Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017
Anwendung von winkelstabilen Formplatten bei der Versorgung komplexer Gelenkfrakturen
Im Falle der proximalen Tibia existiert neben den unterschiedlichen Längen (132 und 212 mm bzw. 5, 7, 9 oder 13 Schaftschrauben) eine Version mit 2 und eine mit 3 proximalen Schrauben im Gelenkbereich. Der proximale Teil der Platte berücksichtigt zudem den posterioren tibialen Slope durch ein mit 6° nach dorsal abfallendes Design (Abb. 3). Für das distale Femur beträgt die Längenvarianz 167–324 mm (5–13 Schaftschrauben). Beide Platten werden in unterschiedlichen Versionen für die linke bzw. rechte Seite angeboten. Für das System stehen kanülierte und solide sowie selbstschneidende Spongiosa- und Kortikalisschrauben zur Verfügung. Zur temporären Fixation befinden sich in der Platte proximal und distal Löcher, über die Kirschner-Drähte platziert werden können. Optional kann vor Einbringen der Schrauben die Platte durch Spacer in 1–3 mm Stärke temporär auf Abstand zum Knochen bzw. Periost gebracht werden. Bei der minimalinvasiven Technik wird die Schraubenplatzierung im meta- und diaphysären Bereich durch das röntgendurchlässige Zielbügelsystem vorgegeben (Abb. 4). Nicht besetzte Schraubenlöcher können mit Verschlusskappen besetzt werden, um ein knöchernes Einwachsen zu verhindern.
Operationstechnik
Die präoperative Bildgebung umfasst die Röntgenuntersuchung des Kniegelenks in 2 Ebenen. Die Indikation zur Computertomografie ist bei komplexen, Gelenk-beteiligenden Frakturen als obligat einzustufen. Je nach Frakturmorphologie und Zustand der Weichteile kann die operative Versorgung prinzipiell offen oder minimalinvasiv durchgeführt werden. Die Lagerung des Patienten erfolgt unabhängig vom Zugang in Rückenlage mit einer Rolle unter dem Kniegelenk. Die kontralaterale Extremität sollte tiefer gelagert werden, um die intraoperative Durchleuchtung nicht zu beeinträchtigen. Alternativ kann im Fall der proximalen Tiba die Operation im elektrischen Beinhalter für die Arthroskopie erfolgen. Eine Blutsperre ist nicht zu empfehlen. Ein arthroskopisch assistiertes Vorgehen kann im Falle der proximalen Tibia bei gering dislozierten Typ-B-Frakturen zur Repositionskontrolle oder bei (Verdacht auf) Kniebinnenschaden erwogen werden. Bei komplexen Typ-C-Frakturen ist hiervon unbedingt abzuraten, da sich durch Austritt von Spülflüssigkeit das Risiko eines Kompartmentsyndroms erhöht und der Spüldruck eine weitere Fragmentdislokation verursachen kann. Alle Patienten erhalten eine einmalige intraoperative Gabe eines Cephalosporins der zweiten Generation (Zinacef 1,5 g). Die intraoperative Anwendung eines 3-D C-Bogens kann bei Vorhandensein zum Einsatz kommen, was sich bei komplexen Frakturen als hilfreich erweisen kann.
Distales Femur
Das offene Vorgehen erfolgt im Sinne einer klassischen Arthrotomie, wobei der biologische Aspekt durch eine möglichst schonende Präparation berücksichtigt werden sollte. Dies betrifft insbesondere das Periost und die Muskulatur, die lediglich stumpf vom Knochen abgehoben werden sollte. Die interfragmentäre Kompression sollte möglichst auf die Gelenkkomponente begrenzt werden, um im meta-/diaphysären Bereich die Prinzipien der dynamischen Osteosynthese mit sekundärer Heilung durch Kallusbildung einzusetzen [15]. Wenn meta-/diaphysär erforderlich, sollte eine interfragmentäre Kompression über Zugschrauben außerhalb der Platte umgesetzt werden. Bei spiralförmigen Frakturverläufen können Cerclagen wiederum unter der Platte zum Einsatz kommen, deren Anzahl auf 2 limitiert werden sollte, um eine übermäßige Strangulierung des Periosts zu vermeiden. Im Rahmen dessen können Cerclagen ggf. auch temporär angewendet werden, d.h. nach Beendigen der Osteosynthese wieder entfernt werden [16]. Die Reposition erfolgt direkt oder indirekt unter Zuhilfenahme der anatomisch geformten Platte, die in einer möglichst langen Version angewendet werden sollte, um die Rigidität des Konstrukts zu reduzieren [17].
