Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017
Die Patella in der Endoprothetik
Insgesamt ist die Datenlage hinsichtlich chirurgischer Patellainterventionen und vor allem Patelloplastie sehr spärlich [5]. In einer retrospektiven Untersuchung von 130 Patienten konnte klinisch kein Unterschied zwischen Patienten mit und ohne Retropatellarersatz nach Knietotalendoprothese gefunden werden [16]. In einer Kadaveruntersuchung konnte kein signifikanter Unterschied in der postoperativen patellofemoralen Kinematik zwischen Retropatellarersatz und Patelloplastie sowie isolierter lateraler Facettektomie gefunden werden [13].
Diagnostik
Anamnese
Im Gegensatz zum vorderen Knieschmerz ohne bestehende endoprothetische Versorgung, sind die Beschwerden bei einliegender Prothese relativ unspezifisch. Sehr häufig handelt es sich um Patienten mit bereits langer Historie und frustranen Versuchen konservativer Therapiemaßnahmen. Hinsichtlich der Anamnese sollten auf jeden Fall folgende typische Symptome abgefragt werden:
Schmerzsensationen: Treten Schmerzen bei Belastung des Kniegelenks auf (v.a. Treppen ab- und aufsteigen, Bergabgehen, tiefes Hocken)?
Ruheschmerz: Bestehen Schmerzen bei langem Sitzen mit angewinkelten Beinen?
Schmerzlokalisation: Ist der Schmerz auf den vorderen Kniegelenkbereich begrenzt?
Mechanische Sensationen: Bestehen Krepitationen, eine Einklemmsymptomatik oder „Springen“?
Vorbehandlung: Konservativ oder operativ? Was, wann und wie oft?
Patienten mit vorderem Knieschmerz berichten fast immer über Schmerzen im Bereich des lateralen Retinakulums. Hier scheint es aufgrund vermehrter Spannung zu vermehrten Zugkräften und einer Reizung des lateralen Kapsel-Band-Apparats zu kommen.
Klinische Untersuchung
Im Gegensatz zum implantatfreien Patellofemoralgelenk gibt es nach endoprothetischem Gelenkersatz deutlich weniger Tests, welche die Diagnose eines patellofemoralen Schmerzsyndroms zulassen. Die Untersuchung des Gangbilds ist essenziell, um die Beinrotation und die Stellung der Kniescheibe sowie der Fußstellung im Seitenvergleich zu analysieren. Eine Fehlrotation der femoralen Komponente kann durchaus in einem sichtbaren vermehrten lateralen Tilt der Kniescheibe resultieren. Ein gesundes Gangbild weist eine gerade nach ventral gerichtete Kniescheibe und einen Fußöffnungswinkel von 10–35° auf [27]. Eine vermehrte Innenrotation der beiden unteren Extremitäten kann Hinweis auf eine Coxa antetorta mit vorbestandener femoraler Innenrotation sein, die nicht durch die Prothesenversorgung ausgeglichen wurde. Es kommt zu einer Medialisierung der Trochlea und zu einer Vergrößerung des Quadrizeps (Q)-Winkels und den nach lateral gerichteten Kraftvektor.
