Originalarbeiten - OUP 12/2012
Die lumbale Charcot-Osteopathie – eine seltene und
späte Komplikation der Querschnittlähmung. 4 Fallbeispiele
späte Komplikation der Querschnittlähmung. 4 Fallbeispiele
J.R. Moosburger1, B. Szakács1, G. Ostrowski2
Zusammenfassung: Die Charcot-Osteopathie wurde Ende des 19. Jahrhunderts im Bereich des Fußes definiert im Zusammenhang mit neurologischen Erkrankungen wie der Tabes dorsalis und schließlich, nach Einführung des Insulins, als Folge der diabetogenen Polyneuropathie.
Mittlerweile gibt es 2 pathophysiologische Vorstellungen über die Genese dieser aseptischen Osteopathie. Einerseits eine neuro-vaskuläre Theorie mit verstärktem Knochenabbau, andererseits die neurotraumatische Vorstellung, mit chronischer Fehlbelastung, insbesondere bedingt durch fehlende Schmerzwahrnehmung.
Im Rahmen von rollstuhlpflichtigen Querschnittlähmungen können derartige knöcherne Veränderungen als Spätkom-
plikation im Bereich der LWS auftreten, dem Skelettabschnitt mit der stärksten mechanischen Belastung bzw. Fehlbe-
lastung. Die fehlende oder stark herabgesetzte Schmerzwahrnehmung ist durch die Rückenmark- oder Cauda-Läsion bedingt. Die lumbale Charcot-Osteopathie beim Querschnittgelähmten ist eine diagnostische und therapeutische Herausforderung.
Anhand von 4 Fallbeispielen werden die Symptomatik,
die Diagnostik inklusive der Problematik der Differenzial-
diagnostik, das therapeutische Vorgehen sowie die klinischen Verläufe dargestellt und diskutiert.
Schlüsselwörter: Paraplegie, Charcot-Osteoarthropathie, neurogene Osteoarthropathie, Fallberichte
Abstract: At the end of the 19th century the Charcot-Arthropathy was defined as an affliction of the foot in the context of neurologic diseases like Tabes dorsalis and finally, after the introduction of the insulin-therapy, as a conse-quence of the diabetes-related polyneuropathy. Meanwhile there are 2 different concepts concerning the pathophysiological genesis of this aseptic osteopathy. On the one hand the neuro-vascular theory with intensified reduction of bone-mass, on the other hand the neuro-traumatological theory, with chronic inappropriate physical strain, particularly caused the absence of nociception.
In the context of wheelchair-bound paraplegia those ossific changes can appear as a late-onset complication at the lumbar spine, the area of the skeleton with the highest mechanical strain, in case of paraplegia. The lumbar Charcot-
Osteopathy related to paraplegia is a diagnostic and therapeutic challenge.
By the example of 4 cases, the symptoms, the diagnostics, including difficult differential diagnostics, the therapeutic approach, as well as clinical developments were shown and discussed.
Keywords: spinal cord injury, paraplegia, charcot arthropathy, charcot spine, neurogenic arthropathy, case-reports
Einleitung
Die Erstbeschreibung einer neuropathischen Osteopathie im Bereich des Fußes geht auf Jean-Martin Charcot zurück [3, 6]. Er beschrieb sie 1881, auf dem 7. internationalen Medizinkongress in London, bei einem Patienten mit Tabes dorsalis und gab der Erkrankung seinen Namen. Nach Einführung des Insulins zur Behandlung des Diabetes mellitus und damit verbesserter Prognose dieser Erkrankung, trat die Osteo(arthro)pathie des diabetischen Fußes vermehrt auf.
Auslöser und Pathomechanismus der Erkrankung sind nicht ausreichend geklärt [11]. Es gibt 2 pathophysiologische Vorstellungen über die Genese dieser aseptischen Osteopathie.
Zunächst die neuro-vaskuläre Theorie. Es wird eine Schädigung auch des sympathischen Nervensystems angenommen, wodurch eine Gefäßerweiterung und dadurch eine gesteigerte periphere Zirkulation verursacht wird, die zu einer vermehrten Knochenabsorption und somit zu einer vermehrten Vulnerabilität des Knochens führen kann. Dafür sprechen auch die Hinweise, dass eine gleichzeitig vorliegende periphere arterielle Verschlusskrankheit einen gewissen protektiven Effekt auf die Entstehung eines Charcot-Fußes haben könnte[10].
