Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015
Chronischer KnieschmerzHäufigkeit, Ursachen und BehandlungsoptionenFrequency, causes and treatment
Die psychotherapeutische Gruppenbehandlung wird in 2 Einheiten je 90 Minuten (Schmerzbewältigungstherapie) und in 2 Einheiten je 45 bzw. 30 Minuten (Entspannungstherapie) pro Woche abgehalten. Zusätzlich zu den Gruppenbehandlungen werden bei Bedarf psychotherapeutische Einzelgespräche angeboten. Während dieser Einzelsitzungen wird gemeinsam eruiert, ob über das Gruppenprogramm hinaus eine längerfristige, ambulante psychotherapeutische Behandlung indiziert ist.
Die psychotherapeutische Behandlung im Rahmen der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie basiert auf Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie. Grundlage der Therapie ist, dass neben der Nozizeption die emotionale Bewertung des Schmerzes und das Schmerzverhalten maßgeblich am Schmerzerleben und der Schmerzchronifizierung beteiligt sind. Das primär oft somatisch geprägte Krankheitsmodell der Patienten wird im Rahmen der Therapie zu einem biopsychosozialen Krankheitsmodell ausgebaut und das Kontroll- und Kompetenzerleben gesteigert.
Dysfunktionale Kognitionen, z.B. das sogenannte Katastrophisieren („ich werde nie wieder richtig gehen können“ etc.) werden im Rahmen der Therapie bearbeitet. Gezielte kognitive Umstrukturierungsmaßnahmen werden genutzt, um einer unrealistischen und exzessiven gedanklichen Verschlimmerung der eigenen Situation entgegenzuwirken. Hierzu wird der Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten erläutert und neue angemessene Sichtweisen erarbeitet.
Bei einer Mehrzahl der chronischen Schmerzpatienten sind psychosoziale Belastungsfaktoren, wie z.B. Konflikte am Arbeitsplatz oder sozialer Rückzug vorhanden. Dieses hohe soziale Belastungsniveau, gepaart mit depressiven Symptomen und ausgeprägtem Angstvermeidungsverhalten, führt häufig zu einer Überforderung der Patienten und zu einem deutlich erhöhten Stresslevel. Zur Stressbewältigung werden die Auswirkungen von chronischem Stress auf den Körper erarbeitet und in der Gruppe diskutiert. Die verschiedenen Ebenen von Stress (Stressoren, Stressverstärkung und Stressreaktion) werden individuell herausgearbeitet und entsprechende Ansatzpunkte und erste Lösungswege in der Gruppe erarbeitet.
Ein wesentlicher psychotherapeutischer Behandlungsansatz ist die Schmerzdefokussierung. Im Genusstraining geht es um Übungen zur Reaktivierung der Genussfähigkeit und der Förderung angenehmer Körpererfahrungen mit dem Ziel, den Schmerz durch die Freude, das Lachen und die Konzentration auf positive Aspekte den Alltags bewusst in den Hintergrund zu drängen. Dies kann in unterschiedlicher Art und Weise geschehen, zum Beispiel Entspannung unter emotional positiven Vorstellungen oder auch Aufmerksamkeitslenkung über wenig genutzte sensorische Kanäle (z.B. Geruchs- oder Tastsinn). Auch sich selbst zu belohnen und sich lange Gewünschtes zu erfüllen oder einfach nur die kleinen Freuden des Alltags zu entdecken, sind Bausteine dieser positiven Aufmerksamkeitslenkung.
Entspannungstherapien werden regelmäßig im Rahmen von multimodalen Schmerztherapien angewandt. Bei der Progressiven Muskelentspannung nach Jacobson (PME) handelt es sich um ein Verfahren, bei dem durch die willentliche und bewusste An- und Entspannung bestimmter Muskelgruppen ein Zustand tiefer Entspannung des ganzen Körpers erreicht werden soll. Dieses Training dient der Unterbrechung des Teufelskreislaufs aus Schmerz-Anspannung-Stress, indem erhöhte Muskelaktivität gezielt reduziert wird.
Die funktionelle Behandlung im multimodalen interdisziplinären Behandlungsprogramm setzt sich aus der medizinischen Trainingstherapie, physiotherapeutischen Gruppenbehandlungen und dem Work Hardening zusammen.
