Übersichtsarbeiten - OUP 04/2015
Belastungsparameter im sensomotorischen Training
T. Pohl1, T. Brauner1, T. Horstmann1,2
Zusammenfassung: Trotz Erkenntnissen zur allgemeinen Wirksamkeit weist der Bereich SMT nach wie vor eine Vielzahl von offenen Fragen auf, die sich durch die Komplexität dieser Thematik begründen. Ziel dieses Übersichtsartikels ist die Zusammenfassung evidenzbasierter Erkenntnisse zur Dosis-Wirkungsbeziehung im sensomotorischen Training. Dazu werden die Ergebnisse aktueller Übersichtsarbeiten zusammengefasst und die trainingswirksamen Parameter herausgearbeitet und diskutiert.
Schlüsselwörter: Dosis-Wirkungsbeziehung, Umfang, Intensität, neuromuskuläres Training, propriozeptives Training
Zitierweise
Pohl T, Brauner T, Horstmann T. Belastungsparameter im sensomotorischen Training.
OUP 2015; 04: 200–204 DOI 10.3238/oup.2015.0200–0204
Summary: Despite the knowledge about the general effectiveness of sensorimotor training, several questions remain unanswered due to the complexity of sensorimotor training. The purpose of this review is to summarize evidence based insights of the dose-response relationship in sensorimotor training. Therefore, the results of current reviews are summarized and the effective training parameters are worked out and discussed.
Keywords: dose-response relationship, extend, intensity,
neuromuscular training, proprioceptive training
Citation
Pohl T, Brauner T, Horstmann T. Load parameters in sensorimotor training.
OUP 2015; 04: 200–204 DOI 10.3238/oup.2015.0200–0204
Einleitung
Unter sensomotorischem Training (SMT), häufig auch als neuromuskuläres (NMT) oder propriozeptives Training (PT) bezeichnet, werden Trainingsformen zusammengefasst, die das sensomotorische System verbessern sollen. Generell konnten Effekte des SMT in verschiedensten Umfeldern von Therapie bis Leistungssport nachgewiesen werden. Im (Leistungs-) Sport erhöht ein gezielter Einsatz von SMT die Effektivität von klassischem Krafttraining [1, 2], im Bereich der Verletzungsprävention konnte die verletzungsprophylaktische Wirkung des SMT nachgewiesen werden [3–5] und in der Rehabilitation von orthopädischen Verletzungen ist das SMT als fester Therapiebaustein nicht mehr wegzudenken [6–8]. Hier steigerte SMT die Leistungsfähigkeit nach diversen Verletzungsformen, wie z.B. nach funktioneller und chronischer Sprunggelenkinstabilität [5], Vorderer Kreuzbandrekonstruktion [5], Hüftarthrose [9] und Kniearthrose [10, 11]. Weiterhin gibt es in der Literatur Hinweise für eine Verbesserung im statischen und dynamischen Gleichgewicht [12], die Propriozeption [13, 14] und die Stabilisierungsfähigkeit [9] nach SMT Interventionen.
Trotz dieser Erkenntnisse zur allgemeinen Wirksamkeit weist der Bereich SMT nach wie vor eine Vielzahl von offenen Fragen auf, die sich durch die Komplexität dieser Thematik begründen. Der Fokus verwendeter sensomotorischer Übungen kann durch viele Parameter variiert werden. Beim Balance-Training zählen hierzu z.B. unterschiedliche Körperhaltungen, Art und Größe der Unterstützungsfläche, unterschiedliche Bewegungsaufgaben sowie die Kombination mit dem Training anderer konditioneller Fähigkeiten wie z.B. dem Krafttraining. Je nach Fokus rücken schwerpunktmäßig andere sensomotorische Fähigkeiten, wie statisches Gleichgewicht, funktionelle Gelenkstabilität oder die Propriozeption in den Vordergrund. Während in der Praxis Therapeuten die genannten Übungsparameter je nach angestrebtem Schwerpunkt erfolgreich variieren, liegen in der Wissenschaft kaum evidenzbasierte Erkenntnisse vor, wie die Parameter festzulegen sind, um möglichst erfolgreich zu sein. Noch schwerwiegender erweisen sich die Wissenslücken zu den klassischen Belastungsparametern Umfang, Dauer und Intensität. Während beim Ausdauer- und Krafttraining Belastungsparameter für die verschiedensten Ansprüche hinlänglich bekannt und weitestgehend evidenzbasiert belegt sind [15], liegen beim SMT wenig evidenzbasierte Informationen dazu vor. In vielen aktuellen Studien fordern die Autoren Untersuchungen der Belastungsparameter von SMT unter Berücksichtigung der Dosis-Wirkungsbeziehung [12, 16–19]. Im Folgenden werden aktuelle Übersichtsarbeiten vorgestellt, welche die Effektivität und die Dosis-Wirkungsbeziehung von SMT thematisiert haben. Im Anschluss fassen wir die Angaben über Parameter bezüglich Dauer der Einheiten, Länge der Intervention, Frequenz und Intensität von SMT zusammen.
