Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017
Bandrekonstruktion und Meniskusrekonstruktion am KniegelenkWas gibt es Neues?What is new?
Spontanheilungen unter konservativer Therapie mit suffizienter Stabilität sind sehr selten. Daher wird bereits lange an Rekonstruktionstechniken gearbeitet. Nachdem die ersten „anatomischen“ und extra-anatomischen Rekonstruktionstechniken nicht die gewünschten Erfolge brachten, wurde nach Alternativen gesucht. Versuche, das vordere Kreuzband durch primäre Naht zu rekonstruieren, waren ernüchternd [2]. Ebenso verhielt es sich mit synthetischen Implantaten [13]. Unter Berufung auf die bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannte Zwei-Bündel Struktur des VKB wurde zunehmend die anatomische Doppelbündel- (DB) Rekonstruktion propagiert. Diese zeigte zwar sehr gute klinische Ergebnisse [14], fand jedoch aufgrund der komplexeren OP- und Revisionstechnik begrenzte Akzeptanz [15]. Hinzu kam, dass in biomechanischen Studien kein eindeutiger Vorteil gegenüber anatomisch platzierten Einzelbündel- (SB) Rekonstruktionen nachgewiesen werden konnte [16]. Parallel wurde die autologe Patellasehne zunehmend von autologen Hamstring-Sehnen (Semitendimosus-/Gracilissehne) als Primärtransplantat abgelöst, da sie bei ähnlichen biomechanischen Eigenschaften eine geringere Transplantat-Entnahme-Morbidität zeigten. Diese fällt zwar bei Allografts komplett weg, aufgrund der sehr eingeschränkten Verfügbarkeit, des Infektionsrisikos und teils zweifelhaften klinischen Ergebnissen ist deren Stellenwert in Europa aber eher gering.
Durch optimierte OP-Verfahren werden aktuell mit anatomischen SB-VKB-Rekonstruktionen gute klinische Ergebnisse mit hoher Patientenzufriedenheit erzielt. Die Therapie wird hierbei zunehmend individualisiert, sodass auch autologe Patellasehnen- und Quadricepssehnenanteile wieder häufiger als primäre Transplantate verwendet werden [17]. Limitierende Faktoren sämtlicher moderner Rekonstruktionstechniken sind jedoch weiterhin die Re-Ruptur-Raten (bis zu 28 % in bestimmten Populationen) [18, 19, 20]. Unter der Vorstellung verbesserten Stellungsempfindens wird daher aktuell der weitgehende Erhalt von noch vorhandenen Bandstrukturen im Sinne von VKB-Augmentationsplastiken propagiert [21, 22]. Im Sinne des kompletten Erhalts des nativen VKB gibt es auch wieder verschiedene Konzepte für primäre Nähte. Es konnte festgestellt werden, dass biologische Faktoren einer spontanen Heilung im Gelenkmilieu im Wege stehen. Daraus schloss man, dass primäre VKB-Nähte einer Leitstruktur bzw. Protektion bedürfen. Mit einem biologisch augmentierten Kollagen-Schwamm Scaffold in Zusammenhang mit einer VKB-Naht im Schweinemodell konnten hervorragende Ergebnisse in Bezug auf Bandstruktur und Knorpelerhalt erzielt werden [12]. Erste Ergebnisse beim Menschen sind vielversprechend. Weniger auf die biologischen Aspekte des Gelenkmilieus als auf die Biomechanik konzentriert sich das Konzept der dynamischen intraligamentären Stabilisierung (DIS). Auszugsnähte des VKB werden hier mit dynamischen Systemen (Ligamys) „geschient“. Kurz- und mittelfristige Ergebnisse sind positiv [11, 23, 24]. So besteht zunehmend eine Perspektive für den Erhalt des gerissenen VKB. Limitierend ist jedoch sicherlich, dass die Versorgung relativ akut erfolgen muss (bis ca. 3 Wochen nach Verletzung mit entsprechend erhöhtem Arthrofibroserisiko) und sich nur bestimmte Rupturformen (Femur-nah, weitgehend erhaltene Stümpfe) für diese Techniken eigenen. Langfristige In-vivo-Ergebnisse stehen aus und müssen sich am aktuellen Goldstandard der anatomischen VKB-Rekonstruktion mit autologen Sehnentransplantaten messen (Abb. 1-2).
