Übersichtsarbeiten - OUP 05/2024
Arthrofibrose und ihre Differenzialdiagnosen, Pathogenese- und StadienmodellKonservative Therapie und Prävention
Philipp Traut
Zusammenfassung:
Die Arthrofibrose (AF) gehört zu den häufigsten Komplikationen nach Verletzungen und operativen Eingriffen an Gelenken, vor allem nach Gelenk- und Kreuzbandersatz. Alle großen Gelenke können betroffen sein, am häufigsten jedoch das Kniegelenk. Es kommt zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung durch Vermehrung von fibrotischem Gewebe innerhalb und teilweise auch außerhalb des Gelenkes. Der normale Heilungsprozess ist durch mechanische und emotionale Stressoren sowie starke Schmerzreize gestört. Die AF tritt zu 90 % schon wenige Tage nach Verletzung oder Operation auf, sodass die Qualitätsstandards nicht erreicht werden können. Durch die übliche Physiotherapie und Rehabilitation kann oft keine wesentliche Verbesserung der Funktion erreicht werden, sodass die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) stark eingeschränkt sind. Klinische Diagnostik, Differenzialdiagnostik und ein neues Pathogenese- und Stadienmodell der primären Arthrofibrose mit den daraus abgeleiteten therapeutischen Prinzipien und Möglichkeiten der Prävention werden vorgestellt.
Schlüsselwörter:
Arthrofibrose, Endoprothetik, Kreuzbandersatz, Gelenksteifheit, Vernarbung, Verklebung
Zitierweise:
Traut P: Arthrofibrose und ihre Differenzialdiagnosen, Pathogenese- und Stadienmodell. Konservative Therapie und Prävention
OUP 2024; 13: 236–245
DOI 10.53180/oup.2024.0236-0245
Summary: The development of an arthrofibrosis (AF) is reported as one of the most common complications of orthopedic operations with special emphasis on total knee replacement and anterior cruciate ligament reconstructions. Even though all joints may be involved, most cases involve the knee joint. Patients feel a painful decrease in the range of motion caused by fibrotic tissue formation within and outside the joint. The healing process is disturbed by mechanical and emotional stress and strong pain. Most AF cases show the typical symptoms of pain and decreased range of motion within the first days after surgery, causing failure to pass the quality standards. Physiotherapy and rehabilitation do not ameliorate symptoms, limiting activities of daily living (ADL). Clinical diagnosis, differential diagnosis and a novel pahogenetic- and staging model of primary arthrofibrosis with therapeutic principles and preventive measures are introduced in this article.
Keywords: Arthrofibrosis, total knee replacement, anterior cruciate reconstruction, stiffness, scar
Citation: Traut P: Arthrofibrosis and its differential diagnoses, pathogenesis and staging model.
Conservative therapy and prevention
OUP 2024; 13: 236–245. DOI 10.53180/oup.2024.0236-0245
Praxis für orthopädische Beratung und Begutachtung, Bad Oeynhausen
Einleitung
Obwohl die Arthrofibrose nach jedem operativen Eingriff oder auch nach jeder Verletzung an großen und kleinen Gelenken schon unmittelbar nach dem Eingriff, vor allem nach Endoprothetik [4] und Kreuzbandchirurgie [2] oder einer Gelenkverletzung auftreten kann , vergeht aktuell im eigenen Patientengut im Mittel noch ein Zeitraum von etwa 9 Monaten bis zur Erstdiagnose, obwohl diese Heilungsstörung schon in der operierenden Klinik aufgrund der typischen Symptome und Beschwerden diagnostiziert werden könnte [28].
Problematisch ist weiterhin, dass die betroffenen Patientinnen und Patienten erstmals die Diagnose etwa zur Hälfte durch eigene Internetrecherche erfahren, zu 40 Prozent bei der Zweitmeinung und zum geringsten Teil vom Operateur selbst. Diese Tatsache erklärt die große Lücke zwischen Beginn der Erkrankung und der ersten kausalen konservativen Therapie. Die effektivste Behandlungszeit unmittelbar nach Beginn der Erkrankung, in der diese Heilungsstörung wieder in relativ kurzer Zeit normalisiert werden könnte, bleibt ungenutzt.
Häufig eingesetzte Narkosemobilisationen und Arthrolysen führen meist nicht zu einer langfristigen Besserung der Funktion. Oft führt dies sogar zu einer weiteren Verschlechterung im Sinne eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms, (Complex Regional Pain Syndrome, CRPS), durch das die Normalisierung der Gelenkfunktion zusätzlich reduziert wird. Zunehmend werden diese chirurgischen Maßnahmen aufgrund der hohen Rezidivrate und der vorhandenen konservativen Alternativtherapien kritisch gesehen.
Auch der aktuell noch angestrebte Bundeseinheitliche Qualitätsstandard (BQS) einer Extension/Flexion von 0–0–90 Grad begünstigt ein mechanisch orientiertes Krankheitsverständnis ohne Berücksichtigung der individuellen biologischen Heilungsprozesse, sodass die postoperative Regeneration zusätzlich gestört wird. Durch schmerzhafte Dehnübungen wird die überschießende intraartikuläre fibrotische Gewebsvermehrung sogar noch durch Zytokin-Freisetzung gefördert.
Es werden aber auch Wege aufgezeigt, wie der Qualitätsstandard positiv genutzt werden kann, um vor Beginn der ambulanten und stationären Rehabilitation oder postoperativen Physiotherapie nach Entlassung aus der operierenden Klinik präventive Maßnahmen und frühe therapeutische Aktivitäten zur Verhinderung oder zur schnellen Besserung der Arthrofibrose einzuleiten. Dies könnte auch dem bisher ungelösten Problem der hohen Patientenunzufriedenheit nach Knieendoprothetik von etwa 20 % zugutekommen [3].
Aktuelles Krankheitsmodell
Im ärztlichen und physiotherapeutischen Bereich wird die Arthrofibrose üblicherweise als „Verklebung“ bezeichnet. Deshalb werden hauptsächlich mechanisch orientierte therapeutische Maßnahmen durchgeführt. Nicht immer bestehen ausreichende Kenntnisse über die biochemischen und biologischen Zusammenhänge dieser Heilungsstörung. Es wird durch intensive Physiotherapie mit postisometrischen Dehnübungen und CPM-Schienen versucht, die nach einem operativen Eingriff eingetretene Bewegungseinschränkung mechanisch zu verbessern. Dies führt meist nicht zum erhofften Erfolg, sondern in vielen Fällen sogar zu einer Verschlechterung der Funktion mit starken Schmerzen trotz monatelanger Therapie. Dieses weit verbreitete „Verklebungsmodell“ sollte deshalb infrage gestellt werden.
Zusätzlich bestehen einige Mythen über den postoperativen Verlauf nach einer Knieoperation, die revidiert werden sollten. Auch nach einer erfolglosen Rehabilitation wird der/dem betroffenen Patientin/Patienten mitgeteilt, dass eine Heilung bis zu einem Jahr Zeit benötige, ohne die Ursache für den verzögerten Heilverlauf zu klären. Es wird zu Geduld und weiterem Üben geraten. Diese fehlende Diagnostik führt verständlicherweise zu einer hohen Unzufriedenheit der betroffenen Patientinnen und Patienten. Wenn nämlich keine Heilungsstörung und kein operatives Defizit vorliegen, ist die Funktion des operierten Gelenkes nach 6–8 Wochen zufriedenstellend, so dass die Aktivitäten des täglichen Lebens nicht mehr wesentlich eingeschränkt sind.