Außerdem gibt es die neuro-traumatische Vorstellung, im Sinne eines mechanischen Erklärungsansatzes. Aufgrund der fehlenden oder verminderten Schmerzwahrnehmung mit gleichzeitig gestörter Tiefensensibilität kommt es zur chronischen Fehlbelastung [8] und zur Entwicklung von Knochendeformitäten.
Beim Charcot-Fuß sind zunächst kernspintomografisch nachweisbare Knochenödeme beschrieben, gefolgt von Knochennekrosen [2, 5].
Im Rahmen von rollstuhlpflichtigen Querschnittlähmungen können derartige aseptische knöcherne Veränderungen als Spätkomplikation im Bereich der LWS auftreten, dem Skelettabschnitt mit der in diesen Situationen stärksten mechanischen Belastungen bzw. Fehlbelastungen. Die fehlende oder stark herabgesetzte Schmerzwahrnehmung sowie Lagewahrnehmung ist durch die Rückenmark- oder Cauda-Läsion bedingt.
In der Regel sind die Knochenveränderungen unterhalb der häufig vorliegenden Spondylodese lokalisiert. Alle 3 Säulen der Wirbelsäule, inklusive der Facettengelenke sind betroffen. Als radiologische Zeichen liegen Sklerose und Osteolyse vor, zudem finden sich hypertrophe Spondylophyten und paraspinale Weichteilverkalkungen.
Kernspintomographisch findet man je nach Ausmaß eine Höhenminderung und/oder Deformierung der Wirbelkörper oft unter Einschluss von Flüssigkeit.
An den Abschlussplatten sind häufig Mehrsklerosierungen und/oder Erosionen nachweisbar, das Alignement der Wirbelkörper ist gestört. Eine Kontrastmittelanreicherung der Bandscheiben ist möglich.
Die klinische Symptomatik kann sehr unterschiedlich, oft sehr blande sein. Beschrieben werden u.a. Schmerzen, Deformität der Wirbelsäule, Änderung der neurologischen Symptomatik sowie ein durch Bewegung auslösbares Geräusch [1].
Differenzialdiagnosen wie aseptische ischämisch bedingte Knochennekrosen und sogenannte „Low-grade-Infekte“ sind zu beachten. Die Unterscheidung kann schwierig sein.
Letztlich ist die Charcot-Diagnose eine Ausschlussdiagnose. Wesentlich ist die reduzierte oder erloschene Schmerzwahrnehmung, das Fehlen von Entzündungs- oder Infektionszeichen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sowie die typische Lokalisation. Sekundäre Infektionen sind möglich [9, 12].
Die Therapie kann sowohl konservativ-kontrollierend als auch operativ-stabilisierend erfolgen, dies muss im Einzelfall entschieden werden. Nach operativer Stabilisierung sind Revisionsoperationen häufig. Die Stabilisierung wird deshalb in der Regel sowohl von dorsal als auch von ventral kombiniert empfohlen [4, 7, 13].
Anhand von 4 unterschiedlichen Fallbeispielen werden Symptomatik, Diagnostik, Therapie und Verlauf dieser seltenen Spätkomplikation an der LWS dargestellt und bewertet.
Fallbeispiele
Patient A
ist männlich und bei Diagnosestellung 54 Jahre alt.
Die Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 4/5, wurde ca. 4 Jahre (49 Monate) nach Fraktur des 10. Brustwirbelkörpers mit der Folge einer seither bestehenden sensomotorisch kompletten Paraplegie gestellt. Der Patient war bereits von BWK 7 bis in Höhe LWK 1 instrumentiert. Als wesentliche Begleiterkrankungen liegen ein Diabetes mellitus Typ II sowie Morbus Bechterew vor.
Diagnosestellung:
Bei Diagnosestellung gab der Patient ein „Instabilitätsgefühl“ im Sitzen an, im Bereich der unteren LWS war eine Schwellung sichtbar und tastbar, Schmerzen wurde keine angegeben. Das CRP war mit 13,3 (Normalwert bis 9,0) leicht erhöht, wobei gleichzeitig ein behandlungsbedürftiger Harnwegsinfekt vorlag. Ein intraoperativer Abstrich ergab kein Wachstum von Keimen. Zur Diagnosestellung wurde am 20.07.2011 eine Kernspintomographie sowie eine Computertomographie der LWS durchgeführt, und am 18.07.2011 eine Übersichtsröntgenaufnahme in 2 Ebenen. Dargestellt wurde die ausgedehnte Destruktion der Wirbelkörper LWK 4 und 5 mit nekrotischen Anteilen und Gelenkdestruktion beidseits. Beide Wirbelkörper waren weitgehend durch Flüssigkeit ersetzt.
