Übersichtsarbeiten - OUP 05/2024
Arthrofibrose und ihre Differenzialdiagnosen, Pathogenese- und StadienmodellKonservative Therapie und Prävention
Arthrofibrose (AF) und CRPS stehen in einer besonderen Beziehung mit fließenden Übergängen zueinander. Aus einer AF kann sich bei weiterer Traumatisierung durch schmerzhafte Physiotherapie, Narkosemobilisation oder operative Eingriffe ein CRPS entwickeln. In der Literatur wird eine Häufigkeit von 15 % beschrieben [20].
Jedes CRPS ist, neben den typischen Beschwerden und Symptomen, die in den „Budapest-Kriterien“ beschrieben sind, häufig mit einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung belastet. „Brennender“ Ruheschmerz, Berührungsempfindlichkeit der Haut, Unterschenkelödeme, Allodynie, Muskelansteuerungsprobleme, trophische Störungen des gesamten Beins mit großen Temperaturdifferenzen von über 3–4° C gegenüber der Gegenseite, livide Hautverfärbung und im Röntgenbild sichtbare destruktive Veränderungen wie Patella baja (Patellatiefstand) und prothesennahe Entkalkung (Abb. 1) sichern die Diagnose. Wenige Tage nach der Operation sind betroffene Patientinnen und Patienten häufig nicht in der Lage, das Bein von der Unterlage anzuheben, sodass oft eine neurologische Untersuchung veranlasst wird, die aber fast immer unauffällig ist. Jeder weitere operative Eingriff oder eine Narkosemobilisation kann zu einer dramatischen Verschlechterung führen.
Bei früher klinischer Diagnose und sofortiger Behandlung bildet sich die typische CRPS-Symptomatik wieder zurück. Die medikamentöse Behandlung mit Pregabalin und bei zusätzlich vorhandener Arthrofibrose mit niedrig dosiertem Prednisolon und dem nichtselektiven Betablocker Propanolol zur Senkung des Sympathikustonus sollte schon in der operierenden Klinik eingesetzt werden. Die Physiotherapie ist identisch mit der bei Arthrofibrose. Bei starker Bewegungseinschränkung zusätzlich „Spiegeltherapie“.
Low-Grade-Infekt (chronischer geringfügiger Infekt)
Bei 1–2 Prozent der Gelenkimplantate entwickelt sich diese schwerwiegende Komplikation [12]. Bei Diagnose innerhalb der ersten 4–6 Wochen postoperativ ist meist ein Prothesenwechsel vermeidbar. Bei deutlichem Gelenkerguss sollte direkt nach „Frösteln“, kurzfristigem Fieber und nachfolgendem Schwitzen, der sogenannten „B-Symptomatik“ gefragt werden, da die Patientinnen und Patienten diese Symptomatik nicht mit ihrem neuen Gelenk in Verbindung bringen [31].
Eine sofortige Diagnostik mit Keimnachweis kann dann die Prothese „retten“. Um „falsch-negative“ Ergebnisse zu vermeiden, sollte die Gelenkpunktion in zeitlicher Nähe zum Fieberanstieg durchgeführt werden, da nur in diesem Zeitraum vitale Keime und entzündlich veränderte Synovialflüssigkeit vorhanden sind. Bei später Diagnose ist meist ein Prothesenwechsel notwendig [12]. Bei gleichzeitig vorliegendem CRPS sollte die OP-Indikation wegen der möglichen schweren postoperativen Komplikationen streng gestellt werden. Eine palliative Langzeitantibiose ist dann auch noch in Erwägung zu ziehen [12].
Im eigenen Patientengut sind allerdings auch positive Verläufe, die nach einer einmaligen Antibiose beim Zahnarzt zu einer Besserung der B-Symptomatik geführt haben, sodass auch eine alleinige Antibiose nach Keimnachweis und Resistenzbestimmung in Erwägung gezogen werden kann, obwohl es nicht der Leitlinie entspricht, die einen TEP-Wechsel oder DAIR (Debridement, Antibiose, and Implant Retention) empfiehlt [31].
Physio- und medikamentöse Therapie der Arthrofibrose
Wenn die Arthrofibrose früh diagnostiziert wird, besteht die Chance einer völligen Heilung. Bei späterer Diagnose kann noch eine deutliche Besserung durch eine konservative antifibrotische Therapie erzielt werden. Ziel der Therapie ist die Gesundung des betroffenen Gelenkes. Es darf nicht versucht werden, ein krankes Gelenk beweglich zu machen, weil dadurch das intraartikuläre fibrotische Gewebe, das die Bewegung hemmt, immer wieder verletzt wird mit nachfolgender, nicht endender Reparation. Die Warnfunktion des Schmerzes sollte beachtet werden [26]. Nach Abbau des pathologischen Gewebes resultiert von selbst eine physiologische Beweglichkeit des betroffenen Gelenkes.
