Übersichtsarbeiten - OUP 02/2022
Ausgedehnte RotatorenmanschettenläsionenTypische Indikationen und technische Möglichkeiten für ein gelenkerhaltendes Vorgehen
Hiernach sollte die stufenweise bildgebende Diagnostik zunächst mittels Röntgen in mindestens 2 Ebenen erfolgen. Die Röntgenaufnahme in stehender Neutralposition gibt einen Anhalt über den Zustand des Glenohumeralgelenkes. So lassen sich Zeichen einer Dezentrierung wie der subakromiale Abstand, der „critical shoulder angle“ (CSA), der akromiohumerale Index (AI), eine mögliche Deformierung der Gelenkpartner, das Vorliegen von osteophytären Anbauten sowie der Grad einer möglicherweise vorliegenden Omarthrose (nach Samilson) oder Defektarthropathie (nach Hamada und Fukuda) beurteilen. Anhand der röntgenologischen Gelenkkonfiguration lassen sich somit bereits Hinweise für die weitere Behandlung ableiten. Ist bspw. der subakromiale Abstand < 7 mm, resultieren schlechtere Ergebnisse nach Refixation einer Rotatorenmanschettenruptur.
Neben der Röntgendiagnostik bietet die Sonographie für geübte Untersucher ein schnell verfügbares Verfahren zur Beurteilung von Rotatorenmanschettenläsionen. Der entscheidende Vorteil liegt in der Möglichkeit einer dynamischen Untersuchung der Schulter und der Rotatorenmanschette. Weiterhin eignet sich die Sonographie zur Verlaufskontrolle bei klinisch bisher nicht manifesten Läsionen.
Eine weitere Differenzierung erlaubt schließlich die Bildgebung mittels nativer Magnetresonanztomographie. Hiermit kann die Rotatorenmanschette direkt beurteilt werden. Neben der Morphologie der Läsion (transmural versus partiell) kann auch der Zustand der Muskulatur beurteilt werden. So erfolgt die Quantifizierung der Muskelatrophie nach Thomazeau (Beurteilung des Verhältnis des SSP-Muskels zur Fossa supraspinata) und der fettigen Degeneration nach Goutallier (Verhältnis intramuskuläres Fett : Volumen des Muskels) [7, 8]. Weiterhin kann der Retraktionsgrad der jeweiligen Sehne nach Patte beurteilt werden [9]. Eine ausgeprägte Muskelatrophie (> Thomazaeu 2), fettige Degeneration (> Goutallier 2) und Retraktion (> Patte 2) sind Indikatoren gegen eine operative Rekonstruktionsfähigkeit. Vorteilhaft ist die Wellung der Sehne, weil dies auf eine Elastizität hindeutet.
Therapieoptionen –
konservativ oder operativ?
Vor Beginn einer Therapie sollte zunächst entschieden werden, welche Optionen für den betroffenen Patienten in Frage kommen. Insbesondere in höherem Alter zeigt sich eine Vielzahl asymptomatischer Risse mit gleichbleibend guter Überkopffunktion. Wie vorgenannt liegt die Prävalenz von Läsionen der Rotatorenmanschette mit steigendem Alter von > 75 Jahren bei über 50 %. Entsprechend sollte bei asymptomatischen Verläufen oder okkulten Befunden von einer operativen Therapie abgesehen werden. Symptomatische Patienten, welche unter Schmerzen im Alltag und einer Funktionseinschränkung leiden, können indes operativ behandelt werden. Patientenspezifische Faktoren wie das Alter, die Compliance und der persönliche Funktionsanspruch müssen bei der Auswahl eines geeigneten Behandlungsverfahrens unbedingt berücksichtigt und präoperativ ausführlich erörtert werden, um falsche Erwartungen zu vermeiden.
