Originalarbeiten - OUP 12/2012

Die lumbale Charcot-Osteopathie – eine seltene und
späte Komplikation der Querschnittlähmung. 4 Fallbeispiele

J.R. Moosburger1, B. Szakács1, G. Ostrowski2

Zusammenfassung: Die Charcot-Osteopathie wurde Ende des 19. Jahrhunderts im Bereich des Fußes definiert im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen wie der Tabes dorsalis und schließlich, nach Einführung des Insulins, als Folge der diabetogenen Polyneuropathie.
Mittlerweile gibt es 2 pathophysiologische Vorstellungen über die Genese dieser aseptischen Osteopathie. Einerseits eine neuro-vaskuläre Theorie mit verstärktem Knochenabbau, andererseits die neurotraumatische Vorstellung, mit chronischer Fehlbelastung, insbesondere bedingt durch fehlende Schmerzwahrnehmung.

Im Rahmen von rollstuhlpflichtigen Querschnittlähmungen können derartige knöcherne Veränderungen als Spätkom-
plikation im Bereich der LWS auftreten, dem Skelettabschnitt mit der stärksten mechanischen Belastung bzw. Fehlbe-
lastung. Die fehlende oder stark herabgesetzte Schmerzwahrnehmung ist durch die Rückenmark- oder Cauda-Läsion bedingt. Die lumbale Charcot-Osteopathie beim Querschnittgelähmten ist eine diagnostische und therapeutische Herausforderung.

Anhand von 4 Fallbeispielen werden die Symptomatik,
die Diagnostik inklusive der Problematik der Differenzial-
diagnostik, das therapeutische Vorgehen sowie die klinischen Verläufe dargestellt und diskutiert.

Schlüsselwörter: Paraplegie, Charcot-Osteoarthropathie, neurogene Osteoarthropathie, Fallberichte

Abstract: At the end of the 19th century the Charcot-Arthropathy was defined as an affliction of the foot in the context of neurologic diseases like Tabes dorsalis and finally, after the introduction of the insulin-therapy, as a conse-quence of the diabetes-related polyneuropathy. Meanwhile there are 2 different concepts concerning the pathophysiological genesis of this aseptic osteopathy. On the one hand the neuro-vascular theory with intensified reduction of bone-mass, on the other hand the neuro-traumatological theory, with chronic inappropriate physical strain, particularly caused the absence of nociception.

In the context of wheelchair-bound paraplegia those ossific changes can appear as a late-onset complication at the lumbar spine, the area of the skeleton with the highest mechanical strain, in case of paraplegia. The lumbar Charcot-
Osteopathy related to paraplegia is a diagnostic and therapeutic challenge.

By the example of 4 cases, the symptoms, the diagnostics, including difficult differential diagnostics, the therapeutic approach, as well as clinical developments were shown and discussed.

Keywords: spinal cord injury, paraplegia, charcot arthropathy, charcot spine, neurogenic arthropathy, case-reports

Einleitung

Die Erstbeschreibung einer neuropathischen Osteopathie im Bereich des Fußes geht auf Jean-Martin Charcot zurück [3, 6]. Er beschrieb sie 1881, auf dem 7. internationalen Medizinkongress in London, bei einem Patienten mit Tabes dorsalis und gab der Erkrankung seinen Namen. Nach Einführung des Insulins zur Behandlung des Diabetes mellitus und damit verbesserter Prognose dieser Erkrankung, trat die Osteo(arthro)pathie des diabetischen Fußes vermehrt auf.

Auslöser und Pathomechanismus der Erkrankung sind nicht ausreichend geklärt [11]. Es gibt 2 pathophysiologische Vorstellungen über die Genese dieser aseptischen Osteopathie.

Zunächst die neuro-vaskuläre Theorie. Es wird eine Schädigung auch des sympathischen Nervensystems angenommen, wodurch eine Gefäßerweiterung und dadurch eine gesteigerte periphere Zirkulation verursacht wird, die zu einer vermehrten Knochenabsorption und somit zu einer vermehrten Vulnerabilität des Knochens führen kann. Dafür sprechen auch die Hinweise, dass eine gleichzeitig vorliegende periphere arterielle Verschlusskrankheit einen gewissen protektiven Effekt auf die Entstehung eines Charcot-Fußes haben könnte[10].