Verlauf:
Die Therapie war primär operativ. Am 29.08.2011 wurde die dorsale transpedikuläre Instrumentation von LWK 2 bis zum Os ilium beidseits, mit partieller Corporektomie von LWK 4 und LWK 5 und ventraler Abstützung mittels Titankorb und intersomatischer Fusion durch autologe Knochen durchgeführt.
(postOP-Verlauf, klinisch, Laborchemisch, AB?, radiologisch)
Insgesamt zeigt sich ein zufriedenstellender Verlauf. Die Operation wurde dorso-ventral durchgeführt, die Spondylodese war bislang stabil, die Symptomatik, welche durch die Charcot-Osteopathie verursacht worden war, bildete sich vollständig zurück. Als zusätzliche pathogene Faktoren spielen sicher der bereits fortgeschrittene Morbus Bechterew sowie eventuell auch der Diabetes mellitus eine gewisse Rolle.
Patient B
ist weiblich und bei Diagnosestellung 59 Jahre alt.
Die Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 4/5, wurde 40 Jahre nach Eintritt einer sensomotisch kompletten thorakalen Paraplegie festgestellt. Die komplette Paraplegie sei nach Entfernung einer „gutartigen Knochenzyste“ aufgetreten. 20 Jahre nach Lähmungseintritt wurde ein Brindley-Stimulator implantiert, der bis zur Diagnosestellung der Charcot-Osteopathie gut funktionierte, im Rahmen dieser Implantation wurde üblicherweise tief lumbal laminektomiert. Im November war eine langstreckige Aufrichtungsspondylodese durchgeführt worden sowie 9 Jahre vor Diagnosestellung der Charcot-Osteopathie, im Dezember 2000, eine Corporektomie in Höhe BWK 8/9, wohl aufgrund einer Spondylodiszitis, nähere Angaben darüber liegen nicht vor. Letztlich bestand eine Instrumentation nach caudal bis in Höhe LWK 4. 11 Monate vor Diagnosestellung hatte sich nach Darmwandperforation im Rahmen von Abführmaßnahmen eine Sepsis entwickelt, es wurde ein dauerhafter Anus praeter angelegt.
Diagnosestellung:
Verursacht durch die Charcot-Osteopathie sistierte „über Nacht“ die vorbestehende erhebliche Spastik in den Beinen (17.09.2009), zudem versagte der Brindley-Stimulator. Es hatte sich eine „2. Querschnittlähmung“ in lumbaler Höhe entwickelt, folgerichtig eine schlaffe Paraplegie. Die Patientin entleerte fortan die Harnblase mittels intermittierenden selbständigen Katheterisierens. Das CRP war bei Diagnosestellung normal ohne antibiotische Therapie.
Am 20.11.2009 wurde eine Kernspintomographie sowie eine Computertomographie der LWS und eine Übersichtsröntgenaufnahme in 2 Ebenen durchgeführt. Dargestellt wurde dabei die ausgedehnte nekrotische Destruktion von LWK 4 und 5.
Verlauf:
Zunächst entschied man sich für die konservative Therapie, die Patientin hatte bezüglich der Osteopathie keine Beschwerden.
Im April 2010 wurde sie schließlich mit dem Bild einer hochfieberhaften Sepsis notfallmäßig stationär aufgenommen, ein lumbaler paravertebraler Abszess mit dermaler Fistelung wurde diagnostiziert, man ging von einer Superinfektion der Charcot-Osteopathie aus.
Es folgten mehrere Operationen sowie die antibiotische Langzeittherapie. Am 29.04.2010 wurde zunächst ein Debridement mit Drainageanlage und Sekundärnaht durchgeführt. Am 18.05.2010 folgten eine dorsale Teilmaterialentfernung sowie die Entfernung von Stimulatorkabeln, am 15.06.2010 eine Seromrevision mit VAC-Anlage sowie am 06.07.2010 die VAC-Schwammentfernung und der erneute Wundverschluß. Ein erneutes Debridement wurde erforderlich am 24.08.2010 mit folgender dorsaler Instrumentation von LWK2 bis Os ilium bds. und dorsolateraler Spondylodese von LWK 2 bis Os sakrum sowie ventraler Abstützung mit Titankorb zwischen LWK4 und 5.
