf einem Sturz auf den adduzierten Arm oder auf ein direktes Anpralltrauma des ACG. Hierdurch kommt es zu Zerrungen oder Zerreißungen des coracoclaviculären (CC) und des acromiclaviculären (AC) Bandapparates mit unterschiedlich starken Ausprägungsformen. Die Bandbreite reicht von der einfachen Distorsion bis zur kompletten Kontinuitätsunterbrechung von Acromion und lateraler Klavikula in der Frontal- und der Transversalebene.
Bei höhergradigen Verletzungen der stabilisierenden Strukturen kommt es zum Absinken der Scapula gegenüber der lateralen Clavikula. Diese kann durch Druck von kranial wieder an das Acromion angenähert werden (sog. Klaviertastenphänomen). Das Klaviertastenphänomen kann auch indirekt durch Reposition der Scapula mittels Kranialverschiebung des Humerus festgestellt werden. Zusätzlich zur vertikalen Instabilität kann eine horizontale Instabilität mit vermehrter Verschiebbarkeit des lateralen Clavikulaendes nach dorsal bestehen.
Die Stabilisierung des Acromioclaviculargelenkes (ACG) ist aus schulterchirurgischer und traumatologischer Sicht eines der umstrittensten Themenfelder. Es wird nicht nur diskutiert welches Operationsverfahren am ehesten die Integrität des ACG möglichst wenig invasiv wiederherzustellen vermag, sondern auch, ab welchem Schweregrad ACG Sprengungen überhaupt operiert werden müssen [4, 5, 6]. Bislang gibt es keinen einheitlichen Zeitraum, der definiert ab wann die akute ACG Sprengung zu einer chronischen ACG Sprengung wird [7].
In Deutschland werden 2 Konzepte zur Stabilisierung der akuten ACG-Verletzung bevorzugt: Neben der Hakenplatte werden zunehmend Faden-Button-Systeme (FBS) und Knochenanker verschiedener Hersteller minimal-invasiv eingesetzt [8–10]. Diese Verfahren zielen auf eine Wiederherstellung der coracoclavikulären (CC) Distanz ab, um den nativen Bandapparat möglichst anatomisch vernarben zu lassen [11–12]. Im Zusammenhang mit Faden-Button-Systemen rücken zunehmend auch ergänzende Stabilisierungstechniken für den AC-Bandapparat in den Vordergrund, um die horizontale Instabilität der lateralen Clavicula zu adressieren.
Egal welches Operationsverfahren eingesetzt wird, besteht das Risiko einer Rezidivinstabilität die den CC-Bandapparat (vertikal) und den AC-Bandapparat (horizontal) betreffen kann. Ein gewisser Korrekturverlust nach ACG-Stabilisierung ist keine Seltenheit und stellt eher ein kosmetisches als ein funktionelles Problem dar.
Radiologische Diagnostik
Die Klassifikation der Verletzung erfolgt anhand nativradiologischer anteroposteriorer bilateraler Zanca-Aufnahmen ohne Gewichtsbelastung, um verfälschte Ergebnisse aufgrund einer erhöhten Muskelspannung zu vermeiden (Abb. 1). Die Rockwood-Klassifikation [13] beschreibt anhand der nativradiologischen Diagnostik in der anteroposterioren Ebene den Schweregrad der Verletzung anhand von 6 Typen:
- Typ I = Zerrung der acromioclavikulären Bänder
- Typ II = Ruptur der acromioclavikulären Bänder und Zerrung der coracoclavikulären Bänder
- Typ III = Ruptur der acromioclavikulären und coracococlavikulären Bänder
- Typ IV = Bidirektionale Instabilität mit Dislokation nach dorsal
- Typ V = Ausgeprägte vertikale und horizontale Instabilität durch Riss der deltotrapezoidalen Faszie
- Typ VI = Luxation der lateralen Clavikula unter den Processus coracoideus
Ergänzend zu der Panoramaaufnahme sollte ein Nachweis einer horizontalen Instabilität anhand einer Alexander-Aufnahme erbracht werden. Auch diese sollte im Seitenvergleich durchgeführt werden, um eine physiologische horizontale Laxizität auszuschließen. Die Alexander-Aufnahme ähnelt einer klassischen Y-Aufnahme mit ergänzender maximaler Horizontaladduktion des Armes, während der Zentralstrahl die Scapula tangential trifft [14]. Bei einer posterioren Instabilität schiebt sich das Acromion unter das laterale Claviculaende. Um eine idiopathische posteriore Laxizität auszuschließen, sollte auch diese Aufnahmetechnik im Seitenvergleich erfolgen [15].
