Übersichtsarbeiten - OUP 09/2016

Biologische Augmentation – was, wann, wo?
Aktuelle Möglichkeiten der KnorpelchirurgieCurrent concepts treating cartilage defects

Gerrit Bode1, Norbert P. Südkamp1, Philipp Niemeyer1

Einleitung: Die Indikation zur Behandlung vollschichtiger Knorpelschäden erfordert eine detaillierte Patientenselektion und präoperative Analyse. Die Auswahl des einzelnen Operationsverfahrens richtet sich nach der Defektart, -größe, den zugrunde liegenden Begleitpathologien sowie dem sportlichen Aktivitätsniveau der Patienten. Die autologe Chondrozytentransplantation ist mittlerweile ein etabliertes Verfahren mit hohem Evidenzgrad. Langfristig könnten einzeitige, zellbasierte Verfahren eine Alternative zur ACT darstellen.

Schlüsselwörter: Knorpelschaden, Zelltherapie, autologe
Chondrozytentransplantation, Knorpelregeneration

Zitierweise
Bode G, Südkamp NP, Niemeyer P: Biologische Augmentation – Was, wann, wo? Aktuelle Möglichkeiten der Knorpelchirurgie.
OUP 2016; 9: 505–508 DOI 10.3238/oup.2016.0505–0508

Introduction: The indication for the treatment of full size cartilage damage requires detailed patient selection and preoperative analysis. The selection of the applied surgical technique depends on the type of defect, size , the underlying accompanying pathologies and the physical activity level of the patient .Autologous chondrocyte transplantation has become an established method with a high level of evidence. In the long run one-step, cell-based methods may provide an alternative to ACT .

Keywords: cartilage defect, cell therapy, autologous chondrozyte transplantation, cartilage regeneration

Citation
Bode G, Südkamp NP, Niemeyer P: Biological augmentation? Which technique, when and where. Current concepts treating cartilage
defects. OUP 2016; 9: 505–508 DOI 10.3238/oup.2016.0505–0508

Grundlagen

Am Beginn einer jeden knorpelregenerativen Therapie steht weiterhin die kritische Prüfung der Indikation und eine dezidierte Analyse der Defektart und seiner jeweiligen Begleitpathologien. Dementsprechend orientiert sich auch die Therapieempfehlung der DGOU an den 3 Kernfragen der Defektgröße, der Unterteilung in isolierte Knorpelschäden versus osteochondrale Defekte und neuerdings dem Aktivitätsgrad des einzelnen Patienten mit der Tendenz zur frühzeitigeren autologen Chondrozytentransplantation bereits bei einer Defektgröße von ca. 2,5 cm2 sowie einem höhergradigen Aktivitätsniveau.

Unabhängig von diesen Parametern besteht Einigkeit über die Notwendigkeit, zugrunde liegende Begleitpathologien wie Achsdeformitäten und Bandinstabilitäten einzeitig mit dem knorpelregenerativen Verfahren zu adressieren [2]. Darüber hinaus stellte die manifeste Arthrose weiterhin die wichtigste Kontraindikation für jegliche operative Knorpelchirurgie dar.

Da vollschichtige Knorpelschäden sowohl in ihrer Defektgröße als auch -tiefe voranschreiten und somit nicht nur einen prädisponierenden Faktor der langfristig folgenden Arthrose darstellen, sondern zudem auch die Lebensqualität und sportliche Aktivität der betroffenen Patienten im vergleichbaren Ausmaß wie eine fortgeschrittene Arthrose einschränken, kommt der klinischem Diagnostik ein hoher Stellenwert zu [10].

Nativradiologisch ist eine Beurteilung des Knorpelüberzugs nur indirekt möglich, sodass die Kellgren-Lawrence-Klassifikation nahezu ungeeignet ist und daher nativradiolisch keinerlei Anzeichen einer Osteoarthrose, entsprechend Kellgren-Lawrence Grad I, vorliegen sollte. Wesentlich entscheidender sind die kernspintomografischen Charakteristika wie Defektgröße, -tiefe, Größe des umgebenden subchondralen Ödems, Anzahl subchondraler Zysten, begleitende Meniskusläsionen, Osteophyten, Synovitis und intrartikulärer Erguss, für die ein prognostischer Faktor im Hinblick auf das postoperative Outcome nachgewiesen werden konnte [19]. Zusammenfassend stellte weiterhin der singuläre, fokale, nicht voroperierte umschrieben Knorpeldefekt mit intakter korrespondierender Gelenkfläche, stabilen Defekträndern und einer möglichst kurzen Symptomdauer die ideale Indikation zur Knorpeltherapie dar.