Die antibiotische Therapie wurde zunächst mit Fosfomycin und Rocephin, später allein mit Fosfomycin und schließlich bis Ende Oktober 2011 mit Cefuroxim durchgeführt. Eine Laborkontrolle Ende Februar 2012 ergab ein normales CRP.
In der Röntgenkontrolle 17 Monate nach der letzten Operation sowie der CT-Kontrolle, einen weiteren Monat später ergaben sich keine neu aufgetretenen Destruktionen, Entzündungszeichen ließen sich nicht nachweisen. Ein Bruch der linken Schraube im Os ilium sowie Saumbildungen um die Schrauben im Os ilium rechts sowie sakral beidseits ist zunächst ohne therapeutische Konsequenz.
Durch die Superinfektion war man zur operativen Therapie gezwungen, ein weiteres konservatives „Zuwarten“ hätte zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit, aufgrund der persistierenden Instabilität, zu einer Befundverschlechterung geführt. Auf den Anschluss mit der oberen Instrumentation musste aufgrund massiver intraoperativer Blutungen und der extrem „eingemauerten“ Instrumentation im BWS-Bereich verzichtet werden, so dass LWK 1 letztlich nicht instrumentiert ist. Dadurch besteht eine erhöhte Gefahr der Dekompensation in dieser Höhe und der Auslockerung der vorhandenen Instrumentation, so dass auch deshalb engmaschige radiologische Kontrollen langfristig erforderlich sind.
Nach Abschluss der komplexen operativen Therapie mit anschließender längerfristiger Antibiotikagabe war der Verlauf zufriedenstellend. Der radiologische Verlauf zeigte eine Stabilisierung des Bereiches, Infektzeichen traten sowohl radiologisch als auch klinisch nicht mehr auf.
Die Vorgeschichte u.a. mit thorakaler Spondylodiszitis und Sepsis nach Darmperforation war kompliziert, zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Charcot-Osteopathie waren weder radiologisch noch laborchemisch Entzündungs- bzw. Infektionszeichen nachweisbar.
Eine pathogenetische Rolle spielt vermutlich die Implantation des Brindley-Stimulators, 20 Jahre vor Diagnosestellung, verbunden mit tief lumbaler Laminektomie und daraus resultierender mechanischer Instabilität, wobei die spätere Instrumentation nur bis in Höhe LWK 4 durchgeführt worden war.
Patient C
ist weiblich und bei Diagnosestellung 49 Jahre alt.
Die Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 4/5, wurde 29 Jahre nach Fraktur des zwölften Brustwirbelkörpers und des ersten Lendenwirbelkörpers (1979) mit der Folge einer seither bestehenden sensomotorisch kompletten Paraplegie gestellt. Die Patientin war seither nicht an der Wirbelsäule operiert worden. Als Begleiterkrankungen liegen ein Diabetes mellitus Typ II sowie eine Adipositas permagna vor.
Diagnosestellung:
Bei Diagnosestellung gab die Patientin keine Symptomatik an, die auf eine Affektion der Lendenwirbelsäule schließen ließ. Der V.a. Charcot-Osteopathie ergab sich als Zufallsbefund im Rahmen einer Röntgenaufnahme der LWS (02.07.2008) die außerhalb durchgeführt worden war. Über die Indikation der Röntgendiagnostik liegen uns keine Informationen vor. Infektionszeichen traten auch im weiteren Verlauf nicht auf.
Zur Diagnosestellung wurde am 01.08.2008 eine Kernspintomographie sowie eine Computertomographie der LWS durchgeführt, mit Darstellung der Destruktion von LWK 4 und 5.
Verlauf:
Man entschied sich für die konservative Therapie, die Patientin hatte bezüglich der Osteopathie keine Beschwerden, zudem bestand aufgrund der ausgeprägten Adipositas ein erhöhtes operatives Risiko. Die computertomografischen und kernspintomografischen Kontrollen zeigten im Verlauf geringe Änderungen. Am 05.02.2009 wird in einer CT-Kontrolle eine geringe Zunahme der Osteopathie beschrieben, in der kernspintomografischen Kontrolle vom 05.02.2009 die Nekrose als langsam progredient sowie am 08.10.2009 die Nekrosehöhle als besser demarkiert.