Hinteres Kreuzband
Isolierte hintere Kreuzbandrupturen haben gutes Potenzial zur Spontanheilung – allerdings nur, wenn eine adäquate konservative Therapie erfolgt. Diese besteht in einer 6-wöchigen Entlastung unter strecknaher Ruhigstellung in der vorderen Schublade. Im Anschluss sollte mindestens 6 weitere Wochen unter Belastung eine dynamische HKB-Orthese verwendet werden. Nach 3–4 Monaten wird klinisch und mittels gehaltener Röntgenaufnahmen im Seitenvergleich die Stabilität/Instabilität evaluiert. Besondere Aufmerksamkeit sollte hierbei den peripheren Kapselbandstrukturen zukommen, da sie einen nicht unwesentlichen Beitrag zur (Rotations-)Stabilität beitragen [25]. Im Falle einer Indikation zur HKB-Rekonstruktion muss häufig auch das posterolaterale Eck rekonstruiert werden, um postoperative Rest-Instabilitäten zu vermeiden [5, 26]. Die aktuell gängigsten Methoden hierzu sind die Larson-Schlinge und der Popliteus-Bypass. In der Regel ist die Nutzung kontralateraler Hamstring-Sehnen notwendig (erhöhte Transplantat-Entnahmemorbidität, steriles Abdecken der Gegenseite!). Die Verwendung des Ligamys-Systems ist beim hinteren Kreuzband zwar vielversprechend, aber aktuell noch experimentell.
Meniskus
Während einst von der weitgehenden Funktionslosigkeit der Menisci ausgegangen und teils sogar deren prophylaktische Resektion propagiert wurde, ist deren Stellenwert heute hinreichend bekannt. Ebenso die (Spät-)Folgen aggressiver Meniskus(teil)entfernungen. So geht der Trend bereits seit längerem zu Meniskuserhalt, -refixation und -rekonstruktion. Zusätzlich zu den klassischen Techniken der Inside-out und Outside-in Meniskusnähte ist mittlerweile eine Fülle an Geräten und Implantaten auf dem Markt, die eine All-inside Refixation der Menisci ermöglichen [27, 28]. Für Fälle, bei denen dennoch eine weitreichende Meniskusentfernung unumgänglich ist, sind Meniskus-Implantate aus Polyurethan oder Kollagen verfügbar, die arthroskopisch gestützt in den Rest-Meniskus integriert werden können [29, 30]. Hier stehen allerdings langfristige Ergebnisse und prospektiv randomisierte Analysen aus. Analog zum VKB haben Meniskusallografts zur Transplantation in Deutschland einen eher geringen Stellenwert.
Zunehmend im Fokus der Diagnostik und Therapie sind Meniskuswurzelläsionen, da sie in ausgeprägter Form eine funktionelle Meniskektomie darstellen können. Techniken zur Wurzelrefixation mit Auszugsnähten oder Fadenankern sind beschrieben worden [31, 32]. Die Beachtung und Adressierung möglicher Begleitpathologien, insbesondere Achsabweichungen, ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung.
Als häufig übersehene Begleitpathologie [33] von VKB-Rupturen gilt den sogenannten Innenmeniskus-Rampen-Läsionen mehr und mehr Aufmerksamkeit. Hierunter versteht man kapselnahe Verletzungen des Innenmeniskushinterhorns, die nur mittels arthroskopischem Blick durch die Notch oder über einen posteromedialen Zugang visualisiert werden können, bisweilen eine schlechte Spontanheilungstendenz zeigen und für eine persistierende Rotationsinstabilität nach VKB-Plastik verantwortlich sein können. Je nach Rupturform und Ausdehnung wird hier eine Naht über ein posteromediales Portal empfohlen [34] (Abb. 3).
Periphere Instabilitäten
Für Schlagzeilen selbst außerhalb medizinischer Fachzeitschriften sorgte 2013 die „Entdeckung einer neuen Bandstruktur“ am Kniegelenk. Schnell wurde das anterolaterale Ligament (ALL) bzw. das Unterlassen seiner Rekonstruktion als mögliche Ursache für persistierende Rotationsinstabilitäten nach VKB-Rekonstruktionen identifiziert. Dies führte zu einem regelrechten Revival der peripheren Rekonstruktionsverfahren. Die tatsächliche Rolle des ALL in der passiven Rotationsstabilisierung des Kniegelenks ist aufgrund der widersprüchlichen Ergebnisse biomechanischer Studien weiter umstritten. Kollektive, in denen eine VKB-Plastik mit einer anatomischen ALL-Rekonstruktion (autologes Sehnentransplantat) kombiniert wurde, zeigen eine reduzierte Re-Ruptur-Rate im Vergleich zur alleinigen VKB-Rekonstruktion [35, 36]. Demgegenüber wird auch ein Overconstraint bei anatomischer ALL-Rekonstruktion beschrieben [8], welches ein erhöhtes Arthroserisiko mit sich führen könnte. Aufgrund der aktuell relativ kurzen Follow-ups bleibt diese Frage aktuell offen. Ebenso wenig konnte bislang geklärt werden, welche Patienten tatsächlich von einer ALL-Rekonstruktion profitieren und ob eine anatomische Rekonstruktion mit freiem Sehnentransplantat den extra-anatomischen Verfahren (z.B. Lemaire) überlegen ist.