Übersichtsarbeiten - OUP 04/2016
Die fluroskopisch assistierte Injektion am medialen Ast des FacettengelenksEvidente Methode oder Jagd nach einem Phantom?Evident method or hunting a phantom?
Markus Schneider1
Zusammenfassung: Der vorliegende Artikel gibt einen Abriss über die Geschichte, den wissenschaftlichen Hintergrund und die therapeutischen Möglichkeiten der gezielten Blockade des Ramus medialis an den Facettengelenken zervikal und lumbal. Die internationalen Standards wurden dargestellt, die Bedeutung dieser diagnostischen und therapeutischen Methode hat nach Meinung des Autors in Deutschland in den letzten Jahren verloren, insbesondere weil durch Änderungen im Abrechnungswesen die Radiofrequenz im ambulanten Bereich seit 2013 mehr oder weniger gestorben ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und eher politischer und pekuniärer Natur. Fluoroskopisch assistiert ist die Methode der Blockade der Rami medialis in der Hand des gut ausgebildeten und geübten Behandlers sicher, bei Wahl der entsprechenden Lokalanästhetika nach Leitlinien erwiesenermaßen wirksam und sie sollte auch nach den entsprechenden Curricula der Leitlinien weiter gelehrt werden. Auf die Wichtigkeit der richtigen Patientenselektion wird hingewiesen, lediglich doppelte, kontrollierte Blocks bringen eine ausreichend gute Selektion der Patienten.
In der vorliegenden Übersichtsarbeit wurde die Entwicklung des Verständnisses, der Diagnostik und der Therapie von Irritationen des zervikaslen und lumbalen Facettengelenks aufgezeigt. Erst durch die detaillierte Kenntnis der nervalen Versorgung dieser Strukturen konnte man von einer unspezifischen Umflutung oder intraartikulären Injektion zu einer fluoroskopisch assistierten Behandlungsmethode kommen. Heute ist die Anästhesie des medialen Astes des Ramus dorsalis eine der am besten evaluierten Methoden der interventionellen Schmerztherapie geworden. Bei Verwendung einer geringen Menge Lokalanästhetikum können isoliert Facettengelenke als Schmerzgeneratoren erkannt werden und ggf. durch nachfolgende Denervation oder auch wiederholte Injektion längerfristig behandelt werden.
Schlüsselwörter: Facettensyndrom, Injektion, Facettengelenk lumbar und cervical, diagnostischer Block, medialer Ast, Ramus medialis, Facettenschmerz, Bildwandler-gesteuerte Injektion
Zitierweise
Schneider M: Die fluroskopisch assistierte Injektion am medialen Ast des Facettengelenks. Evidente Methode oder Jagd nach einem Phantom?
OUP 2016; 4: 202–207 DOI 10.3238/oup.2016.0202–0207
Summary: This article provides an outline of the history, the scientific background and the therapeutic possibilities of the blockade of the Ramus medialis on the cervical and lumbar facet joints. The international standards were presented, the meaning of the diagnostic and therapeutic method has lost its importance in Germany in the last years. This is due to changes in the compensation of the health insurances since April 2013, when the radiofrequency of the medial ramus has been deleted from the catalogue of compensation.
Fluoroscopic guided blocks of the medial ramus are cervical and lumbar a strong tool in diagnosing and treating non radicular pain, the selection of patients with a double controlled block is essential.
Keywords: Injection, lumbar, cervical facet joint, fluoroscopic guidance, diagnostic injection, facet pain
Citation
Schneider M: The fluoroscopically assisted injection at the medial branch of the cervical and lumbar facet joint. Evident method or hunting a phantom?
OUP 2016; 4: 202–207 DOI 10.3238/oup.2016.0202–0207
Historisches
Im Jahre 1911 wurde von Goldthwait bereits festgestellt, dass die Facettengelenke für einen Teil der nicht radikulären Schmerzen an der Lendenwirbelsäule verantwortlich gemacht werden können [1]. Ghormley benutzte 1933 hierfür erstmals den Begriff des Facettensyndroms, er sprach hier von einem eigenen Symptomkomplex bei chronischen Rückenschmerzen und empfahl damals die Fusionsoperation [2]. Erst im Rahmen der Verbesserung, sowohl der anatomischen Kenntnisse als auch der technischen Möglichkeiten, dauerte es 40 Jahre bis zu den 70er Jahren, als 2 Arbeiten von Rees und darauf von Shealy erstmals die Durchtrennung der schmerzleitenden Nerven an den Facettengelenken beschrieben [3, 4].
Es vergingen nochmals 8 Jahre, bis im Bereich der Halswirbelsäule die Facettengelenke später erforscht wurden. Insbesondere eine niederländische Arbeitsgruppe um Slujter und in Deutschland Hildebrand beschriebenen therapeutischen Nutzen der Radiofrequenz-Neurotomie im Bereich der Halswirbelsäule bei Nacken und Kopfschmerzen [5, 6].
Während in den 70er Jahren die von Shealy eingeführte Technik zum Teil in Nachuntersuchungen ihren Ansprüchen nicht gerecht werden konnte, war es Bogduk [7], der sich ein genaueres anatomisches Bild über den Verlauf der innervierenden Äste am Facettengelenk machte. Er beschrieb die Wichtigkeit des Ramus mediales und bezüglich der Facettendenervierung den hohen Stellenwert des möglichst parallelen Verlaufs der Elektrode zum Nerven. Ein weiteres Problem ergab sich mit der Indikationsstellung, hier entstanden in den 80er Jahren immer mehr Studien, die auf die positive Verbindung zwischen kontrollierten diagnostischen Blocks (2-malige Blockade mit mehr als 50 % Verbesserung) und dem Ergebnis der Facettendenervation hinwiesen [8, 9].
Sind Facetten
Schmerzgeneratoren?
In den letzten 25 Jahren hat sich das Wissen zu den Schlüsselaspekten der Blockaden, der anatomischen Gegebenheiten und der Radiofrequenzläsion so verbessert, dass zur Zeit auch unter Berücksichtigung der neuesten Leitlinien im angloamerikanischen Sprachraum [10] die Blockade des medialen Asts und dann gegebenenfalls im zweiten Schritt die Radiofrequenzläsion als eine der am besten evaluierten Maßnahmen in der Schmerztherapie der Wirbelsäulen angesehen werden kann. Lange Zeit herrschte große Unsicherheit über die Prävalenz dieser Schmerzen an der LWS (15–36 %) [11, 12] und HWS (36–60 %) [13, 14]. So berichten Hildebrand und Pfingsten [15] noch 2012 von einer wahrscheinlichen Prävalenz von 7–15 % von lumbalen Facettengelenksschmerzen.