Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Das Iliosakralgelenk
Von der Anatomie zur Therapie

Das Nativröntgen ist wegen der fehlenden dreidimensionalen Abbildung eines komplexen Gelenkes nur bei massiven Veränderungen wie erheblichen Arthrosen oder Synostosen aussagekräftig [3].

Besteht jedoch der Verdacht auf eine rheumatische Sakroiliitis, kann die MRT-Untersuchung mit der STIR-Sequenz („short tau inversion recovery“) die Verdachtsdiagnose erhärten [2, 3, 21]. Weiterhin kann die Bildgebung mit MRT und/oder Computertomographie bei Patientinnen/Patienten mit positiver Traumaanamnese oder Verdacht auf Insuffizienzfraktur des hinteren Beckenrings wichtige differenzialdiagnostische Informationen liefern [21, 34].

Labordiagnostik

Die reine funktionelle Störung des ISG hat kein pathognomonisches laborchemisches Korrelat. Aus diesem Grund dient die Labordiagnostik, ähnlich der bildgebenden Diagnostik, primär der Abgrenzung differenzialdiagnostisch wichtiger Erkrankungsbilder. Bei klinisch-anamnestischem Verdacht auf eine bakterielle Entzündung sollte daher ein Blutbild mit Bestimmung von C-reaktivem Protein (CRP) und ggf. Prokalzitonin abgenommen werden. Im Rahmen des Ewing-Sarkoms besteht häufig eine auffällige Erhöhung laborchemischer Infektparameter. Bei Verdacht auf eine axiale Spondylarthritis finden sich Erhöhungen von Blutsenkungsgeschwindigkeit und CRP. Zudem sollte die Bestimmung des humanen Leukozytenantigens HLA-B27 erfolgen [1, 21, 34].

Diagnostischer Block

Bei erhärtetem klinischem Verdacht auf eine ISG-Funktionsstörung beschreiben Literaturquellen den diagnostischen Block als diagnostischen Referenzstandard. Uneinigkeit besteht jedoch bezüglich der quantitativen Reduktion des Schmerzes, ab welcher diese als „positiv“ gewertet wird. Prozentuale Angaben zwischen 70 und 90 % werden genannt. Zur Verbesserung der Präzision sollte die Infiltration grundsätzlich unter Durchleuchtung durchgeführt werden Abb.6 [8, 21, 34].

Therapie

Bei funktioneller Störung sollte der Arzt vor Beginn der Behandlung über die Gutartigkeit des Erkrankungsbilds aufklären. Ziel muss sein, trotz einer Vielzahl an möglichen Behandlungsoptionen die Patientin/den Patienten nicht in eine ärztliche Abhängigkeit zu führen. Dies steigert unter Umständen die Ängste der Patientin/des Patienten und führt häufig zu einem schädlichen Bewegungs- und Vermeidungsverhalten und konsekutiv zu noch mehr Schmerzen mit der Gefahr einer Chronifizierung [4, 34].

Konservative Therapie

Die konservative Therapie beim akuten Schmerz beschränkt sich fast ausschließlich auf die orale Analgesie mit NSAR für einige Tage, lokale Kühlung und relative Ruhigstellung [1, 2, 4]. In der subakuten Phase tragen die manuelle Therapie mit Mobilisierung und Manipulation des Iliosakralgelenks und die Physiotherapie wesentlich zur Besserung bei [1, 2, 4, 21, 22, 34]. Vor allem scheint ein individualisiertes spezifisches Übungsprogramm hilfreich zu sein. Bei rezidivierenden Beschwerden ist die Aktivierung der tiefen stabilisierenden Muskelsysteme im Rücken- und Beckenbereich das Ziel. Die globalen Muskelsysteme sollten graduell miteinbezogen werden, um Mobilität, Kraft und Ausdauerkapazität zu verbessern [1, 4]. Zur Prävention bei vorbestehenden ISG-Funktionsstörungen kann es hilfreich sein, Aktivitäten mit Einbeinstand und somit vertikale Scherkräfte wie Laufen, Kegeln, Skaten und Treppensteigen weitestgehend zu vermeiden [1, 4]. Bestehende Beinlängendifferenzen sollten ausgeglichen und rheumatologische Grunderkrankungen systemisch behandelt werden [1, 2, 4, 34].

Während der Schwangerschaft sollte bei neu aufgetretenen Beschwerden in der Akutphase auf eine Mobilisation und Dehnung des ISG verzichtet werden. Hier kann zum Beispiel ein Gürtel vermehrt Stabilität bringen und Beschwerden lindern [1, 3, 4, 23, 34].