Außerdem gibt es die neuro-traumatische Vorstellung, im Sinne eines mechanischen Erklärungsansatzes. Aufgrund der fehlenden oder verminderten Schmerzwahrnehmung mit gleichzeitig gestörter Tiefensensibilität kommt es zur chronischen Fehlbelastung [8] und zur Entwicklung von Knochendeformitäten.

Beim Charcot-Fuß sind zunächst kernspintomografisch nachweisbare Knochenödeme beschrieben, gefolgt von Knochennekrosen [2, 5].

Im Rahmen von rollstuhlpflichtigen Querschnittlähmungen können derartige aseptische knöcherne Veränderungen als Spätkomplikation im Bereich der LWS auftreten, dem Skelettabschnitt mit der in diesen Situationen stärksten mechanischen Belastungen bzw. Fehlbelastungen. Die fehlende oder stark herabgesetzte Schmerzwahrnehmung sowie Lagewahrnehmung ist durch die Rückenmark- oder Cauda-Läsion bedingt.

In der Regel sind die Knochenveränderungen unterhalb der häufig vorliegenden Spondylodese lokalisiert. Alle 3 Säulen der Wirbelsäule, inklusive der Facettengelenke sind betroffen. Als radiologische Zeichen liegen Sklerose und Osteolyse vor, zudem finden sich hypertrophe Spondylophyten und paraspinale Weichteilverkalkungen.

Kernspintomographisch findet man je nach Ausmaß eine Höhenminderung und/oder Deformierung der Wirbelkörper oft unter Einschluss von Flüssigkeit.

An den Abschlussplatten sind häufig Mehrsklerosierungen und/oder Erosionen nachweisbar, das Alignement der Wirbelkörper ist gestört. Eine Kontrastmittelanreicherung der Bandscheiben ist möglich.

Die klinische Symptomatik kann sehr unterschiedlich, oft sehr blande sein. Beschrieben werden u.a. Schmerzen, Deformität der Wirbelsäule, Änderung der neurologischen Symptomatik sowie ein durch Bewegung auslösbares Geräusch [1].

Differenzialdiagnosen wie aseptische ischämisch bedingte Knochennekrosen und sogenannte „Low-grade-Infekte“ sind zu beachten. Die Unterscheidung kann schwierig sein.

Letztlich ist die Charcot-Diagnose eine Ausschlussdiagnose. Wesentlich ist die reduzierte oder erloschene Schmerzwahrnehmung, das Fehlen von Entzündungs- oder Infektionszeichen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sowie die typische Lokalisation. Sekundäre Infektionen sind möglich [9, 12].

Die Therapie kann sowohl konservativ-kontrollierend als auch operativ-stabilisierend erfolgen, dies muss im Einzelfall entschieden werden. Nach operativer Stabilisierung sind Revisionsoperationen häufig. Die Stabilisierung wird deshalb in der Regel sowohl von dorsal als auch von ventral kombiniert empfohlen [4, 7, 13].

Anhand von 4 unterschiedlichen Fallbeispielen werden Symptomatik, Diagnostik, Therapie und Verlauf dieser seltenen Spätkomplikation an der LWS dargestellt und bewertet.

Fallbeispiele

Patient A

ist männlich und bei Diagnosestellung 54 Jahre alt.

Die Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 4/5, wurde ca. 4 Jahre (49 Monate) nach Fraktur des 10. Brustwirbelkörpers mit der Folge einer seither bestehenden sensomotorisch kompletten Paraplegie gestellt. Der Patient war bereits von BWK 7 bis in Höhe LWK 1 instrumentiert. Als wesentliche Begleiterkrankungen liegen ein Diabetes mellitus Typ II sowie Morbus Bechterew vor.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5