Industrie und Handel - OUP 07-08/2015
Der Chirurg am Puls der Zeit – Updates zu Operationstechniken, Antikoagulation und LeitlinienAktuelles für Chirurgen und Orthopäden: „Das Blaue Skalpell 2015“
Anschließend widmete sich der Krefelder Gerinnungsspezialist dem Thema der direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) und damit der Frage, ob rund um diese Medikamentengruppe ein Bridging notwendig und möglich sei. Ganz allgemein gelte, so der Experte, dass DOAK 48 h vor einem geplanten Eingriff abgesetzt werden sollten. Ein Problem könne die postoperative Überbrückung bis zum Wiedereinsetzen der regulären Antikoagulation sein. Grund ist die fehlende Möglichkeit der Dosisanpassung der DOAK im Hinblick auf die fixe Dosierung. Um diesen Zeitraum zu überbrücken, könnte man ebenfalls auf ein NMH in niedriger, prophylaktischer Dosis zurückgreifen und dies so lange applizieren, bis im Hinblick auf die Blutungsgefahr ein Wiederbeginn mit der oralen Antikoagulation in ursprünglicher Dosierung möglich ist.
Letztlich sprach Prof. Kröger die Thrombozytenfunktionshemmung im Rahmen des perioperativen Managements an. Auf Grundlage der verfügbaren Studien sollte Aspirin präoperativ nicht mehr abgesetzt werden. Studiendaten unterstützen die ununterbrochene Gabe von Acetylsalicylsäure auch während einer Operation bei Patienten, die ASS zur Sekundärprävention erhalten [2–4]. Das Absetzen von Aspirin 7–10 Tage vor der Operation ist nicht nur unberechtigt und erhöht mit großer Wahrscheinlichkeit das thromboembolische Risiko deutlich, so Prof. Kröger.
Bei Patienten nach koronarer Stentimplantation empfiehlt sich bei Gabe von Clopidogrel, Ticagrelor und Prasugrel immer die Rücksprache mit dem Kardiologen. Ganz entscheidend sei hier, ob dem Patienten ein Bare-Metal-Stent oder ein Drug-Eluting-Stent eingesetzt wurde. Bei Letzterem sollte die suffiziente Plättchenhemmung möglichst über 12 Monate oder länger durchgeführt werden. Die perioperative Heparingabe bietet hier keinen ausreichenden Schutz.
Sind Leitlinien in der täglichen Praxis hilfreich?
In Kürze wird die neue S3-Leitlinie zur Prophylaxe der venösen Thromboembolie publiziert. Wie hilfreich Leitlinien im Klinikalltag sein können, erläuterte Prof. Sylvia Haas, ehem. Technische Universität München. Wichtiger Inhalt der Leitlinie sei die Einteilung des Thromboserisikos in 3 Risikogruppen (niedrig, mittel, hoch). Patienten, die sich großen orthopädischen- oder unfallchirurgischen Eingriffen an der Hüfte oder dem Kniegelenk unterziehen, erhalten danach neben Basismaßnahmen zur Thromboseprophylaxe, wie z. B. dem Tragen von medizinischen Thromboseprophylaxestrümpfen, auch eine medikamentöse Prophylaxe. Bei elektiven Hüftgelenkersatzoperationen wird die Applikation eines niedermolekularen Heparins, Fondaparinux oder eines DOAK empfohlen. Die Antikoagulation sollte über einen Zeitraum von 28–35 Tagen erfolgen. Auch bei Patienten mit operativ versorgten Verletzungen der Knochen und/oder immobilisierenden Hartverbänden, bzw. gleich wirkenden Orthesen an der unteren Extremität, sollte neben Basismaßnahmen eine Thromboseprophylaxe mit einem NMH bis zur Entfernung des fixierenden Verbandes bzw. bis zum Erreichen einer Teilbelastung von 20 kg und einer Beweglichkeit von 20° im oberen Sprunggelenk erfolgen. Bei umfangreicher arthroskopisch assistierter Gelenkchirurgie an Knie-, Hüft- oder Sprunggelenk sollte die Thromboseprophylaxe bis zum Erreichen der normalen Beweglichkeit mit einer Belastung von mindestens 20 kg, mindestens aber für einen Zeitraum von 7 Tagen erfolgen. Auch hier empfiehlt die Leitlinie die Gabe von NMH oder Fondaparinux.
Die Münchner Gerinnungsexpertin führte auch den Einsatz der DOAK bei geplanten operativen Eingriffen aus und sprach die Zeiträume der letzten Einnahme vor elektiven Eingriffen an. Diese variieren zwischen 24 und 48 h. Dies sei abhängig vom Blutungsrisiko des Eingriffs und der Nierenfunktion des Patienten (Tab. 1).
Anders als bei Marcumar und Falithrom müsse der präoperative Zeitraum zwischen dem Absetzen des DOAK und dem Eingriff häufig nicht überbrückt werden. Aufgrund der kürzeren Halbwertszeit bestehe nach der letzten Gabe meist nur eine kurze Pause bis zum Eingriff. Jederzeit möglich, so die erfahrene Hämostaseologin, sei jedoch ein Wechsel („Switch“) von einem DOAK auf ein NMH, wenn es die Umstände erfordern oder wenn dies dem behandelnden Arzt sinnvoll erscheine. So könne – in Analogie zum Vorgehen bei Marcumar – z. B. 7 Tage vor der OP von DOAK auf NMH gewechselt werden, indem statt der vorgesehenen DOAK-Gabe einfach risikoadaptiert eine therapeutische oder halbtherapeutische Dosierung von NMH verabreicht werde. Man sollte beachten, dass die Patienten keinesfalls NMH und DOAK gleichzeitig erhalten. Dies würde zu einer Überantikoagulation und einer gesteigerten Blutungsneigung führen. Zudem sei auf die Nierenfunktion und deren Auswirkung auf die DOAK-Elimination zu achten. Nach der Operation könne ab dem Einsetzen einer gesicherten Hämostase und z. B. dem Ausschluss einer eventuell notwendigen Re-Operation von NMH auf DOAK „geswitched“ werden – wiederum nicht überlappend, sondern durch Ersatz der NMH-Gabe am jeweiligen Folgetag durch DOAK. Diesbezüglich müsse auch das Pflegepersonal instruiert werden.
Weiterhin wies Prof. Haas darauf hin, dass die aktuelle Leitlinie auch den für Anästhesisten wichtigen Bereich der neuroaxialen Verfahren abdecke [6]. So werden die Zeiträume abgebildet, die vor und nach der Gabe eines Antikoagulans und bis zur Punktion oder Katheterentfernung eingehalten werden sollen. Die Zeiträume schwanken zwischen wenigen Stunden bei UFH und bis zu 75 h bei Apixaban. Letztlich resümierte Prof. Haas, dass sich der Leitlinie viele hilfreiche Fakten und Handlungsempfehlungen entnehmen lassen, nach wie vor jedoch auch Fragen des klinischen Alltags unbeantwortet bleiben. Dies sei unvermeidbar, denn für eine Reihe von Fragen gäbe es derzeit noch keine ausreichende wissenschaftliche Evidenz.
Innovation ist nicht immer Fortschritt –
ein kritischer Blick auf die DOAK
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