Symptome der LWS-Affektion sowie Entzündungs- oder Infektionszeichen traten nicht auf.
Als zusätzliche pathogene Faktoren spielen sicher die ausgeprägte Adipositas sowie eventuell auch der Diabetes mellitus eine gewisse Rolle.
Patient D
ist männlich und bei Diagnosestellung 54 Jahre alt.
Die Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 2/3, wurde 3,5 Jahre nach Fraktur des 6. und 7. Halswirbelkörpers mit der Folge einer seither bestehenden sensibel inkompletten aber motorisch kompletten Tetraplegie gestellt.
In der Jugend litt er unter Morbus Scheuermann. Seit Jahren hatte er, verursacht durch die Rückenmarksläsion, neurogen bedingte schmerzhafte Missempfindungen.
Diagnosestellung:
Bei Diagnosestellung gab der Patient eine deutliche Verstärkung der Spastik im Bereich der Beine und des Rumpfes an, mit der Folge funktioneller Beeinträchtigungen z.B. beim Transfer.
Am 20.01.2011 wurden eine Kernspintomographie sowie eine Computertomographie der LWS und eine Übersichtsröntgenaufnahme in 2 Ebenen durchgeführt.
Anhand der Übersichtsaufnahme werden in Höhe LWK 2/3 eine „Sklerosierungsreaktion“ mit Unschärfe der Abschlussplatten und der angrenzenden Wirbelkörperabschnitte beschrieben. In der Kernspintomographie wird in Höhe LWK 2/3 eine Usurierung der Abschlussplatten sowie eine Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes mit Signalanhebung der Bandscheibe in der TIRM beschrieben, in der Computertomographie ausgeprägte Konturdefekte an den korrespondierenden Schlussplatten mit leichter Umgebungssklerose sowie rechts lateral ein breiter Osteophyt, der den Zwischenwirbelraum fast überbrückt.
Die Veränderungen in Höhe LWK 2 und 3 gehen über eine „erosive Osteochondrose“ hinaus. Diskutiert werden anhand dieser radiologischen Befunde sowohl ein „Low-grade-Infekt“ als auch eine „Spondylodiszitis“. Letztlich waren diese Verdachtsdiagnosen aufgrund der Laborergebnisse und der Histologie nicht haltbar.
CRP und Leukozyten waren bei Diagnosestellung normal. Das am 21.02.2011 operativ gewonnene Gewebe zeigte erstens hochgradig degenerativ verändertes Bandscheibengewebe sowie zweitens hochgradig degenerativ verändertes Bandscheibengewebe mit spärlich spongiösen Knochengewebe mit Zeichen des Knochenumbaus. Entzündliche oder infektiöse Hinweise ergaben sich keine.
Interessanterweise war bereits im Dezember 2005 im Rahmen einer Wirbelsäulenganzaufnahme eine Spondylosis deformans der Deckplatte von LWK 2 und 3 beschrieben worden, im Oktober 2006 osteophytäre Anbauten in Höhe LWK 2 und 3. Die Aufnahmen liegen uns leider nicht vor.
Verlauf:
Die Therapie war operativ. Am 17.02.2011 wurde die ventro-dorsale Dekompressionsspondylodese in Höhe LWK 2 und 3 mit Bandscheibenausräumung und Interposition eines Titankorbes in das Bandscheibenfach LWK 2/3 durchgeführt. 3 Monate postoperativ erhielt der Patient prophylaktisch Clindamycin. Die vom Patienten geschilderte Zunahme der Spastik bildete sich postoperativ leider nicht zurück. Noch 17 Monate postoperativ schildert Patient D eher eine weitere Zunahme der spastischen Tonuserhöhung. Die Röntgenkontrolle und CT-Kontrolle ohne Kontrastmittelgabe ergibt 17 Monate postoperativ einen regelrechten Befund, weiterhin ohne Infektzeichen. Fragliche Lockerungssäume um die Schrauben in LWK 2 sind kontrollbedürftig.
Zusätzliche pathogene Faktoren, die eine Affektion an der LWS begünstigen könnten, lagen keine vor. Der Morbus Scheuermann in der Jugend dürfte hier keine wesentliche Rolle spielen. Interessant sind hier die bereits Jahre zuvor beschriebenen radiologischen Veränderungen in Höhe von LWK 2 und 3 als erste Anzeichen der progredienten Osteopathie.
