Übersichtsarbeiten - OUP 05/2022

Arthroseschmerz

Wie oben ausgeführt, sind Entzündungsvorgänge für die Arthroseschmerzen sehr relevant. Entzündungen werden mit dem neuronalen Prozess der Sensibilisierung in Verbindung gebracht, der dazu führt, dass „normale“ Gelenkbeanspruchungen zu Schmerzen führen. Das Verständnis dieser Mechanismen ist nicht nur von akademischem Interesse. Tatsächlich stellt sich an dieser Stelle die Frage nach den therapeutischen Möglichkeiten der medikamentösen Bekämpfung des Arthroseschmerzes.

Wie löst ein mechanischer Reiz, z.B. eine Überdrehung des Gelenks, Schmerzen aus? Prinzipiell ist die sensorische Endigung des Nozizeptors im Gewebe mit Ionenkanälen ausgestattet, die durch mechanische Reize geöffnet werden (Mechanosensoren) (Abb. 2). Vermutlich führt die Verformung der Zellmembran, in die der Ionenkanal eingebettet ist, über Scherkräfte zur Öffnung. Sobald der Ionenkanal geöffnet ist, fließen Kationen (insbesondere Na+ und Ca2+) in die Zelle ein und lösen dort ein elektrisches Rezeptorpotential (RP) aus, eine lokale Depolarisation. Ist diese Depolarisation ausreichend stark, öffnet sie spannungsgesteuerte Natriumkanäle, die die Aktionspotentiale (AP) bilden, die über das Axon des Neurons weitergeleitet werden. Es ist noch nicht klar, welche Ionenkanäle im Gelenk als Mechanosensoren für schmerzhafte mechanische Reize fungieren. Hinweise gibt es für einen Ionenkanal namens Piezo 2 [21] und einen Ionenkanal namens TRPV4 [22].

Zusätzlich zu verschiedenen Ionenkanälen verfügt die sensorische Endigung der Nozizeptoren über Rezeptoren für zahlreiche Entzündungsmediatoren. Letztere können bei ihrer Besetzung durch Entzündungsmediatoren Second Messenger-Prozesse in der Zelle auslösen. Die Second Messenger-Kaskaden können dann die Empfindlichkeit der Ionenkanäle für die Mechanotransduktion (s.o.) und der spannungsgesteuerten Natriumkanäle erhöhen, sodass als Endresultat die Nervenzelle sensibilisiert wird. In diesem Zustand sind leichte bis moderate Reize ausreichend, Gelenknozizeptor zu erregen, und daher werden bei Entzündungsvorgängen Schmerzen durch leichte mechanische Reize ausgelöst. Neben den Ionenkanälen für mechanische Reize gibt es auch Ionenkanäle für thermische Reize (z.B. den TRPV1-Ionenkanal) und für chemische Reize (z.B. für ATP). Auch solche Kanäle können durch Entzündungsmediatoren sensibilisiert werden.

Ziel der medikamentösen Schmerzbekämpfung

Ziel der Schmerztherapie ist es, den Zustand der neuronalen Sensibilisierung rückgängig zu machen. Diese Wirkung haben die Cyclooxygenasehemmer bzw. nichtsteroidalen antientzündlichen Drugs (NSAIDs), die die Prostaglandinproduktion hemmen. Prostaglandin E2 aktiviert über EP-Rezeptoren in der Zellmembran der Nozizeptoren Second Messenger -Kaskaden, insbesondere cAMP-abhängige Signalwege, die ihrerseits bestimmte Ionenkanäle der Transduktion und spannungsgesteuerte Natriumkanäle in den Nervenzellen so beeinflussen, dass das Neuron sensibilisiert wird [19]. Wird die Prostaglandinsynthese gehemmt, wird die neuronale Sensibilisierung zurückgeführt. Die topische und systemische Gabe von NSAIDs ist eine wichtige Basistherapie von Arthroseschmerzen.

Allerdings reicht die Wirkung der COX-Hemmer bei starken Schmerzen häufig nicht aus. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Erstens, Prostaglandin E2 ist nur einer von vielen Mediatoren, die sensibilisierend wirken. Andere Mediatoren mit sensibilisierender Wirkung sind Bradykinin, Nervenwachstumsfaktor (NGF), und proinflammatorische Zytokine, z.B. TNF, Interleukin-6, Interleukin-17 und andere. Zweitens, Prostaglandin E2 aktiviert nicht nur EP-Rezeptoren, die sensibilisierend wirken (EP2 und EP4), sondern auch den EP3-Rezeptor, der antinozizeptiv wirkt [19]. Daher reduziert die Hemmung der Prostaglandinsynthese nicht nur pro-, sondern auch antinozizeptive Prostaglandinwirkungen.