Konservative Behandlung
Insbesondere bei chronischen Rupturen mit kompensierter Schulterfunktion sollte vor einer möglichen operativen Therapie ein konservativer Behandlungsversuch unternommen werden. Hierzu zählt neben der physiotherapeutischen Übungsbehandlung das Training im Rahmen eines Heimübungsprogrammes. Ziele sind, neben einer Kräftigung der verbliebenen Muskulatur und des M. deltoideus, die Verbesserung der Beweglichkeit und Überprüfung der Compliance vor aufwendigen Rekonstruktionen. Älteren Patienten mit geringen funktionellen Ansprüchen gelingt durch konservative Maßnahmen ggfs. die Wiederherstellung eines ausreichenden Funktionsniveaus. Die konservative Therapie umfasst dabei 4 Behandlungsstufen: Zunächst erfolgt die Schmerzreduktion durch z.B. die Etablierung einer antientzündlichen Medikation oder durch eine kurze, vorübergehende Ruhigstellung. In der zweiten Stufe soll anschließend ein freies Bewegungsausmaß wiederhergestellt werden. Hiernach schließen sich Übungen zur Wiederherstellung der Kraft an. In der vierten Stufe folgen schließlich komplexere Übungen zum Erhalt bzw. zur Erweiterung von Kraft und Bewegungsumfang. Grundlegend sollte das Übungsprogramm unter professioneller Anleitung absolviert und der Fortschritt der konservativen Maßnahmen regelmäßig überprüft werden. Additiv können intraartikuläre und subakromiale Injektionen (Cave: Durchführung unter sterilen Kautelen, keine Injektion in die Sehne, Mindestabstand 6 Wochen, nicht mehr als 3 Wiederholungen) angewendet werden. Häufig kommt es jedoch trotz konservativer Maßnahmen zur Progression einer bestehenden Rotatorenmanschettenruptur [10]. Sollten die konservativen Maßnahmen nicht zu einer ausreichenden Beschwerdebesserung beitragen, kann die Indikation einer operativen Therapie neu beurteilt werden.
Subakromiale Dekompression/Tuberkuloplastik/Bizepstenotomie oder -tenodese
Vor allem ältere Patienten jenseits des 70. Lebensjahres, welche vornehmlich unter der Schmerzsymptomatik leiden und nur einen geringen Anspruch an Funktion und Kraft (wenig Tätigkeit über Schulterniveau) haben, eignen sich für diese Therapieoption. Idealerweise kann die oder der Betroffene den Arm noch über 90° anheben. Arthroskopisch erfolgt die Entfernung der entzündlich veränderten Bursa subacromialis, eine partielle Synovektomie, Lavage sowie ggfs. eine Resektion von Osteophyten (z.B. im Bereich des Akromion oder des Tuberculum majus). Weiterhin kann das Akromion dreidimensional geglättet und somit der subakromiale Raum erweitert werden. Ziel ist es, einen homogenen coracoakromialen Bogen zu schaffen, ohne das Akromion ventral zu verkürzen oder das Lig. coracoacromiale zu beschädigen. Sofern notwendig, kann bei symptomatischer AC-Arthrose weiterhin eine arthroskopische Resektion der lateralen Klavikula erfolgen. Zusätzlich kann die Tenotomie oder Tenodese der langen Bizepssehne erfolgen (Abb. 3b). Es ist bekannt, dass die alleinige Behandlung der Bizepssehne die Schulterfunktion und die Zufriedenheit bei Patienten mit Rotatorenmanschettenmassenrupturen deutlich verbessert [11]. Um geeignete Patienten identifizieren zu können, kann im Rahmen der konservativen Maßnahmen eine lokale Infiltration durchgeführt werden. Bessert sich die Symptomatik hierunter, kann das Verfahren zu einer Beschwerdebesserung beitragen. Kontraindikationen stellen das Vorliegen einer Pseudoparalyse sowie eine fortgeschrittene Defekt-arthropathie dar [12].
Partielle Rekonstruktion
Primäres operatives Ziel sollte stets die komplette Rekonstruktion der Rotatorenmanschette sein, um den natürlichen Progress zu minimieren. Als prognostisch ungünstig für die Rekonstruktionsfähigkeit hat sich eine nativ-radiologisch akromiohumerale Distanz (AHD) von < 7 mm und eine fortgeschrittene Retraktion der Sehne (> Patte 2) sowie ein positives Tangentenzeichen herausgestellt [13, 14]. In Abhängigkeit dieser Kriterien kann ein kompletter Verschluss einer bestehenden Rotatorenmanschettenläsion ggfs. nicht erfolgen oder möglich sein. Um dennoch eine Balance der Kräftepartner (sog. „force couple“) wiederherstellen zu können, kann eine partielle Rekonstruktion (z.B. Refixation der Infraspinatussehne bei posterosuperioren Läsionen bzw. eine Seit-zu-Seit-Naht) mit Wiederannäherung der Rupturenden (sog. „margin convergence“) erfolgen, um die Rissgröße zu verkleinern [15]. Entscheidend ist dabei die Wiederherstellung des Gleichgewichts aus Infraspinatus und Subscapularis, welches den Humeruskopf zentriert und somit eine ideale Kraftentwicklung des Deltamuskels erlaubt [15, 16]. Die kurz- und mittelfristigen klinischen Ergebnisse einer partiellen Rekonstruktion zeigen eine signifikante Verbesserung der Schulterfunktion und der Patientenzufriedenheit, wenngleich hohe Raten von Re-Rupturen beschrieben sind [17–19]. Ein signifikanter Unterschied im Vergleich zur Superioren Kapselrekonstruktion (s.u.) konnte in einer prospektiv, randomisierten Studie nicht festgestellt werden [20].