Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017

Anwendung von winkelstabilen Formplatten bei der Versorgung komplexer Gelenkfrakturen

Götz Röderer1, Florian Gebhard1

Zusammenfassung: Komplexe Gelenkfrakturen gehen meist mit einem Weichteilschaden und ggf. der Verletzungen von Binnenstrukturen einher, was die operative Therapie zu einer Herausforderung macht. Besonders drastisch kann diese im Falle der unteren Extremität sein. Anatomisch geformte, winkelstabile Platten stellen den aktuellen Standard in der Therapie dar. Die exemplarische Darstellung der Versorgung komplexer Frakturen von distalem Femur und proximaler Tibia mit winkelstabiler Formplatte zeigt, dass hiermit gute funktionelle Ergebnisse und geringe Komplikationsraten erzielt werden können. Große Bedeutung kommt den Weichteilen zu – und in deren Rahmen den minimalinvasiven Operationstechniken. Die Prinzipien der Frakturversorgung, wie z.B. die dynamische Osteosynthese gelten Implantat-unabhängig und müssen konsequent angewendet werden.

Schlüsselwörter: Fraktur, Gelenk, winkelstabile Platte

Zitierweise
Röderer G, Gebhard F: Anwendung von winkelstabilen Formplatten bei der Versorgung komplexer Gelenkfrakturen.
OUP 2017; 1: 012–018 DOI 10.3238/oup.2017.0012–0018

Summary: Complex articular fractures are frequently associated with soft tissue damage, and concomitant intraarticular injuries which makes surgical treatment a challenge. This is of most relevance in the lower limb. Anatomical shaped locking plates are the current gold standard of therapy. Exemplary description of complex fracture treatment of the distal femur and the proximal tibia using anatomical locked plating shows that good functional results and low complication rates can be achieved. Soft tissue handling is crucial, i.e. minimal invasive techniques should be applied. Principles of fracture treatment, e.g. dynamic plating count regardless of the implant and need to be applied consequently.

Keywords: fracture, joint, locking plate

Citation
Röderer G, Gebhard F: Complex articular fracture treatment using anatomical locking plates.
OUP 2017; 1: 012–018 DOI 10.3238/oup.2017.0012–0018

Einleitung

Die chirurgische Therapie komplexer Gelenkfrakturen stellt nach wie vor eine Herausforderung auch für den erfahrenen Chirurgen dar. Gründe hierfür sind u.a. die oftmals erhebliche Dislokation der Frakturfragmente mit Depression der Gelenkflächen und die häufig vorliegenden Begleitverletzungen intraartikulärer Strukturen, wie z.B. Menisken oder Kreuzbänder im Falle des Kniegelenks [1]. Erschwerend hinzu kommen kann zudem eine Schädigung der Weichteile bis hin zu einem (drohenden) Kompartmentsyndrom oder eine offene Fraktur mit Kontamination des Situs [1–3].

Im Falle der unteren Extremität sind komplexe Gelenkfrakturen eher selten. Proximale Tibiafrakturen beispielsweise machen < 1 % aller Frakturen und ca. 10 % aller Tibiafrakturen aus. Als Unfallursache beim älteren Patienten sind einfache Stürze führend, häufig vergesellschaftet mit einer osteoporotischen Knochenqualität. Beim jungen Patienten hingegen ist meist eine erhebliche physische Gewalteinwirkung die Ursache, sei es im Straßenverkehr, beim Sturz aus großer Höhe oder beim Ausüben von Risikosportarten [2, 4]. Für den klinischen Alltag hat sich die Einteilung der Gelenkfrakturen nach der AO-(Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) Klassifikation bewährt [5].

Einfache, undislozierte Gelenkfrakturen stellen die Minderheit dar und können, insbesondere beim alten Patienten und entsprechenden Komorbiditäten, theoretisch konservativ therapiert werden. Das Attribut „komplex“ schließt solche Fälle jedoch im Prinzip aus, weswegen die Aussage gilt, dass die Therapie grundsätzlich operativ erfolgt. Bei der Planung des Vorgehens müssen wichtige Punkte wie Weichteilschäden, drohendes Kompartmentsyndrom, intraartikuläre Begleitverletzungen, Alter und Aktivitätsniveau des Patienten berücksichtigt werden. Mitunter ist bei Vorliegen eines entsprechenden Weichteilschadens, bei mehrfachverletzten oder polytaumatisierten Patienten eine temporäre Versorgung mittels Fixateur externe nötig [6]. Die Therapie im Rahmen der definitiven Versorgung hat die anatomische Reposition ggf. in Verbindung mit der Rekonstruktion etwaiger intraartikulärer Begleitverletzungen sowie eine hohe Primärstabilität zum Ziel, wobei letztere eine frühzeitige funktionelle Beübung ermöglichen soll [6–9].

Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, haben sich bei der Behandlung komplexer Gelenkfrakturen winkelstabile Implantate als Standard mittlerweile durchgesetzt [2, 10]. Die winkelrigide Verbindung zwischen Platte und Schraube führt zu einer höheren in vitro Primärstabilität, was biomechanische Studien belegen [3, 11, 12]. Klinisch zeigen sich die Vorteile dieser Implantate durch geringere Raten an postoperativen Dislokationen [13]. Eine große Bedeutung hat zudem der Umgang mit den Weichteilen, worunter auch das Periost fällt. Hier haben sich minimalinvasive Operationstechniken zur Schonung der meist traumatisierten Weichteile und im Falle der knöchernen Strukturen sogenannte “biologische Osteosyntheseverfahren” etabliert [13]. Letztere bezeichnen die Tatsache, dass die Implantate mit geringerem Anpressdruck an den Knochen angebracht werden, um den lokalen bzw. periostalen Blutfluss zu schonen. Die Winkelstabilität erlaubt dieses Vorgehen, da sie im Gegensatz zur konventionellen Platte nicht auf einen Anpressdruck zwischen Implantat und Knochen zur Erzeugung von Stabilität angewiesen ist, sondern die Last über das winkelrigide Schrauben-Platten-Konstrukt leitet (Prinzip des Fixateur interne) [13]. In ihrer Formgebung sind die Implantate der Anatomie nachempfunden, um die Rekonstruktion zu erleichtern. Der vorliegende Artikel beschreibt die Behandlung komplexer Gelenkfrakturen mit einer anatomisch geformten winkelstabilen Platte, die eine polyaxiale Schraubenplatzierung erlaubt. Wenngleich sich diese Verletzungen nicht auf die untere Extremität begrenzen, werden der Übersicht halber die Prinzipien der Therapie für das distale Femur und die proximale Tibia dargelegt.

Methoden und Ergebnisse

Implantat

Exemplarisch wird im vorliegenden Artikel die Non-Contact-Bridging (NCB, Zimmer Biomet) Platte dargestellt. Vergleichbare Implantate existieren von einer Reihe anderer Hersteller. Die winkelstabile NCB-Platte steht für verschiedene Lokalisationen zur Verfügung (proximaler Humerus, distales Femur, proximale Tibia) sowie in einer speziell periprothetischen Version für das proximale und distale Femur (Abb. 1). Sie weist einen spezifischen polyaxialen (30° Kegel senkrecht zur Plattenebene) Verriegelungsmechanismus auf, der mit derselben Schraube Kompression und Winkelstabilität erzeugt (Abb. 2). Hierzu wird eine konventionelle Schraube ohne Gewinde im Kopfbereich eingebracht und dann mit einer Verschlusskappe mit unterschiedlichem Drehmoment winkelstabil verriegelt (distales Femur 6 Nm, proximale Tibia 4,5 Nm,). Dies erlaubt die Erzeugung einer interfragmentären Kompression bzw. indirekten Reposition gegen die Platte und anschließende winkelstabile Verriegelung mit derselben Schraube. Außerdem kann der Operateur beim Einbringen der Schraube ein gewisses „taktiles Feedback“ über den Halt der Schraube im Knochen erhalten, da diese zunächst ausschließlich hier und nicht in der Platte greift. Durch Einbringen der Verschlusskappe wird der Anpressdruck der Platte auf den Knochen vermindert, da hierbei die Konvexität des Schraubenkopfs unter das Niveau der Platte tritt („Non Contact“) (Abb. 2). Die anatomisch geformten Platten bestehen aus einer Titanlegierung (TiAlV), werden in unterschiedlichen Längen angeboten und können sowohl offen als auch minimalinvasiv über ein Zielbügelsystem eingebracht werden [14].

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