Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017
Die Patella in der Endoprothetik
Mediolaterales/
Ventrodorsales Malalignment
Auch die mediolaterale Positionierung der femoralen und tibialen Komponente hat eine drastische Auswirkung auf die patellofemorale Kinematik. Obwohl die Auswirkung auf die patellare Führung und die Tuberositas tibiae-Trochleagruben- (TTTG) Distanz noch nicht quantifiziert wurde, konnte in einer kürzlich publizierten Studie gezeigt werden, dass die herkömmliche Positionierung der femoralen wie tibialen Komponente zu einer Subluxation des Kniegelenks führen kann [22]. Aufgrund der dadurch auftretenden mediolateralen Stellungsänderung zwischen Femur und Tibia kommt es zu einer Änderung der TTTG-Distanz und konsekutiv ist eine Änderung der patellofemoralen Kinematik anzunehmen. Abbildung 2 zeigt die medio-laterale Position zwischen Femur und Tibia vor und nach Knieprothesenimplantation.
Auch die ventro-dorsale Positionierung der femoralen und tibialen Komponente muss einen Einfluss auf die patellare Kinematik ausüben. Dieser konnte bislang noch nicht quantifiziert werden und ist aktuell Gegenstand weiterer Untersuchungen.
Laterodistales Overstuffing der
femoralen Komponente
Aus patellofemoralen Gesichtspunkten empfiehlt sich die distale femorale Resektion anhand der lateralen Femurkondyle, und nicht anhand der medialen Femurkondyle zu referenzieren. Dieses Vorgehen geht mit einer geringen Proximalisierung der Gelenklinie einher, vermeidet jedoch sowohl ein laterodistales Overstuffing im Sinne eines „iatrogenen Bumps“, der meist zu prominenten lateralen Femurkomponenten führt. Zudem kommt es bei der Referenzierung an der medialen Femurkondyle zu einer Distalisierung der Gelenklinie im selben Ausmaß. Zur besseren Umsetzung der Referenzierung bietet sich die navigationsgestützte Implantationstechnik an.
Die im natürlichen Kniegelenk im Mittel um 3° nach medial abfallende Gelenklinie kann am ehesten durch die kinematische Ausrichtung der Komponenten erzielt werden. Bei Anwendung des sogenannten kinematischen Alignments werden die Komponenten allerdings nicht wie gewohnt normal auf die mechanische Beinachse im Sinne der mechanischen Ausrichtung, sondern anhand der ursprünglichen Gelenklinie ausgerichtet (Abb. 3a-c) [2, 9].
Obwohl die Hauptbelastungphase der Prothese während des Gangbilds in der Standphase und damit im Einbeinstand erfolgt und sich in dieser Phase die 3° nach medial gerichtete Neigung durch die Verschiebung des Körperschwerpunkts entsprechend ausgleicht (Abb. 4), ist nach wie vor die mechanische Ausrichtung der Prothese im Beidbeinstand als Standard zu werten.
Weitere biomechanische Testungen scheinen notwendig, um einen Vorteil der kinematischen gegenüber der mechanischen Ausrichtung der Knietotalendoprothese darzulegen. Abbildung 4 zeigt schematisch die Ausrichtung der Gelenklinie im Beidbein- und Einbeinstand.
Patella alta/baja
Wie bereits in vielen Untersuchungen gezeigt werden konnte, führt eine Patella alta zu einem späteren patellofemoralen Kontakt und einem späteren Eingleiten der Patella in die Trochlea. Außerdem resultiert eine erhöhte laterale Translation der Patella und ein größerer retropatellarer Spitzendruck in höheren Flexionsgraden [17, 26, 29].
In der Knieendoprothetik ist eine Patella alta sehr selten und in der Regel durch eine Verletzung der Patellarsehne verursacht. Eine zu geringe femorale Resektion bei Verwendung der „femur-first, measured-resection“ Technik kann zu einer Distalisierung der Gelenklinie von einigen Millimetern mit resultierender Patella alta führen. Viel häufiger jedoch findet sich eine artifizielle Proximalisierung der Gelenklinie durch eine zu geringe tibiale Resektion und ausgleichend vermehrter distaler femoraler Resektion mit konsekutiver Patella baja. Um eine iatrogene Verschiebung der Gelenklinie zu vermeiden, ist in jedem Fall eine tibiale und femorale Resektion entsprechend der Implantatstärke und des Verschleißes des Gelenks vor allem bei Revisionseingriffen durchzuführen.