Bei der Arthrofibrose steht aktuell nur eine Off-Label-Therapie (s.u.) zur Verfügung, die mit den Patientinnen und Patienten besprochen werden muss. Es sind aber Medikamente (Prednisolon und Propanolol) vorhanden, die seit vielen Jahren in ihren Wirkungen und Nebenwirkungen bekannt sind. Bei Beachtung der Kontraindikationen können sie zusätzlich eingesetzt werden, vor allem bei starken Schmerzen im Stadium I–II [28]. Sie haben allerdings nur eine symptomatische Wirkung, ohne direkte Förderung der Apoptose, sodass man auch auf ihren Einsatz bei Gegenanzeigen verzichten kann, ohne den Erfolg der Therapie zu gefährden. Eine fachlich richtige Physiotherapie und geeignete Verhaltensmaßnahmen der Betroffenen haben einen größeren Einfluss auf den Heilungserfolg.
Folgende therapeutische Maßnahmen sind zu empfehlen:
- 1. Aufklärung der Patientinnen und Patienten über die Ursachen und die therapeutischen Möglichkeiten
- 2. Sofortiger Stopp der passiven schmerzhaften Mobilisation des Gelenkes [11, 20, 21]
- 3. Bewegung nur im schmerzfreien Bereich erlaubt
- 4. Förderung der Mikrozirkulation und Entsorgung der Zytokine (Wachstumsfaktoren) durch Lymphdrainagen, Pulsierende elektromagnetische Felder (PEMF), Akupunktur und eine Matrix-Rhythmustherapie mittels Vibration (z.B. ZRT®-Matrix-Therapie) [24, 35]
- 5. Balancierung des vegetativen Systems durch Osteopathie, Fußreflextherapie, Bindegewebsmassagen, evtl. psychologische Begleitung
- 6. Erlernen von Entspannungstechniken (Autogenes Training, Achtsamkeitstraining, Progressive Muskelentspannung, Yoga u.a.)
- 7. Medikamentöse Therapie mit niedrig dosiertem Prednisolon und dem nicht selektiven Betablocker Propanolol bei fehlenden Kontraindikationen [28]
Ernährung, Bewegung und Entspannung in Eigenregie
Wichtig ist, dass die Patientinnen und Patienten alles vermeiden, was zu einer Freisetzung der Wachstumsfaktoren und damit zur Aktivierung der Fibroblasten führt. Es dürfen nur die Bewegungen durchgeführt werden, die keine Schmerzen verursachen. Treppensteigen im Wechselschritt ist deshalb erst bei einer Beugung von etwa 100 Grad möglich und erlaubt, vorher nur im Beistellschritt. Auch Fahrrad- oder Ergometerfahren ist erst bei über 90 Grad-Beugung oder mit Kurbelverkürzung zur Kreislaufaktivierung therapeutisch sinnvoll. Längere Gehstrecken sind nur erlaubt, wenn das „Schraubstockgefühl“ danach nicht verstärkt auftritt. Aktuelles Prinzip: Weniger ist mehr! Auch ein Wellness-Urlaub ist zur Balancierung des vegetativen Systems sinnvoll.
Nachsorge
Wenn die Behandlung erst in einem späten Stadium II oder III einsetzt, verbleibt oft eine Empfindlichkeit gegenüber mechanischem und/oder emotionalem Stress. Einige Patientinnen und Patienten berichten, dass ihr Kniegelenk ein „Spiegel ihrer Seele“ sei und sich bei emotionaler Belastung verschlechtere. Für diese Patientengruppe ist es von großer Wichtigkeit, Techniken zur Reduktion von innerer Anspannung zu erlernen und regelmäßig einzusetzen. Es gibt auch viele Betroffene, bei denen bei bestehender Arthrofibrose das andere paarige Gelenk operiert werden musste. Bei den meisten Patientinnen und Patienten meines Kollektivs ist an dem anderen Gelenk keine Arthrofibrose aufgetreten, sodass wesentliche genetische Faktoren bei dieser Erkrankung eher nicht vorliegen. Vor einem operativen Gelenkeingriff sollten allerdings eine emotionale Ausgeglichenheit und ein ungetrübtes Vertrauensverhältnis zum Operateur bestehen.