Therapieoptionen
Ein Großteil der AC-Gelenksverletzungen kann konservativ behandelt werden. Hierzu zählen vor allem Rockwood I- und II-Verletzungen und wenig symptomatische Typ III-Verletzungen. Initial wird die betroffene Seite bei der konservativen Therapie in einem Gilchristverband für 14 Tage ruhiggestellt. Antiphlogistika und Kryotherapie lindern die Schmerzsymptomatik und reduzieren die Schwellung. Für 4 weitere Wochen sind größere Belastungen durch das Tragen schwerer Gegenstände und Überkopfarbeiten zu vermeiden. Die krankengymnastische Übungsbehandlung sollte auf die Wiederherstellung des scapulothorakalen Rhythmus abzielen. Anschließend ist ein zunehmender beschwerdeadaptierter Belastungsaufbau möglich.
Die Rockwood-Typen IV und V erfordern oft eine operative Stabilisierung, um die Integrität des ACG und die Funktion des Schultergürtels wiederherzustellen. Die Therapie der Typ III-Verletzung wird kontrovers diskutiert. Je nach Beschwerdegrad und funktionellem Anspruch kann auch für diese Verletzungen eine operative Stabilisierung in Erwägung gezogen werden [6]. Für die operative Stabilisierung des ACG stehen diverse offene und arthroskopische Verfahren zur Verfügung. Die arthroskopischen Verfahren gewinnen zunehmend an Bedeutung, wenngleich insbesondere die Hakenplatte eine weiterhin häufig genutzte und zuverlässige Therapiealternative darstellt [16].
Bei den arthroskopischen Verfahren handelt es sich vor allem um Faden-Button-Systeme (FBS), die über Bohrkanäle durch die Clavicula und das Coracoid die verletzten coracoclaviculären Bänder über kleine Metallplättchen und reißfeste Kunststofffäden augmentieren und die native CC-Distanz wiederherstellen [11]. Durch diese interne Stabilisierung kommt es zu einer Vernarbung des coracoclaviculären Bandapparates [9]. Diese Vernarbung kann jedoch nur im Falle einer akuten Verletzung stattfinden, weswegen bei chronischen Verletzungen zusätzliche autologe oder allogene Transplantate zur biologischen Augmentation erforderlich sind [11]. Ab wann eine AC-Gelenksverletzung als chronisch gilt, ist ebenfalls umstritten [7]. Im eigenen Vorgehen gelten Verletzungen, die länger als 3 Wochen zurückliegen als chronisch.
