Übersichtsarbeiten - OUP 11/2015

Bewegungsprogramme zur Vorbeugung und Behandlung der Osteoporose

Hartmut Bork1

Zusammenfassung: Bewegungstherapeutische Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung der Osteoporose haben im Rahmen eines interdisziplinären Behandlungsansatzes einen zunehmenden Stellenwert, zumal eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren das Krankheitsgeschehen und ihren Verlauf beeinflusst. Die Osteoporose-bedingte Fraktur stellt dabei im Alter eine der Hauptursachen für funktionelle Einschränkungen, Behinderung, chronische Schmerzsyndrome sowie eine erhöhte Morbidität und Mortalität dar. Risikofaktor für eine Osteoporose-bedingte Fraktur ist neben einer verminderten Knochenmasse und -festigkeit vor allem eine zum Sturz führende herabgesetzte neuromuskuläre Kapazität durch funktionelle Einbußen im Kraft- und Gleichgewichtsvermögen mit einer daraus resultierenden Gangunsicherheit. Allein medikamentöse Therapieansätze, die ossären Strukturen mittels spezifischer Pharmaka zu festigen, reichen nicht aus. Aktive Bewegungsprogramme mit sport- und physiotherapeutischen Maßnahmen können zusätzlich einen wertvollen Beitrag sowohl zur Verminderung der Sturzangst als auch zur Prävention von Stürzen und zur Therapie der Osteoporose leisten.

Schlüsselwörter : Sturz, Sturzangst, Osteoporose-bedingte Fraktur, Krafttraining im Alter, Gleichgewichtstraining im Alter, Bewegungstherapie, Osteoporose

Zitierweise
Bork H. Bewegungsprogramme zur Vorbeugung und Behandlung der Osteoporose.
OUP 2015; 11: 531–535 DOI 10.3238/oup.2015.0531–0535

Summary: Physical exercise programs are an important factor for prevention and therapy of osteoporosis, because medical treatment alone is not sufficient to stabilize osteoporotic bone and prevent osteoporosis induced fractures. The main reason for osteoporosis induced fractures in elderly persons is – beside reduction of bone mass and stability – reduced neuromuscular capacity with loss of muscle strength, balance and gait control that causes fall. Osteoporotic fractures often lead to a functional disorder, disability, chronic pain and a rising morbidity and mortality. Exercise trials on resistance, endurance and balance training with high training intensities therefore make an important contribution to prevent fractures by improving physical fitness of elderly persons and their reduced fear of falling.

Keywords: Falls, fear of falling, osteoporosis induced fracture, strength training for elderly individuals, balance training for elderly individuals, exercise, osteoporosis

Citation
Bork H. Physical exercise for prevention and therapy of osteoporosis. OUP 2015; 11: 531–535 DOI 10.3238/oup.2015.0531–0535

Hintergrund

Die Osteoporose als systemische Skeletterkrankung zählt zu den ökonomisch bedeutsamsten Erkrankungen in Deutschland. Ihre Relevanz für das Gesundheitssystem wird in den nächsten Jahren infolge der demografischen Entwicklung noch um ein Vielfaches zunehmen, da Inzidenz und Prävalenz der Osteoporose und osteoporotischer Frakturen stark altersassoziiert sind. Umso wichtiger werden zukünftig interdisziplinäre Behandlungsansätze auch in Form aktiver bewegungstherapeutischer Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung der Osteoporose, zumal eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren das Krankheitsgeschehen und ihren Verlauf beeinflusst. Neben physiologischen Alterungsprozessen, erblichen Faktoren und bestimmten, die Osteoporose fördernden Erkrankungen sowie der Einnahme von einigen, den Knochenstoffwechsel beeinflussenden Medikamenten, spielt u.a. das Ernährungs- und Bewegungsverhalten eine modulierende Rolle. Schwerwiegendste Komplikation ist mithin die Osteoporose-bedingte Fraktur. Die Osteoporose-bedingte Fraktur stellt im Alter eine der Hauptursachen für funktionelle Einschränkungen, Behinderung, chronische Schmerzsyndrome sowie eine erhöhte Morbidität und Mortalität dar [4, 11] und trägt entscheidend zum Verlust an Lebensqualität und Autonomie älterer Menschen bei [16].