Überblick über aktuelle
Übersichtsarbeiten
In den Jahren 2008–2015 sind 6 Übersichtsarbeiten veröffentlich worden, in denen Belastungsparameter des SMT retrospektiv aus Primärstudien mit einem positiven Effekt von SMT extrahiert wurden. Die Analysen unterscheiden sich dabei hinsichtlich Probandenklientel und der untersuchten anatomischen Strukturen.
Die Arbeitsgruppe um Zech, Hübscher, Vogt, Banzer, Hänsel und Pfeifer erarbeitete 2010 eine systematischen Übersichtsarbeit zum Thema ,Balance Training for Neuromuscular Control and Performance Enhancement‘. Sie zeigten auf, dass ein Gleichgewichtstraining die posturale Schwankung und das dynamische Gleichgewicht in Athleten und Nichtathleten positiv beeinflusst. Die Autoren berichten weiterhin von kontroversen Hinweisen auf Effekte von SMT auf Sprungleistungen, Koordination, spinale Reflexe, Muskelaktivität und Kraftentwicklungsrate [12].
Dieselbe Arbeitsgruppe findet in ihrer Übersichtsarbeit zur Wirksamkeit von NMT auf die Rehabilitation von Sportverletzungen eine moderate Evidenz. Sie schlussfolgern, dass NMT als eine effektive Methode zur Prävention weiterer Verletzungen im Sinne tertiärer Prävention und zur Verbesserung der Gelenkfunktion einzusetzen ist [5].
Aman, Elangovan, Yeh und Konczak analysierten 2014 die Effektivität von PT zur Verbesserung motorischer Funktionen. In ihrer Übersichtsarbeit untersuchten sie die folgenden Arten von SMT-Interventionen: aktive Bewegung/Gleichgewichtstraining, passives Bewegungstraining, somatosensorisches Stimulationstraining, somatosensorisches Diskriminationstraining und kombiniertes/multiple-Systeme-Training. Die Autoren schlussfolgerten, dass PT effektiv die propriozeptive Funktion verbessern kann. Dabei lagen die Verbesserungsraten von 29 der 51 eingeschlossenen Studien über 20 %. Gleichzeitig konnten 20 von 42 Studien, für die eine Effektstärke berechnet werden konnte, Effektstärken von mehr als 0,5 aufweisen [20].
McKeon und Hertel versuchten in ihrer Übersichtsarbeit von 2008 drei Fragen zu beantworten:
- 1. Ob prophylaktisches Gleichgewichts- und Koordinationstraining das Risiko eines Supinationstraumas senkt?
- 2. Ob Gleichgewichts- und Koordinationstraining die Behandlungsergebnisse eines akuten Sprunggelenktraumas verbessert und
- 3. ob Gleichgewichts- und Koordinationstraining die Behandlungsergebnisse bei chronischer Sprunggelenkinstabilität verbessert.
Für die Fragen 1 und 2 zeigte die Datensynthese eine Evidenz für eine Risikosenkung bei Supinationstraumata, vor allem bei schon einmal verletzten Athleten, und eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse bei akuten Sprunggelenktraumata. Frage 3, ob sich das Risiko des Umknickens bei chronischer Sprunggelenkinstabilität positiv beeinflussen lässt, konnte anhand der Daten nicht berechnet werden und deren Beantwortung bleibt somit unklar [21].