Zusammenfassung
4 Fallbeispiele mit lumbaler Charcot-Osteopathie als Spätkomplikation im Verlauf einer Querschittlähmung werden dargestellt.
Dabei handelt es sich um 2 Männer und 2 Frauen im Alter von 49 bis 59 Jahren. Der Lähmungseintritt liegt zwischen 3,5 und 40 Jahre zurück. 3 der Betroffenen haben eine sensomotorisch komplette Paraplegie, alle 3 mit einer Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 4/5. Ein Betroffener leidet unter einer sensibel inkompletten, aber motorisch kompletten Tetraplegie und entwickelt eine Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 2/3. 2 der Paraplegiker sind an der LWS vorinstrumentiert, jeweils von der BWS aus nach caudal bis in Höhe LWK 1 bzw. LWK 4. Die beiden anderen Betroffenen sind an der LWS nicht voroperiert bzw. vorinstrumentiert.
Die Diagnose wird anhand der typischen Lokalisation, der radiologischen, insbesondere computertomografischen und kernspintomografischen Befunde und dem fehlendem Nachweis von Entzündungszeichen gestellt.
Die klinische Symptomatik, die bei Diagnosestellung auf die Charcot-Osteopathie zurückzuführen war, ist vielfältig und in der Regel im Vergleich zum Ausmaß der knöchernen Veränderungen gering. In einem Fall lag keine klinische Symptomatik vor, andererseits wurden eine Zunahme der Bein- und Rumpfspastik, ein Instabilitätsgefühl im Bereich der LWS mit sicht- und tastbarer Schwellung ebenda und in einem Fall ein plötzliches Sistieren der vorbestehenden erheblichen Beinspastik geschildert. Bei der Paraplegikerin mit plötzlich sistierender Spastik versagte gleichzeitig der seit 20 Jahren einwandfrei funktionierende Brindley-Stimulator. Schmerzen im Bereich der LWS wurden in keinem Fall beklagt.
Als mögliche zusätzliche prädisponierende Faktoren werden Morbus Bechterew, Adipositas permagna, Z.n. tieflumbaler Laminektomie (Brindley-Stimulator) und Diabetes mellitus Typ II gesehen. Die Patientin mit tieflumbaler Laminektomie war zudem in der Folge (nur) bis LWK 4 instrumentiert worden und hatte schließlich eine Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 4/5 entwickelt.
In 2 Fällen wird primär operiert, mit gutem postoperativem klinischem Verlauf.
Bei einer Paraplegikerin wurde man aufgrund einer Superinfektion zum operativen Vorgehen gezwungen, nachdem man sich zunächst zur abwartenden Haltung entschieden hatte. Mehrere Operationen waren erforderlich mit letztlich gutem Ergebnis.
Die Patientin mit Paraplegie und Adipositas permagna wurde nicht operiert, aufgrund fehlender Symptomatik und aufgrund des durch die Adipositas erheblich erhöhten operativen Risikos. Die Verlaufsbeobachtung zeigt hier eine diskrete Zunahme der radiologischen Zeichen, bei weiterhin Beschwerdefreiheit bezüglich der lumbalen Affektion.
Diskussion
Anhand der 4 Fallbeispiele einer lumbalen Charcot-Osteopathie zeigt sich die unterschiedliche Symptomatik, die Schwierigkeit der Differenzialdiagnose, die Möglichkeit der Superinfektion sowie die Fragestellung der operativen Therapie, die letztlich, mit Ausnahme der abwartenden und kontrollierenden Haltung, die einzige Therapieoption darstellt.
Die Diagnose wird anhand der typischen Lokalisation, der dargestellten Veränderungen in den bildgebenden Verfahren und dem fehlendem Nachweis entzündlicher Parameter gestellt. Voraussetzung ist auch das fehlende oder zumindest deutlich herabgesetzte Schmerz- und Lageempfinden, verursacht in den vorliegenden Fällen durch die vorbestehende Querschnittlähmung.
Diagnostische Schwierigkeiten gibt es in 2 der vorliegenden Fälle.