Sturzrisiko

Risikofaktor für eine Osteoporose-bedingte Fraktur ist neben einer verminderten Knochenmasse und -festigkeit vor allem eine zum Sturz führende, herabgesetzte neuromuskuläre Kapazität durch funktionelle Einbußen im Kraft- und Gleichgewichtsvermögen mit einer daraus resultierenden Gangunsicherheit [5, 6, 9]. Zur Reduktion der motorischen Kompetenz kommt im Alter noch eine Minderung der visuellen und vestibulären Fähigkeiten hinzu, wodurch das Sturzrisiko zusätzlich erhöht wird. Altersassoziierte Stürze sind demzufolge multikausal bedingt mit einer komplexen Interaktion aus intrinsischen Faktoren wie Muskelschwäche und Gleichgewichtsstörungen sowie extrinsischen Faktoren wie Medikation, Sehstörungen oder „Stolperfallen“ im häuslichen Umfeld [5, 6].

Um das Sturzrisiko besser abschätzen zu können, sollten mit Betroffenen einfach durchfühbare Assessments wie z.B. der Chair-Rising-Test, Functional-Reach-Test, Einbein-Stand, Statische-Balance-Tests (FICSIT), die Gehgeschwindigkeit oder der Timed-up-and-go-Test zur Überprüfung von Muskelkraft und -leistung der unteren Extremitäten erfolgen. Auch umfangreichere Performance-Tests wie die Short-Physical-Performance-Battery, der Tinetti-Test (POMA, G-POMA/ B-POMA) und der Geh- und Zähltest können neben der häuslichen Abklärung möglicher Sturzquellen hilfreich bei der Beurteilung der Sturzgefahr sein [6].

Epidemiologische Daten zur Sturzprävalenz und -inzidenz fehlen in Deutschland weitgehend. Internationale Studien belegen aber, dass 40 % der über 80-jährigen zu Hause lebenden Personen mindestens einmal pro Jahr stürzen, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. In Pflegewohnheimen wird das Sturzrisiko noch höher eingeschätzt. Mit höherem Alter und zunehmender Morbidität steigt das Risiko eines Sturzes weiter [10, 18]. Der Vermeidung von Stürzen und sturzbedingten Verletzungen kommt daher eine maßgebliche Bedeutung für die Gesundheit im Alter zu. Allein medikamentöse Therapieansätze, die ossären Strukturen mittels spezifischer Pharmaka zu festigen, reichen nicht aus. Aktive Bewegungsprogramme mit Sport- und Physiotherapie können zusätzlich einen wertvollen Beitrag sowohl zur Verminderung der Sturzangst als auch zur Prävention von Stürzen und zur Therapie der Osteoporose leisten.

Sturzangst

Sturzangst und die damit verbundene Einschränkung der körperlichen Aktivität ist unter älteren Menschen weit verbreitet, und zwar sowohl bei Menschen mit positiver Sturzanamnese als auch bei Menschen, die noch nicht gestürzt sind. Ansatzpunkt der Bewegungstherapie sind in diesem Zusammenhang gezielte Maßnahmen zur Förderung der neuromuskulären Kapazität. So kann das Selbstvertrauen in die eigene körperliche Leistungsfähigkeit bei Betroffenen wiederaufgebaut und versucht werden, den Teufelskreislauf einer durch Sturzangst bedingten Selbstbeschränkung und damit zunehmender Dekonditionierung infolge weiteren Abbaus physischer Funktionsfähigkeit zu durchbrechen.

Bewegungstherapie

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