Bei der minimalinvasiven Vorgehensweise kommt die MIPO-Technik (minimal invasive plating osteosynthesis) zum Einsatz [18]. Hierbei erfolgt die Darstellung des Gelenks über einen lateralen Zugang und die Platte wird unter die Muskulatur mit Hilfe des Zielbügels eingeschoben. Bei spiralförmigen Frakturausläufern können Cerclagen in o.g. Technik über eine gesonderte Inzision eingesetzt werden im Sinne eines „Mini-open“-Vorgehens.
Proximale Tibia
Bei komplexen Frakturen der proximalen Tibia kann beim offenen Vorgehen ein gerader oder leicht geschwungener anterolateraler Zugang angewendet werden. Zudem kann ggf. ein zusätzlicher posteriorer bzw. (postero-) medialer Zugang erforderlich sein, um hierüber zusätzliche Fragmente mit additiver Osteosynthese zu adressieren [19]. Eine Arthrotomie mit Abhängen des Außenmeniskus zur Beurteilung intraartikulärer Begleitverletzungen und Repositionskontrolle erachten die Autoren bei komplexen, Gelenk-beteiligenden Frakturen als obligat. Nach erfolgter Darstellung der Fraktur und Reposition ggf. mit begleitender Aufrichtung einer imprimierten Gelenkfläche und Defektauffüllung kann die temporäre Fixation mittels Kirschner-Drähten durchgeführt werden. Die Platte wird nach stumpfem Schaffen eines Plattenlagers zwischen M. tibialis anterior und Periost eingebracht und ausgerichtet. Die Platte sollte proximal möglichst nah an die Knorpelregion positioniert werden. Temporär wird die Platte mit Drähten in den entsprechenden Bohrungen proximal und distal fixiert. Die erste Schaftschraube sollte unter Berücksichtigung der Frakturmorphologie nahe der proximalen Metaphysenregion platziert werden, um hierdurch gegen die Platte zu reponieren. Hierzu bietet sich der Verriegelungsmechanismus des Systems gut an. Im Anschluss daran erfolgt die proximale Fixierung mit Spongiosaschrauben parallel zur Gelenkfläche und abschließend die restlichen Fixierungen im Schaftbereich der Platte. Beim Einbringen der Schrauben wird eine Bohrhülse verwendet, die verhindert, dass der 30°-Kegel senkrecht zur Plattenebene überschritten wird. Sämtliche Schrauben sollten winkelstabil verriegelt werden. Optional können im Gelenkbereich kanülierte Spongiosaschrauben über vorgebohrte Kirschnerdrähte eingebracht werden.
Für das minimalinvasive Verfahren beginnt der Zugang proximal des Tuberculum gerdii und sollte ca. 5–6 cm nach distal reichen, wobei die Schnittlänge von der Frakturart und -schwere abhängt. Es gelten dieselben Empfehlungen zur Arthrotomie wie beim offenen Vorgehen. Nach erfolgter Reposition und ggf. temporärer Fixierung wird die Platte unter Bildwandlerkontrolle eingebracht, ausgerichtet und proximal sowie distal mit Kirschner-Drähten fixiert. Die Reihenfolge der Schraubenplatzierung ist dieselbe wie beim offenen Vorgehen, wobei im Schaftbereich Stichinzisionen erfolgen und ein Trokarsystem, welches in die Platte und den Zielbügel geschraubt wird, zur Anwendung kommt (Abb. 5).