Versorgung akuter AC-Gelenksprengungen mittels arthroskopisch assistiertem knotenlosem Faden-Button-System (Low-profile AC-System, Arthrex, Naples, Florida, USA)
Die Operation erfolgt in Allgemeinanästhesie in Beach-Chair-Lagerung. Zunächst wird eine 3–5 cm lange querverlaufende Inzision über der lateralen Clavicula kranial des Coracoids angelegt. Nach arthroskopischem Ausschluss von glenohumeralen Begleitpathologien über das posteriore Portal wird die Optik über ein anterolaterales Portal durch das Rotatorenintervall hindurch eingeführt, während die weiteren Arbeitsschritte über ein anteriores Portal erfolgen. Die Darstellung der Coracoidunterfläche und der Coracoidbasis erfolgt mit einer Radiofrequenzsonde. Mit Hilfe eines Zielgerätes und des Bildwandlers werden bikortikale 3 mm-Bohrungen durch Clavicula und Coracoid angelegt. Die erste Corticalis der Clavicula wird nachfolgend mit einem 5,1 mm-Kopfraumfräser überbohrt, damit das Implantat in der Clavicula zum Liegen kommen kann. Über den kanülierten 3 mm-Bohrer wird ein Faden durch Clavicula und Coracoid hindurchgezogen und über das anteriore Portal ausgeleitet. Nach dem Entfernen des Bohrers wird das Implantat mit 2 FiberTapes (Arthrex, Naples, Florida, USA) durch Clavicula und Coracoid antegrad aus dem anterioren Portal herausgezogen, um ein Metallplättchen (Dog-Bone Button, Arthrex Naples, Florida, USA) mit Fadenösen um das Implantat herumzulegen. Nun wird das Implantat retrograd wieder aus der Clavicula gezogen, während der Button mit einer Fasszange unter arthroskopischer Sicht unter das Coracoid geführt wird. Supraclaviculär wird nun durch Anspannen des Flaschenzugsystems der Button in das Sackloch in der Clavicula eingezogen. Nach Reposition des ACG durch Kranialisieren der Scapula wird das FBS zunächst manuell angespannt bevor über ein Spanngerät die Fadenspannung pro Tape auf etwa 50 Nm erhöht wird (Abb. 2). Dieses Anspannen erfolgt am besten unter Bildwandlerkontrolle, um eine Überspannung zu vermeiden.
Arthroskopische ACG-Stabilisierung mit Faden-Button-System und biologischer Augmentation
Da in der chronischen Situation die ACG-Instabilität aufgrund von Materialmigration- oder Ermüdung nicht alleine mit einem synthetischen FBS versorgt werden kann, muss eine zusätzliche biologische Augmentation der CC-Bänder und ggf. auch der AC-Bänder erfolgen. Für den Bandersatz eignet sich die autologe Gracilissehne ideal, weil sie in der Regel ausreichend lang und dick ist und komplikationsarm entnommen werden kann. Alternativ können auch Allografts, die Semitendinosussehne oder die Sehne des Musculus palmaris longus verwendet werden.
Während die Implantation des FBS in analoger Technik zur akuten ACG-Sprengung erfolgt, bestehen verschiedene Möglichkeiten, dass Sehnengraft zu positionieren. Neben transclaviculären und transcoracoidalen Bohrungen [17] kann die Sehne auch nur um das Coracoid und die Clavicula als Schlinge herumgelegt [18] und oberhalb der Clavicula verknotet werden. Zusätzliche Bohrlöcher sorgen zwar für einen guten Knochenkontakt des Transplantates, begünstigen jedoch auch die Frakturgefahr [19–20]. Dieses gilt insbesondere für das Coracoid in der Revisionssituation.
In Ergänzung zur Augmentation des CC-Bandapparates können die Schenkel der Gracilissehne über transacromiale Bohrlöcher oder Fadenanker am Acromion befestigt werden, um den AC-Bandapparat biologisch zu augmentieren [18].
Im eigenen Vorgehen wird die arthroskopische ACG-Stabilisierung in der chronischen Situation mit einem Low-profile AC-System (Arthrex, Naples, Florida, USA) in der gleichen Technik wie für akute ACG-Sprengungen durchgeführt. Die biologische Augmentation erfolgt mit einer autologen Gracilissehne, welche um das Coracoid herumgelegt und über der Clavicula verknotet wird (Abb. 3).