Große Hoffnung lag in der Einführung einer Therapie mit monoklonalen Antikörpern gegen NGF. Dieser Antikörper reduziert Arthroseschmerzen nachhaltig bei einmaliger Applikation, weil er an verschiedenen Ionenkanälen angreift, die für die Nozizeption relevant sind. Unglücklicherweise wurde die Antikörpertherapie nach jahrelanger Erprobung nicht zugelassen, weil sie einzelne Fälle von rascher progredienter Arthrose auslöste [26].

Proinflammatorische Zytokine (TNF, Interleukin-6, Interleukin-1ß, Interleukin-17) erzeugen in Gelenknozizeptoren mit unmyelinisierten Axonen (C-Fasern) eine langanhaltende Sensibilisierung für mechanische Reize [25]. Da Zytokine bei Arthrosen als wichtige Mediatoren mit schädigender Wirkung angesehen werden, kann ihnen bei der Entstehung von Arthroseschmerzen eine maßgebliche pathogenetische Rolle zukommen. Bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis ist die Neutralisierung von Zytokinen häufig mit einer raschen Schmerzreduktion verbunden [25]. Ob die Neutralisierung von Zytokinen auch eine Option für die Behandlung der Arthrose und des Arthroseschmerzes ist, wird derzeit untersucht. Klinische Studien zur Effektivität der Neutralisation von Interleukin-1 waren enttäuschend. Der Effekt der Antikörper war nicht größer als der, allerdings sehr große, Placeboeffekt [10]. Inwieweit die Neutralisierung anderer Zytokine, z.B. von Interleukin-6, besser abschneiden wird, ist noch unklar. Ähnliches gilt für Chemokine, die bei experimenteller Arthrose eine Bedeutung für die
Schmerzentstehung haben [23].

Eine Reihe anderer Targets wird derzeit hinsichtlich ihrer Eignung für die Schmerztherapie erforscht. Hierzu zählen auch Substanzen, die die Transduktionsmoleküle, z.B. den TRPV1-Ionenkanal, und spannungsabhängige Natriumkanäle blockieren [24].

Die intraartikuläre Injektion von hochmolekularen! Hyaluronsäurepräparaten wurde in einigen Studien als effektiv gegen Gelenkschmerzen beschrieben. Ihr genauer Wirkungsmechanismus ist unklar. Möglicherweise schirmen sie Nervenfasern gegen Reize ab, oder sie „binden“ Entzündungsmediatoren durch Molekülinteraktionen. Auch übt Hyaluronsäure eine trophisch-metabolische Funktion aus [24].

Eine weitere Herausforderung ist die Behandlung neuropathischer Schmerzzustände. Typischerweise werden neuropathische Schmerzen nicht mit den o.g. Analgetika behandelt, sondern mit Medikamenten, die die neuronale Erregbarkeit durch Beeinflussung von Ionenkanälen blockieren. Dazu gehören Antidepressiva und Gabapentin.

Fazit für die Praxis

Patienten mit Arthrose haben nicht nur eine komplexe Gelenkerkrankung. Sie leiden auch an einer komplexen Schmerzproblematik, die nicht nur Spiegel dessen ist, was sich im Gelenk abspielt, sondern auch eigendynamische Komponenten hat. Dass die durch die Arthrose ausgelösten Schmerzprozesse in vielen Fällen durch den konstanten noxischen Eingang aus der Peripherie aufrechterhalten werden, könnte man aus der durch Operation häufig erreichbaren Schmerzfreiheit schlussfolgern. Allerdings ist die Operation nur der Schlussstrich unter einer langen Schmerzperiode. Daher sollte in den Jahren vor der Operation der Komplexität der Schmerzproblematik Rechnung getragen werden und mit dem Patienten zusammen die beste Lösung gefunden werden. Hier sind auch die Komorbiditäten zu berücksichtigen, deren therapeutische Beeinflussung auch Teil der Arthroseschmerztherapie sein sollte. Wie eingangs beschrieben, führt die Operation nicht in allen Fällen zur Schmerzfreiheit. Durch QST-Untersuchungen wird derzeit untersucht, welche Schmerzcharakteristika prognostisch ungünstig sind [1]. Komorbiditäten wie Diabetes mellitus bergen ein höheres Risiko für nicht erreichbare Schmerzfreiheit [7].

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