In einem Fall (Patientin B) gibt es in der Vorgeschichte 2 wesentliche infektiöse Erkrankungen, eine thorakale Spondylodiszitis sowie eine schwere Sepsis nach Darmperforation, die die infektiöse Genese der LWS-Affektion zunächst nahelegen. Hinzu kommt in diesem Fall die spätere Superinfektion. Derartige Superinfektionen sind als mögliche Komplikation der lumbalen Charcot-Osteopathie bekannt [9, 12].Für die Diagnose der Charcot-Osteopathie spricht, dass es zum Zeitpunkt der Diagnosestellung weder bildgebend noch laborchemisch Entzündungs- sowie Infektionszeichen gab. Außerdem lag aufgrund der vor 20 Jahren durchgeführten Laminektomie sowie der späteren Instrumentation (nur) bis in Höhe LWK 4, im Segment LWK 4/5 sicher eine außerordentliche mechanische Dauer- und Fehlbelastung vor, entsprechend der neuro-traumatischen Entstehungstheorie.
Im Fall der Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 2/3 (Patient D) wurden von den Radiologen zunächst eine Spondylodiszitis bzw. ein „Low-grade-Infekt“ diskutiert, sicher gingen die Veränderungen über eine „erosive Osteochondrose“ hinaus. Weder laborchemisch, noch histologisch ergaben sich jedoch Hinweise auf eine Entzündung oder einen Infekt.
Die klinische Symptomatik, die bei Diagnosestellung auf die Charcot-Osteopathie zurückzuführen war ist vielfältig und in der Regel im Vergleich zum Ausmaß der knöchernen Veränderungen gering [1]. In einem Fall lag keine klinische Symptomatik vor, andererseits wurden eine Zunahme der Bein- und Rumpfspastik, ein Instabilitätsgefühl im Bereich der LWS mit sicht- und tastbarer Schwellung ebenda und in einem Fall ein plötzliches Sistieren der vorbestehenden erheblichen Beinspastik geschildert. Bei der Paraplegikerin mit plötzlich sistierender Spastik versagte gleichzeitig der seit 20 Jahren einwandfrei funktionierende Brindley-Stimulator. Schmerzen im Bereich der LWS wurden in keinem Fall beklagt.
Aufgrund der nicht vorliegenden oder relativ geringen Symptomatik einer lumbalen Charcot-Osteopathie, sind bei Vorhandensein einer ausgeprägten, rollstuhlpflichtigen Querschnittlähmung gelegentliche radiologische Kontrollen der LWS sicher gerechtfertigt, insbesondere, wenn – wie bei den meisten ausgeprägten Querschnittlähmungen – eine deutliche Reduzierung des Schmerzempfindens vorliegt.
Die Frage nach der operativen Indikation wurde zunächst anhand der eventuell vorliegenden Symptomatik und in Abschätzung des operativen Risikos beantwortet. Beide Fälle mit persistierender Symptomatik, die auf die lumbale Affektion zurückzuführen war (Instabilitätsgefühl, verstärkte Spastik) und mit der Prognose der wahrscheinlichen Besserung durch die operative Therapie, wurden primär mit gutem Ergebnis operiert (Patient A und B).
Bei einer Paraplegikerin wurde man aufgrund einer Superinfektion zum operativen Vorgehen gezwungen (Patientin B), nachdem man sich zunächst zur abwartenden Haltung entschieden hatte. Mehrere Operationen waren erforderlich mit letztlich gutem Ergebnis.
Im weiteren Fall mit abwartender Haltung (Patientin C), hier aufgrund fehlender Symptomatik und aufgrund des durch erhebliche Adipositas deutlich erhöhten operativen Risikos, bestätigte der bisherige klinische Verlauf das Vorgehen.
Die Entscheidung zur operativen Therapie sollte man somit von der durch die lumbale Osteopathie verursachten Symptomatik, von der operativen Prognose und dem abzuschätzendem operativen Risiko abhängig machen. Konservatives, abwartendes Vorgehen ist prinzipiell möglich.
Als zusätzliche prädisponierende Faktoren für die Entwicklung einer lumbalen Charcot-Osteopathie lassen sich anhand der vorliegenden 4 Fallbeschreibungen der Morbus Bechterew, die voroperierte Lendenwirbelsäule, die Adipositas permagna sowie eventuell auch der Diabetes mellitus vermuten.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Jürgen R. Moosburger
SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach
Sektion Querschnittlähmungen
Guttmannstrasse 1
76307 Karlsbad
juergen.moosburger@kkl.srh.de
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Fussnoten
SRH Klinikum, Sektion Querschnittlähmungen, Karlsbad-Langensteinbach
SRH Klinikum, Sektion Wirbelsäulenchirurgie, Karlsbad-Langensteinbach
DOI 10.3238/oup.2012.0510–0517