Die Notwendigkeit einer operativen Therapie derartiger Knorpelschäden begründet sich in der Tatsache, dass isolierte Knorpelschäden nicht persistierend, sondern langfristig voranschreiten, was letztlich in einer Veränderung der Gelenkhomöostase hin zu einem katabolen Milieu und somit einer inflammtorischen Reaktion mit abschließender Gelenkdestruktion resultiert [24, 6]. Die aktuell zur Verfügung stehenden knorpelregenerativen Verfahren sind daher auch nicht in Konkurrenz zu endoprothetischen Therapieoptionen zu verstehen, sondern vielmehr als gelenkerhaltende biologische Therapie, deren Ziel in der Verzögerung, bzw. wenn möglich, der Vermeidung einer späteren Arthrose liegen, da hier nicht die einmal eingetretene Arthrose selbst, sondern ihre Vorstufen therapiert werden. Dies verdeutlicht auch das mit 37,47 Jahren ± 11,99 relativ junge Durchschnittsalter der im Knorpelregister der DGOU erfassten Patienten nach knorpelregenerativen Maßnahmen.

Der definitive wissenschaftliche Beweis der Vermeidung einer Arthrose durch knorpelregenerative Therapien steht noch aus. Allerdings konnte kernspintomografisch gezeigt werden, dass der Progress der Meniskusdegeneration bei vorbestehenden Knorpelschäden durch die jeweiligen knorpelchirurgischen Therapien aufgehalten werden konnte [12].

Operationstec

hniken

Die zur Verfügung stehenden operativen Verfahren zur Knorpeltherapie gliedern sich weiterhin in die Gruppe der Transplantationstechniken mit ihren führenden Vertretern der osteochondralen Transplantation (OATS) und der autologen Chondrozytentransplantation (ACT) sowie den knochenmarkstimulierenden Techniken wie der Pridie-Bohrung, der Mikrofrakturierung oder der autologen matrix-induzierten Chondrogenese (AMIC) im Sinne einer Mikrofrakturierung plus Biomaterial.

In den vergangenen Jahren war durch zunehmende Evidenzlage – auch basierend auf der Zuordnung autologer Knorpelzellen zum Arzneimittelgesetz (AMG) und der konsekutiven Notwendigkeit von prospektiv randomisierten Zulassungsstudien [21, 23, 26] – zellbasierter Verfahren und vor dem Hintergrund kritischer Berichte in Bezug auf irreversible und ungünstige Veränderungen im subchondralen Knochen nach knochenmarkstimulierenden Operationsverfahren im Bereich der knorpelregenerativen operativen Therapie ein zunehmender Trend zur Zelltherapie zu erkennen. Dieser äußert sich in höheren Anwendungszahlen trotz erhöhtem bürokratischem und regulativem Aufwand, aber auch bereits in verschiedenen Empfehlungen von Fachgesellschaften, welche in den Aktualisierungen Ihrer Empfehlungen eine Ausweitung der Indikation zellbasierter Therapieverfahren vorschlagen. So wurde u.a. von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) in der im Jahr 2004 publizierten Empfehlung zunächst eine Grenze von 4 cm2 als unterste Limitierung für die ACT angesehen, während diese Grenze – basierend auf den günstigen Ergebnissen insbesondere bei aktiven und sportlichen Patienten – auf 2,5 cm2 gesenkt wurde (Abb. 1). Da weiterhin die Indikation der ACT vor dem Hintergrund [15] einer erhöhten Versagerrate nach stattgehabter Mikrofrakturierung auch im Grenzbereich zunehmend empfohlen wird, ergibt sich hieraus eine zusätzliche Indikationserweiterung [16, 13]. Die histologische Überlegenheit der ACT versus knochenmarkstimulierenden Techniken konnte mehrfach gezeigt werden [23] und stellt möglicherweise die Grundlage für die auch in neueren Meta-Analysen dargestellte Überlegenheit neuer ACT Generationen im Vergleich zur arthroskopischen Mikrofrakturierung dar [14].

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