Interventionelle Behandlung

Die Indikation zur therapeutischen ISG-Infiltration wird aufgrund der hohen Prävalenz im klinischen Alltag häufig gestellt. Während bei der diagnostischen Injektion nur geringe Mengen verwendet werden, werden bei der therapeutischen Injektion Volumina bis zu 10 ml Lokalanästhetikum und 20–40 mg Depotsteroid beschrieben [19, 21]. Einzelne Arbeiten berichten hier auch von langanhaltenden Therapieeffekten [4, 24, 25, 34]. Therapeutisch steht die freihändige periartikuläre Infiltration zur Verfügung, intraartikuläre Infiltrationen sind ohne Bildsteuerung trotz hoher Expertise nur verhältnismäßig selten möglich. Als Zielhilfen dienen Ultraschall und der Bildwandler. Derartige Infiltrationen mit Lokalanästhetikum und Kortikosteroiden werden Evidenzlevel I zugeordnet [26].

Aufgrund der Unterschiede der patientenindividuellen Anatomie des dreidimensional oft komplexen Gelenkes wird der CT-gestützten Infiltrationstechnik die höchste Präzision zuerkannt [19, 24, 27, 34], wobei sich eine ausreichend sichere intraartikuläre Nadellage mit dem Bildwandler erreichen lässt [3]. Der Behandler muss sich bewusst sein, dass jede interventionelle Behandlung auch das Risiko einer Infektion birgt (Risiko zwischen 1:1000 und 1:50.000) [19, 25, 34].

Denervation

Die Indikation zur Radiofrequenzablation sollte streng gestellt werden. Ziel der Behandlung ist die Ausschaltung der Schmerzweiterleitung durch thermische Zerstörung der Nozizeptoren (Denervation). Durchgeführt wird sie meist nach einer signifikanten, aber nur vorübergehenden Linderung der Schmerzen nach intraartikulären Injektionen. Die Denervation sollte in Betracht gezogen werden, wenn der Schmerz seit wenigstens 2–3 Monaten besteht und eine mindestens 50-prozentige Schmerzreduktion durch diagnostische Infiltration zu erzielen war [19, 25, 28]. Auch für diese Therapieform ist die Evidenz überschaubar. Bei diesem Eingriff wird die Schmerzweiterleitung durch Denervation der Nozizeptoren durch die von Radiowellen erzeugte Wärme unterbrochen. Es gibt wenige kontrolliert randomisierte Studien, die eine vorübergehende Reduktion der Schmerzen belegen, ohne den Schmerz jedoch komplett auszuschalten [1, 2, 4, 7, 19, 34]. Die Kryotherapie oder gasgekühlte Radiofrequenzablation ist eine Alternative zur herkömmlichen Radiofrequenzablation. Hierbei werden die Nozizeptoren flüssigem oder gasförmigem Stickstoff ausgesetzt, was zu einer Nekrose analog zur Radiofrequenzablation führt. Auch hier zeigen einige ältere systematische Übersichtsarbeiten, dass die Evidenz für therapeutische Interventionen am ISG begrenzt ist [21].

Operative Therapie

Die chirurgische Therapie ist nur selten erforderlich und ausschließlich chronischen Schmerzbildern nach frustraner konservativer Therapie vorbehalten [1, 4]. Chirurgische Eingriffe zur Behandlung des ISG-Syndroms wurden bis zur Jahrhundertwende nur selten und mit Vorbehalten vorgenommen. Als Operationsmethoden stehen sowohl offene Arthrodesetechniken wie auch minimalinvasive Operationstechniken zur Verfügung. Bei den minimalinvasiven Techniken werden die verschiedensten Implantate angeboten [1, 7, 8, 11, 18, 30, 31, 32, 34]. Seit der Möglichkeit zur minimalinvasiven Operation haben sich neue Optionen ergeben, deren Effektivität beim ISG-Syndrom belegt werden konnte [7, 32]. Moderne minimalinvasive operative Eingriffe sollen dazu dienen, die Rotations-Translations-Stabilität im Iliosakralgelenk wiederherzustellen, indem man die beiden Gelenkflächen überbrückt. Die ideale Patientin/der ideale Patient für die minimalinvasive ISG-Fusion hat chronische ISG-Beschwerden (> 6 Monate), ist konservativ ausbehandelt und hat mindestens 2–3 positive Testinfiltrationen hinter sich, um eine ausreichend hohe Sicherheit zur Beschwerdeprojektion auf das betroffene Gelenk haben zu können. Der ideale Operationszeitpunkt hängt dabei einzig von der bereits ausgereizten konservativen Therapie und dem subjektiven Leidensdruck der Patientin/des Patienten ab. Die patientenspezifische Aufklärung muss neben dem Ablauf des Verfahrens und der zu erwartenden postoperativen klinischen Situation auch die häufigsten Komplikationen beinhalten. Die zur Verfügung stehende Literatur nennt hier im Wesentlichen postoperative Hämatome, Implantatinfekte und Fehlpositionierungen, teilweise auch Irritation von sakralen Nervenwurzeln [7, 30, 32–34].

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