Die Trainingssteuerung in der Medizinischen Trainingstherapie (MTT) erfolgt nicht schmerzorientiert, sondern leistungskontingent. Dies bedeutet, dass der unter Belastung auftretende Schmerz weder ein Abbruchkriterium darstellt, noch die Trainingssteuerung bestimmt. Hauptkriterium für die Trainingssteuerung ist die individuelle Leistungsfähigkeit des Patienten mit dem Ziel der Funktionsverbesserung. Häufig liegt die Schmerzgrenze der Patienten unterhalb der Reizschwelle der Muskulatur und muss zur Erreichung adäquater Trainingsreize überschritten werden. Die individuelle Trainingssteuerung orientiert sich nicht am pathophysiologischen Befund des Patienten, sondern am Zustand der oft dekonditionierten Muskulatur mit dem Ziel der Wiederherstellung/Verbesserung von Stabilität und Belastbarkeit [42].
Durch zahlreiche Studien konnte bei Patienten mit chronischem Knieschmerz eine Schwäche der Glutealmuskulatur [43, 44], sowie eine Atrophie des M. quadriceps vastus medialis [45, 46, 47] gezeigt werden. Sowohl der abduktorischen Hüftmuskulatur als auch dem M. quadriceps vastus medialis werden wichtige stabilisierende Funktionen für das Kniegelenk zugesprochen. 53 % der medialen Stabilisation der Patella erfolgen z.B. durch die horizontalen Fasern des M. quadriceps vastus medialis [47].
Ein regelmäßiges kardiopulmonales Ausdauertraining ist Bestandteil der multimodalen interdisziplinären Schmerztherapie. Viele Patienten haben aufgrund langer Phasen der Schonung an kardiopulmonaler und muskulärer Ausdauerleistungsfähigkeit eingebüßt. Häufig wird von Patienten mit chronischen Knieschmerzen das klare Ziel formuliert, wieder längere Distanzen Fahrrad fahren zu können sowie die Geh- oder Joggingstrecke zu vergrößern. Des Weiteren wirkt sich die Verbesserung der allgemeinen Ausdauerfähigkeit positiv auf Depressionen und die allgemeine Stimmungslage aus [48, 49].
Ein Kernstück der multimodalen interdisziplinären Schmerztherapie stellt das Work Hardening dar. Work Hardening ist eine intensive funktionelle, körperlich aktivierende Maßnahme mit dem Ziel den Patienten auf berufsspezifische und private Alltagssituationen, -abläufe und -belastungen vorzubereiten und diese somit zu rekonditionieren [42, 50, 51]. Durch einen Fragebogen wird erhoben, welche alltags- und berufsspezifischen Tätigkeiten die Patienten wieder besser und mit mehr Selbstvertrauen ausführen wollen und welche Belastungen die Knieschmerzen hervorrufen oder momentan gar nicht ausgeführt werden können. Die Patienten sollen ihr aktuelles Aktivitätslevel sowie das Ausmaß, mit dem der Knieschmerz ihr alltägliches Leben beeinflusst, einschätzen. Durch eine stufenweise Steigerung der Belastung im Sinne des Pacings werden diese Tätigkeiten gemeinsam mit dem Patienten geübt. Vielfache Wiederholungen über einen festgelegten Zeitraum sollen eine Bewusstseinserweiterung für das eigene Körpergefühl hervorrufen und die Angst vor bestimmten Belastungen reduzieren (Abb. 3).
Durch das Erkennen und Steuern kognitiver Leistungsmodelle (Überforderer, Vermeider) wird eine progressive, individuell angepasste Belastungssteigerung ermöglicht, welche im Work Hardening nicht nur durch Erhöhung der Gewichte erfolgt, sondern auch durch Veränderungen der Körperhaltungen, der Komplexität von Bewegungsmustern sowie eine Erhöhung der Belastungsdauer. Das Work Hardening stellt besondere Anforderungen an Therapeut und Patient. Aufgabe des Therapeuten ist es, Defizite und Ressourcen des Patienten zu erkennen, zu analysieren und gezielt individuell zu nutzen und zu therapieren. Hierfür muss eine intensive Vertrauensbasis zwischen Therapeut und Patient hergestellt werden, da vermeintlich verbotene oder angstbesetzte Haltungen und Belastungen von dem Patienten gefordert werden [42, 50].