Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017

Anwendung von winkelstabilen Formplatten bei der Versorgung komplexer Gelenkfrakturen

25 Patienten mit 26 Frakturen wurden in 2 Kliniken mit dem beschriebenen Implantat und der OP-Technik versorgt [18]. Elf Patienten waren weiblich und 14 männlich. Das Alter betrug im Median 53 Jahre (19–86). Der überwiegende Anteil der behandelten Frakturen wurde als Typ C klassifiziert (73 %), was einem komplexen Frakturmuster entspricht. Insgesamt wiesen 81 % (Summe aus Typ-B- und Typ-C-Frakturen) eine Gelenkbeteiligung auf. 48 % der Patienten waren mehrfachverletzt bzw. polytraumatisiert. In 38 % lag eine offene Fraktur vor. Sämtliche Frakturen wurden minimalinvasiv versorgt oder – bei Vorliegen einer Gelenkbeteiligung, sei es partiell oder vollständig (n = 21) – erfolgte der beschriebene, limitierte laterale Zugang in Verbindung mit der MIPO. Die längste Version der Platte (13 Löcher) wurde in 11 Fällen eingesetzt, die 9-Loch-Version kam in 9 und die 5-Loch-Version in 6 Fällen zum Einsatz. Das Follow-up betrug im Durchschnitt 36,5 Monate (13–76,4). In 92 % kam es im Röntgenbild zu einer vollständigen Frakturheilung. Basierend auf den Kriterien „sichtbarer Kallus in 2 Ebenen und schmerzfreie Vollbelastung“ waren alle Frakturen zum Zeitpunkt des letzten Follow-up geheilt (Abb. 6). Die Beweglichkeit des betroffenen Kniegelenks betrug 117° (70–140), was 90 % der Gegenseite entsprach. Das Ergebnis wurde zudem mit dem HSS- (Hospital for Special Surgery) Score bewertet. Dieser Score vergibt maximal 100 Punkte und fragt die Kriterien Schmerz, Funktion, Instabilität, Kraft, Flexionskontraktur und Beweglichkeit ab [20]. Die Graduierung umfasst die Kategorien exzellent (85–100 Punkte), gut (70–81 Punkte), befriedigend (60–69 Punkte) und ungenügend (< 60 Punkte). Im Median betrug der Score 79 Punkte (32–99), worunter 12 „exzellente“ und 7 „gute“ Ergebnisse waren. Die Revisionsrate betrug 19 % (n = 2 non-union, n = 1 tiefer Infekt bei gleichzeitigem Kompartmentsyndrom, n = 1 Schraubenperforation nach intraartikulär, n = 1 lokale Schraubenirritation). Ein Implantatbruch oder eine Schraubenlockerung trat nicht auf. Eine elektive Entfernung der Platte erfolgte in 31 %.

Proximale Tibia

Im Rahmen einer weiteren Multicenterstudie wurden 86 Patienten mit proximaler Tibiafraktur mit dem zuvor beschriebenen Implantat und der OP-Technik versorgt [21]. Fünf Zentren nahmen an der Studie teil und behandelten zwischen 9 und 40 Patienten. Die demografischen Daten und die Lebensqualität vor dem Unfall wurden mit dem Short-Form-12 (SF12) Fragebogen erfasst. Im klinischen und radiologischen Follow-up nach 3, 6 und 12 Monaten wurde wiederum der HSS-Score erhoben. Das Kollektiv umfasste 35 Frauen und 51 Männer bei einem Altersmedian von 51 Jahren (23–97). Die linke und rechte Seite waren nahezu gleichermaßen betroffen (links 51 %, rechts 41 %). Die Unfallursache war zu gleichen Teilen ein niedrig-energetisches bzw. ein Hochrasanztrauma. Es wurden nahezu ausschließlich (96 %) Gelenk-beteiligende Frakturen versorgt, davon fast die Hälfte Typ C (44 %). In einem Fall lag eine offene Fraktur (Gustillo Typ 2) vor. An intraartikulären Begleitverletzungen fanden sich 16 Meniskusläsionen, 12 vordere Kreuzbandrupturen und 6 Seitenbandrupturen (medial oder lateral). 64 % der Operationen erfolgten in minimalinvasiver Technik. Die Platte mit proximal 2 Löchern kam in der Mehrzahl der Fälle zum Einsatz (57 %). In 25 Fällen wurde ein synthetischer Knochenersatz implantiert. Die OP-Dauer betrug im Median 116 Minuten (43–297). Nach Drainagenzug erfolgte eine passive Mobilisation auf der Motorschiene limitiert auf 90° für 6 Wochen. Ebenso war die axiale Belastung limitiert auf 20 kg für 6 Wochen.

Das funktionelle Ergebnis verbesserte sich während des Follow-ups konstant mit teilweiser statistischer Signifikanz. Der HSS-Score betrug nach einem Jahr im Median 87 Punkte (27–100), was einem guten bis exzellenten Ergebnis in 95 % entspricht. Die Beugefähigkeit des betroffenen Kniegelenks nach einem Jahr betrug im Median 124° (75–150°). Nach 3 Monaten waren 53 % der Frakturen im Röntgenbild geheilt, was sich auf 91 % (6 Monate) bzw. 99 % (12 Monate) erhöhte (Abb. 5). Die radiologische Analyse der Beinachse ergab eine Abweichung von > 5° bei 13 Patienten. Zieht man von dieser Gruppe jedoch 2 Ausreißer mit komplexer Bandverletzung ab, die wegen Arthrofibrose revidiert werden mussten, ist das funktionelle Ergebnis dieser Gruppe im HSS-Score immer noch gut bis exzellent gewesen (88 Punkte, 71–97) bei einer Beugefähigkeit von 126° (105–135°). Die Rate an Komplikationen lag bei 26 % (n = 24 bei 22 Patienten), wovon n = 5 (21 %) nicht direkt mit der OP in Verbindung standen (Thrombose, Embolie, Pneumonie).

Diskussion

Komplexe Gelenkfrakturen stellen eine chirurgische Herausforderung dar, da das vordringliche Ziel der anatomischen Reposition in diesen Fällen zwar entscheidend, aber aufgrund der Komplexität der Verletzung häufig nur sehr schwer zu erreichen ist. Hinzu kommen außerdem häufig ein Weichteilschaden unterschiedlichen Ausmaßes, sowie je nach betroffenem Gelenk die Verletzung von Binnenstrukturen. Das grundsätzliche Therapieziel in der operativen Behandlung von Gelenkfrakturen ist neben der anatomischen Reposition, insbesondere im Falle der unteren Extremität, die Rekonstruktion von Achse, Länge und Rotation sowie die Therapie etwaiger Begleitverletzungen von Binnenstrukturen. Der Anspruch an die osteosynthetische Stabilisierung muss zumindest die Möglichkeit der funktionellen Beübung des betroffenen Gelenks sein. Prognostisch gilt es, die Funktion des Gelenks möglichst lange zu erhalten und das Risiko einer posttraumatischen Arthrose zu reduzieren. Wenngleich sich diese Verletzungen selbstverständlich nicht auf die untere Extremität reduzieren, sind sie hier von besonderer Bedeutung aufgrund der axialen Belastung in diesem Bereich und dem hieraus resultierenden Risiko von Einschränkungen der Mobilität bis hin zu deren Verlust beim Erleiden einer komplexen Gelenkfraktur eines großen Gelenks der unteren Extremität.

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