Durch den Zugang zur lateralen Clavicula kann das Coracoid nun mit einem gebogenen kanülierten Intstrument (Coracoid Passer, Fa. Arthrex, Naples, USA) oder mit einem Faden in einer Overholt-Klemme von medial nach lateral umfahren werden. Anschließend wird ein Shuttledraht oder -faden nach anterior ausgeleitet. Dieser wird nun lateral des Coracoids wieder durch die Hautinzision über der Clavicula ausgeleitet. Der Faden geht somit einmal kaudal um das Coracoid herum. Der Faden wird nun zunächst belassen. Ein weiterer Faden wird von anterior nach posterior direkt unter der Clavicula vorgelegt, um später ein Transplantatende um die Clavicula herumzulegen. Nun wird das armierte Transplantat um das Coracoid herumgezogen, bevor der mediale Schenkel noch nach posterior über den zweiten Faden unter der Clavicula hindurchgezogen wird. Die Passage unter dem Coracoid wird dabei arthroskopisch kontrolliert. Zum Abschluss werden die Transplantatenden über der Clavicula verknotet und mit einem nicht-resorbierbaren Faden vernäht.
Nachbehandlung
Postoperativ werden die Patienten für 4 Wochen in einer Abduktionsorthese immobilisiert. Aktive Bewegungen mit zunehmender Belastung erfolgen ab der 5. Woche. Ab der 13. Woche sind sowohl die schmerzadaptierte Vollbelastung der Schulter, als auch die Wiederaufnahme von Kontaktsport erlaubt.
Ergebnisse
Die klinischen Ergebnisse nach arthroskopisch assistierter AC-Gelenkstabilisierung in der Akutsituation sind mit einem mittleren Constant Score von 93–95 Punkten sehr gut [21–22]. Auch chronische, mittels Sehnengraft und FBS versorgte ACG-Sprengungen können zufriedenstellend mit Constant Scores von über 92 Punkten behandelt werden [23–24].
Unabhängig von den guten klinischen Ergebnissen wurde in der Vergangenheit ein Korrekturverlust der CC-Distanz im Vergleich zur CC-Distanz der gesunden Gegenseite nachgewiesen [25–26]. Dieser potenzielle Korrekturverlust sollte präoperativ mit dem Patienten besprochen werden, um falschen Erwartungen vorzubeugen. Eine posteriore Instabilität mit Luxation oder Subluxation in der Alexander-Aufnahme ist häufig [27]. Ihr kann durch eine additive Stabilisierung des AC-Bandapparates vorgebeugt werden [28]. Bislang ist die Datenlage nicht ausreichend, um den Nutzen einer additiven Stabilisierung des AC-Bandapparates abschließend zu beurteilen.
Insbesondere fehlplatzierte Bohrkanäle können zu einem Implantatversagen und nachfolgendem Korrekturverlust führen [26, 29]. Typische Probleme, die nach arthroskopisch assistierter ACG Stabilisierung mittels FBS auftreten, sind Ossifikationen der CC-Bänder, Aufweitungen der Bohrkanäle und Migrationen der Buttons im Bereich des Coracoids und der Clavicula [27].
Fazit für die Praxis
Verletzungen des Acromioclaviculargelenkes stellen ein häufiges Schulterchirurgisches Krankheitsbild und eine typische Sportverletzung dar. Die arthroskopisch assistierte Stabilisierung mittels Faden-Button-System ist eine wenig invasive Operationsmethode, die zu sehr zufriedenstellenden klinischen Ergebnissen führt. Die additive Stabilisierung des acromiclaviculären Bandapparates kann für eine erhöhte horizontale Stabilität sorgen.
Interessenkonflikte:
Malte Holschen, Yacine Ameziane: keine angegeben.
Kai-Axel Witt, Jörn Steinbeck: Honorare für Referententätigkeiten von der Firma Arthrex, Naples, Florida, USA.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de
Korrespondenzadresse
Dr. med. Malte Holschen
Orthopädische Praxisklinik (OPPK)
Von-Vincke-Straße 14
48143 Münster
holmal@web.de