Übersichtsarbeiten - OUP 01/2023
Die lumbale Spinalkanalstenose – ein ÜberblickDiagnostik und Therapieoptionen
Das Verhältnis zwischen Rückenschmerz und Beinschmerz ist auch ein wichtiger Aspekt. Während die Beinschmerzen durch die Kompression entstehen, ist der Rückenschmerz durch die Degeneration der Facettengelenke und durch Instabilität zu erklären. Dennoch kann bei der LSS der Rückenschmerz auch durch Irritation des R. dorsalis zu belastungsabhängigen, lokalen Schmerzen führen, also nicht nur zu Beinschmerzen.
Die Anamnese sollte immer um die der Erhebung von Komorbiditäten wie Osteoporose, Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis, Diabetes mellitus (Polyneuropathie) und kardialen oder vaskulären Problemen erweitert werden. Außerdem rücken psychogene Faktoren immer mehr in den Vordergrund, die auch hinsichtlich einer Therapie nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Differenzialdiagnosen, wie retroperitoneale Geschehen, Pankreaspathologien und urologische oder gynäkologische Ursachen müssen bedacht werden.
Körperliche Untersuchung
Wegweisend bei der klinischen Untersuchung sind die Oberkörpervorneigung beim Gehen und ein breitbeiniges, kleinschrittiges Gangbild. Tritt dagegen ein Oberkörperpendeln auf, ist dies ein Hinweis für eine Pathologie an der Hüfte. Eine Koxarthrose sollte dann durch eine Bewegungsprüfung ausgeschlossen werden. Diese wird nicht selten übersehen, wenn Patientinnen und Patienten seit Jahren wegen Rückenschmerzen in Behandlung sind.
Im gleichen Zug lassen sich die wichtigsten Nervenwurzel L4-S1 neurologisch prüfen. Dazu soll der Patient den Fersengang (Fußheber L5 und auch L4) und den Zehenspitzengang (Fußsenker S1) zeigen. Zudem kann der Kniestrecker (L4) durch die Einnahme der Hocke geprüft werden. Latente Paresen können durch Belastung mit dem eigenen Körpergewicht detektiert werden. Zu unterscheiden gilt die schmerzbedingte Bewegungseinschränkung oder die fehlende Koordination bei den älteren Patientinnen/den älteren Patienten.
Danach sollte man sich der Wirbelsäule zuwenden und durch Beklopfen und Drücken Hinweise für lokale Geschehen wie osteoporotische Wirbelkörperfrakturen oder entzündliche Prozesse ausschließen. Durch Beklopfen des Nierenlagers, können auch Hinweise zu akuten Problemen, wie Nierenbeckenentzündungen grob beurteilt werden.
Um eine Polyneuropathie oder eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) zu beurteilen, wird im Liegen der Puls- und Reflexstatus erhoben. Wie oben beschrieben, ist dabei die Schmerzentwicklung nur im Stehen hinweisend für die LSS, die Schmerzverstärkung erst beim Gehen eher für die pAVK [28]. Strumpfförmige Parästhesien sind dabei typisch für die Polyneuropathie. Auch werden die Nervendehnungszeichen getestet, die bei der Spinalkanalstenose aber eher selten positiv sind.
Wie schon erwähnt, ist hinsichtlich der Therapieoptionen, vor allem bei Planung einer Operation, die Beurteilung der psychischen Situation wichtig. Der Einfluss einer möglichen psychopathogenen Komponente bei Auffälligkeiten sollte daher am besten vom Psychologen geprüft werden. In klinischen Studien hat sich gezeigt, dass der Anteil an depressiven Patientinnen und Patienten im Rückenschmerzkollektiv deutlich erhöht ist und die Depression einzig allein ein schlechteres postoperatives Ergebnis bedingt, jedoch Patientinnen und Patienten mit nur geringer psychosozialer Belastung ebenfalls von einer Operation profitieren [30, 31]. Als Screening-Verfahren hat sich in der deutschen Literatur die Depression, Angst und Stress Skala (DASS) etabliert [32].
Bildgebung
Basisdiagnostik sind konventionelle Röntgenbilder der Lendenwirbelsäule im Stehen in 2 Ebenen. Hier können neben Instabilitäten und Beurteilung der Statik auch indirekte Zeichen für eine Stenose gefunden werden. Man beachte in den seitlichen Bildern eine Höhenminderung der Bandscheibenfächer mit entsprechender Abstützreaktion am Rand der Grund- und Deckplatte, eine Facettengelenksarthrose oder ein Wirbelgleiten. Einen weiteren Stellenwert besitzt die konventionelle Röntgendiagnostik zum Ausschluss anderer Pathologien wie osteoporotische Frakturen, Infektionen (Spondylodiszitis), Tumoren oder eine Skoliose.
Bei erkennbarem Wirbelgleiten sollte die Diagnostik um seitliche Funktionsaufnahmen in Inklination und Reklination erweitert werden.
Goldstandard zur Diagnostik einer Spinalkanalstenose ist die MRT-Bildgebung mit orthogonalen T1– und T2-Sequenzen in axialer und sagittaler Ausrichtung. Typische kernspintomographische Veränderungen sind eine Bandscheibenprotrusion, die Hypertrophie des Lig. flavum, die Facettengelenkshypertrophie bzw. Synovialzysten, die sanduhrförmige Darstellung des Spinalkanals mit Ausdünnung des perineuralem Fettes oder eine Lipomatose. Allerdings ist eine bildmorphologische Spinalkanalstenose wie zuvor beschrieben nicht immer symptomatisch. Die MRT zum Nachweis einer LSS hat eine Sensitivität von 87–96 % bei einer Spezifität von 68–75 % [33, 34] und zeigt sich dabei der CT überlegen.
Bei Verdacht auf ein entzündliches Geschehen oder bei voroperierten Patientinnen und Patienten sollte die Untersuchung mit Kontrastmittel durchgeführt werden. Sind größere operative Eingriffe geplant, kann die CT eine zusätzliche Information über die knöchernen Strukturen bringen. Wenn zusätzlich lange Fusionen geplant sind, sollte die Knochendichte mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DEXA) überprüft werden.
Die Myelographie kommt heute nur noch in seltenen Einzelfällen zum Einsatz, meist in Kombination mit der postmyelographischen CT. Eine Indikation wird hierbei bei Patientinnen und Patienten mit gering ausgeprägter Stenose in der Schnittbildgebung, jedoch typische Symptomatik gesehen. In dieser Patientenklientel ist vor allem die Funktionsmyelographie von Bedeutung, d.h. das Ausmaß der Stenose wird in Stehbelastung sowie in Flexion und Extension beurteilt. In wissenschaftlichen Untersuchungen werden auch MRT-Untersuchungen unter Last bzw. in Ante- und Retroflexion gezeigt. Die klinische Bedeutung dieser Techniken bleibt zukünftig abzuwarten.
Zusatzdiagnostik
Wenn die erhobenen Befunde und Untersuchungen keine eindeutige Diagnose zulassen, sollten weitere Zusatzuntersuchungen erfolgen.
Elektrophysiologische Untersuchungen können Systemerkrankungen aus dem neurologischen Formenkreis oder auch höher gelegene Myelonschädigungen herausstellen. Auch kann dadurch eine Polyneuropathie gesichert werden.
Die Doppleruntersuchung der Gefäße kann die pAVK erfassen. Laborchemische Untersuchungen geben Hinweise auf entzündliche Geschehen, metabolische Ursachen oder infektiologische Erkrankungen. Der Verdacht auf Borreliose oder Multiple Sklerose kann die Lumbalpunktion erforderlich machen.