Diverse Studien haben unterschiedliche Normwerte für den Q-Winkel beschrieben. Dieser kann aufgrund der Messungenauigkeit nicht als sicherer Parameter für eine operative Versorgung herangezogen werden, sollte aber vor allem im Seitenvergleich in die Entscheidungsfindung einfließen [6]. Häufig führt hierbei ein fehlrotiertes Tibiaplateau zu einer vermehrten Außenrotation der Tibia und einer Erhöhung des Q-Winkels.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die retropatellare Krepitation. Kommt es bei Flexion zu deutlicher Krepitation vor allem im Bereich des lateralen Patellofemoralgelenks, liegt häufig eine sekundäre Hyperkompression vor, die radiologisch verifiziert werden kann. Grundsätzlich gibt es jedoch keine Korrelation zwischen vorderem Knieschmerz und Krepitus. Johnson et al. fanden in 94 % aller gesunden Frauen und 45 % aller gesunden Männer einen hörbaren Krepitus [10]. Ebenso ist es wichtig, Patienten auf eine bestehende Patella alta zu untersuchen. Hierbei bietet es sich an, Patienten mit 90° flektiertem Knie auf der Untersuchungsliege sitzen zu lassen. Eine bestehende Patella alta ist nun im Seitenvergleich gut zu beurteilen, wobei die Patella sichtbar deutlich höher steht und in Richtung Zimmerdecke zeigt. Häufig kann ein von einem patellofemoralen Fehllauf hervorgerufener vorderer Knieschmerz durch eine verminderte passive mediolaterale Verschieblichkeit oder verringerten Tilt der Patella im Rahmen des „passiven Patella-Tilt-Test“ erkannt werden [15]. Hierbei versucht der Untersucher, den lateralen Patellarand vom lateralen Kondylus anzuheben. Natürlich sind weitere Tests, die auch in der implantatfreien Kniechirurgie zur Anwendung kommen (wie der Patellkompressionstest (Zohlen-Zeichen) oder der Test der „tanzenden Patella“) zur Verifizierung eines intraartikulären Ergusses durchzuführen.
Bildgebung
In gewohnter Weise lassen sich präoperative Fehlstellungen wie eine Patella alta/baja oder eine Valgusdeformität anhand der standardisierten konventionell-radiologischen Bildgebung verifizieren. Die Bestimmung der Patellahöhe wird mit entsprechenden Indices anhand einer seitlichen konventionell-radiologischen Aufnahme bestimmt. Dabei wird der Insall-Salvati-Index (ISI) verwendet, um eine Veränderung des patello-ligamentären Verhältnisses zu erkennen und der Caton-Deschamps-Index (CDI), um die Distanz von der Patella zur Gelenklinie zu bestimmen. Liegt ein normaler ISI vor, aber ein pathologischer CDI, dann wurde in der Regel die Prothese auf einer unphysiologischen Gelenkhöhe implantiert.
Obwohl Ganzbeinstandaufnahmen aufgrund von Rotationsfehlern anfällig für mögliche Messfehler sind, sind sie für die Diagnostik extraartikulärer Deformitäten essenziell und unverzichtbar.
Die Computertomografie der gesamten unteren Extremität stellt den Goldstandard zur Analyse der Komponentenpositionierung dar. Hiermit kann eine Malrotation der unteren Extremität oder eine Komponentenfehlplatzierung verifiziert werden. Als Standard gilt nach wie vor die Methode nach Berger [3]. Eine femorale Innenrotation der Komponente zur Epikondylenlinie von mehr als 3° und eine tibiale Innrotation der Komponente zur Tuberositas tibiae von mehr als 18° wird hierbei als pathologisch beurteilt. Normwerte wie diese sollten, wie bereits oben angeführt, aufgrund der aktuellen Studienlage kritisch hinterfragt werden. Ebenso muss darauf hingewiesen werden, dass eine interindividuelle Streubreite der Anatomie vorliegen kann und die Messwerte mit den klinischen Symptomen übereinstimmen müssen um die Diagnose einer Komponentenfehlrotation zu bestätigen.
Ausschluss weiterer Ursachen
Auf jeden Fall sollten weitere Schmerzursachen wie eine akute Infektion oder ein Low-grade-Infekt oder eine Lockerung der Prothese ausgeschlossen werden. Hier empfiehlt sich im Zweifel eine Gelenkpunktion oder eine Arthroskopie mit histologischer und mikrobiologischer Probenentnahme. Mit einer szintigrafischen Untersuchung kann neben einer Prothesenlockerung als Schmerzursache auch eine Hyperkompression im Bereich des Patellofemoralgelenks verifiziert werden.