Übersichtsarbeiten - OUP 02/2022
Ausgedehnte RotatorenmanschettenläsionenTypische Indikationen und technische Möglichkeiten für ein gelenkerhaltendes Vorgehen
Patienten mit einer dekompensierten posterosuperioren Ruptur, intaktem Subscapularis und nur geringgradiger Arthrose (max. Hamada II) kommen für eine Therapie mittels subakromialem Platzhalter in Frage. Hierbei wird nach subakromialer Dekompression ein biodegradabler (Polylactide und Epsilon-Caprolactone) Abstandshalter (sog. InSpace® Balloon, Fa. Stryker) eingebracht (Abb. 2). Durch das Auffüllen mit Natriumchloridlösung entfaltet sich der Ballon und bewirkt somit eine Vergrößerung des subakromialen Abstands. Der Platzhalter löst sich im Zeitraum von ca. 12 Monaten auf und sorgt idealerweise für eine Vernarbung der Strukturen unterhalb des Akromions. Ggfs. kann diese Methode auch mit anderen Verfahren kombiniert werden, um z.B. Reibung und Friktion über einer rekonstruierten Sehne oder nach durchgeführter Partialrekonstruktion zu minimieren [21]. Studien zur Effizienz des Verfahrens sind schwach und weisen meist nur ein Evidenzlevel von III bzw. IV auf, zeigen eine Schmerzreduktion und eine Verbesserung der Beweglichkeit sowie des Constant Scores bei niedrigen Komplikationsraten auf [22, 23]. Ein klarer Vorteil gegenüber der partiellen Rekonstruktion konnte nicht belegt werden und belastbare Langzeitdaten für die Anwendung des InSpace® Ballon sind ausstehend [24, 25].
Patchplastik
(Allograft/Autograft)
Jüngere Patienten mit einer schlechten Sehnenqualität oder irreparablen Massenruptur aber hohem Funktionsanspruch können mittels Patchplastik behandelt werden. Dabei wird die körpereigene Sehne durch einen Allo-, Auto- oder Xenograft verlängert („bridging“) bzw. augmentiert, um eine möglichst breite Bedeckung des Footprints zu gewährleisten und somit die Wiederanheftung an die originäre Insertionsstelle zu ermöglichen. Das ideale Graftmaterial ist dabei Gegenstand aktueller Diskussion. Es stehen verschiedene resorbierbare, nicht-resorbierbare und auf Extrazellulärmatrix basierende Patches zur Verfügung. Die Ergebnisse der Patch-Augmentation werden kontrovers diskutiert. Während einige Studien positive Daten für die Überlegenheit des Verfahrens liefern, sehen andere Untersuchungen keinen Benefit des Verfahrens im Vergleich zur Partialrekonstruktion [26, 27]. Studien von Snyder et al. konnten Heilungsraten von bis zu 75 % für dieses Verfahren nachweisen [28]. Interpositionen schneiden signifikant schlechter ab als Augmentationen.
Superiore
Kapselrekonstruktion (SCR)
Das Verfahren der superioren Kapselrekonstruktion wurde erstmals 2012 von Mihata et al. beschrieben [29]. Ziel der Operationstechnik ist eine Wiederherstellung der Funktion und Rezentrierung des Humeruskopfes bei irreparabel geschädigter Supraspinatussehne [30, 31]. Als Hauptindikation wird aktuell vor allem die partiell reparable posterosuperiore Ruptur mit niedriggradiger Defektarthropathie (Hamada II) angesehen. Es erfolgt einerseits ein Ersatz der Sehne zwischen superioren Glenoidrand und Tuberculum majus durch ein Sehnenersatzmaterial (in Europa meist dezellularisierte Haut) und die zusätzliche Seit-zu-Seit-Naht desselben an den Infraspinatus und Subscapularis (Abb. 3). Dies führt zum einen zu einer verbesserten vertikalen Stabilität und soll damit das subakromiale Impingement reduzieren. Zum anderen wirkt der Patch als Stabilisator für die verbleibende Subscapularis- und Infraspinatussehne, was zu einer Erhöhung der Sehnenspannung und einer Wiederherstellung des Kräftegleichgewichtes („force couple“) beiträgt. Die Studien zeigen kontroverse Ergebnisse mit z.T. hohen Rerupturraten des Patches, jedoch mit klinisch signi?kanter Verbesserung in Bezug auf Schulterfunktion und die Schmerzintensität im kurzen und mittleren Nachuntersuchungszeitraum [32–35]. Es sind jedoch auch Studien mit schlechtem klinischem Ergebnis beschrieben, die eine nur sehr strenge Indikationsstellung befürworten (isolierte Supraspinatussehnenruptur oder posterosuperior nach Collin et al.) [36–39]. Wie bei den reinen Patchplastiken steht momentan die Wahl des idealen Sehnenersatzmaterials im Vordergrund weiterer Untersuchungen. Das Verfahren eignet sich ebenfalls für jüngere Patienten mit hohem Anspruch, nur geringgradiger Arthrose und sonst stabilem Glenohumeralgelenk. Als Kontraindikationen werden eine fortgeschrittene Defektarthropathie mit beginnender Humeruskopfdestruktion und Azetabularisierung des Akromions (Stadium V nach Hamada) angesehen.
Muskeltransfers
Auch diese Verfahren sind eher jüngeren Patienten mit einer/m hohen Funktionseinschränkung und -anspruch bei bestehender irreparabler Massenruptur der Rotatorenmanschette (fettige Degeneration °III–IV) vorbehalten. Voraussetzung ist ein zentriertes Glenohumeralgelenk ohne wesentliche Arthrosezeichen (nicht höher als Hamada °III) und einem subakromialen Abstand > 6 mm. Grundsätzlich gilt dabei, dass eine Sehne nur einen Muskel ersetzen kann, wobei der zu transferierende Muskel etwa 30 % seiner Kraft verliert. In Abhängigkeit der Refixationsstelle können unterschiedliche Bewegungsrichtungen wiederhergestellt werden [40].
M. latissimus dorsi
Diese Verfahren wurde erstmal 1988 von Gerber et al. beschrieben [41]. Ein Transfer des M. latissimus dorsi kann je nach Lokalisation der Refixation unterschiedliche Funktionen wiederherstellen. Typischerweise werden durch den Transfer isoliert posteriore oder posterosuperiore Defekte (Typ A, C, D, E nach Collin et al.) adressiert. Dabei wird die Sehne im Bereich des ehemaligen SSP-Ansatzes (nach Gerber et al.) oder im Bereich des Ansatzes des ISP (nach Habermeyer et al.) refixiert [42, 43]. Wichtig ist, dass der M. subscapularis als Gegenspieler intakt und ausreichend suffizient ist. Je nach Lokalisation der Refixation steht entweder die Funktion als Außenrotator oder die Kaudalisierung des Humeruskopfes im Vordergrund. Ein entscheidender Vorteil ist, dass neben den Ankern zur Fixierung der Sehne kein zusätzliches allo- oder xenogenes Implantat erforderlich ist. Zu diesem Verfahren liegen bereits Langzeitergebnisse mit einem Mindestnachuntersuchungszeitraum von 10 Jahren vor, welche belegen, dass es zu einer Verbesserung des Constant Score von präoperativ 56 auf postoperativ 80 Punkte kommt und die Patientenzufriedenheit (subjektiver Schulterwert) von präoperativ 29 auf postoperativ 70 ansteigt [44]. Auch neuere arthroskopisch-assistierte Verfahren sind beschrieben und unterscheiden sich nicht signifikant von den offenen Techniken [45].