Laterales Retinakulum
In der Revisionsendoprothetik, aber auch in der Primärendoprothetik mit vorbestehend ausgeprägter Valgusfehlstellung, bedingt ein verkürztes laterales Retinakulum aufgrund der eingetretenen Achsbegradigung einen verstärkten Kraftvektor nach lateral.
Kommt nun ein weiteres Instabilitätskriterium wie eine verminderte Außenrotation der femoralen Komponente hinzu, ist die laterale Subluxation oder Luxation der Patella vorprogrammiert.
Bei vorbestehenden stark ausgeprägten Valgusfehlstellungen ist es daher notwendig, das laterale Retinakulum samt subkutaner Verklebungen zu lösen und sekundär zu verschließen.
Wie in der implantatfreien Kniechirurgie kann eine laterale Erweiterung oder eine „Keblish-Plastik“, gekoppelt mit einer Doppelung des medialen Retinakulums, notwendig sein, um einen zufriedenstellenden Patellalauf zu gewährleisten. Eine Patellainstabilität sollte jedoch nie mit einer isolierten lateralen Erweiterung behandelt werden [24].
Des Weiteren hat sich in einer bislang noch nicht publizierten Studie eine sekundäre laterale Dislokation der Patella aufgrund der Insuffizienz der medialen Kapselnaht gezeigt. Die mögliche Notwendigkeit einer Verstärkung des medialen Retinakulums bzw. eine Augmentation des intraoperativ durchtrennten medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) ist anhand der Ergebnisse zu diskutieren. Um den medialen Kapsel-Band-Apparat nicht zu verletzen, wird von einigen Operateuren der laterale parapatellare Zugang propagiert. Hierbei ist jedoch in den meisten Fällen eine zusätzliche Tuberositasosteotomie notwendig, welche eine erhöhte Komorbidität birgt.
Retropatellarersatz/
Patelloplastie/laterale
Facettektomie
Ein wesentlicher Faktor, der zur Entstehung eines patellofemoralen Hyperkompressionssyndroms sowie einer Änderung des peripatellaren Weichteilmantels beiträgt, ist die Wahl und Umsetzung der entsprechenden chirurgischen Patellaintervention. Bei Verwendung eines Retropatellarersatzes sollte auf jeden Fall ein patellofemorales Overstuffing vermieden werden. Die Dicke des Retropatellarersatzes sollte die Stärke der Resektion nicht übertreffen. Ebenso sollte der First der Patella exakt durch die Position des Retropatellarersatzes rekonstruiert werden. Ein zu lateral platzierter Retropatellarersatz kann zu einer vermehrten Spannung im Bereich des lateralen Retinakulums und einer patellofemoralen Instabilität führen. Vorteile einer anatomischen gegenüber einer Dom-Patella konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Die Patelloplastie, bei der die Entfernung des verbliebenen retropatellaren Knorpels und der Sklerosezone durchgeführt wird, dient der Wiederherstellung einer anatomischen Patella. Die freiliegende Spongiosa kann sich dem femoralen Prothesenlager anpassen. Ebenso wird ein patellofemorales Hyperkompressionssyndrom vermieden. Die Patelloplastie wird von den Autoren vor allem bei jungen Patienten mit zu erwartendem Prothesenwechsel und Patienten mit schlechter Knochenqualität und Gefahr der Fraktur bei adäquater Patellaresektion durchgeführt. Von vielen Operateuren wird die isolierte laterale Facettektomie durchgeführt. Hierbei kann zwar das Risiko einer vor allem lateral auftretenden Hyperkompression minimiert werden, sie birgt jedoch wie in der implantatfreien patellofemoralen Chirurgie, die Gefahr der sekundären patellofemoralen Instabilität.