Übersichtsarbeiten - OUP 04/2023

Die Stabilität der Hüftpfannenbeschichtung mit einem Titandrahtnetz in der 3. Generation
Eine Studie an 31 Explantaten mit einer Standzeit von 20 Jahren (16–27 Jahre)

Die 4 Hüftpfannensegmente mit unterschiedlichen Standzeiten zeigten 3 charakteristische histologische Befunde der knöchernen Anbindung, welche bis zu einer Standzeit von 27 Jahren konstant erhoben werden konnten. Das Unterwachsen des Knochens unter die Brücken der auf der Kernschale meist punktverschweißten Titandrähte war in allen Fällen nachweisbar. Die Anlagerung des Knochens nach Durchwanderung der 1500 µ dicken Titannetzschicht erfolgte unmittelbar an der Kernschale und damit „hinter“ dem Drahtgeflecht. Es entwickelte sich reifer, lamellärer Knochen. Die Tivaniumkernschale gewährleistete nach 27 Jahren noch eine osteotrope Oberfläche für eine vollständige knöcherne Auskleidung. Sie stand in engem Kontakt mit den Drähten aus Reintitan. Verfahrensbedingt wechselte die Dichte des Titandrahtgeflechtes teils mit abruptem Übergang von Zonen erheblicher Drahtfaserdichte bis hin zu Drahtabständen, die das Dreifache des Drahtdurchmessers betrugen. Während der Knochen im engmaschigen Drahtgeflecht den Einzelfasern eng anlag, überbrückte er innerhalb eines großen Porenvolumens die Abstände zu den Drahtfasern durch einen trabekelartigen Knochenanwuchs (Abb. 8).

Diskussion

Die neuere Schadensklassifikation nach Paprosky setzt definitionsgemäß die Migration der Pfanne in den Knochendefekt voraus, wie sie üblicherweise nach der Implantation von zementierten Pfannen eintritt [14]. Im eigenen Krankengut erfüllten die Stadien Paprosky IIc, IIIa und IIIb diese geforderten Kriterien. Der Typ Paprosky IIa und IIb zeigte eine ringförmige, äquatoriale Anbindung mit festem Sitz der Implantate ohne Migration oder Beschichtungsschaden, sodass in diesen Fällen aus rein materialtechnischer Sicht der Erhalt eines korrekt positionierten Implantates vertretbar war. Der Schadenstyp Paprosky IIc zeigte während der Migration der Pfanne einen Abriss der verbleibenden und knöchern fixierten Areale der Beschichtung. Sie waren mechanisch überfordert und rissen von der Kernschale ab. In allen Schadensgruppen sollten daher radiologische Hinweiszeichen auf einen begrenzten Beschichtungsschaden möglichst präoperativ aufgedeckt werden [11].

Acht Perforationen der Kernschale mit überregionaler Ausweitung der Delamination, 2 begrenzte Beschichtungsschäden durch mechanische Überlastung von osteointegrierten Restarealen sowie das Versagen der Schichthaftung durch vermutete Herstellungsfehler führten insgesamt zu einer flächenanteiligen Ablösung der Beschichtung von 11 % von der vollhemisphärischen Kernschale. Die Interpretation der weit über den lokalen Schaden einer Kopfperforation sich ausdehnende Delamination des Drahtgeflechtes war schwierig. Sie musste als typische Komplikationen einer Kontinuumbeschichtung angesehen werden.

Sämtliche Drahtfasern der dreidimensionalen Deckschicht stehen miteinander teils durch Längsverschweißung oder an den Kontaktstellen ihrer Überkreuzungen („knods“) in Verbindung. Tritt an einer Stelle eine Schwächung der Schichthaftung auf, so wird das umgebende dreidimensionale Leitgerüst zwangsläufig in den Ablösungsprozess miteinbezogen. Somit unterscheidet sich die dreidimensionale Titannetzbeschichtung in ihrer Rissausbreitung von den Non-Kontinuumbeschichtungen, wie sie bei einzeln aufgetragenen Tripoden, Monoblock-Trabekulargerüsten, Kugelbeschichtungen und vor allem bei den mit Plasmasprayverfahren aufgebrachten Beschichtungen aller Art vorliegen. Kommt es bei diesen Beschichtungen zu einer fokalen Ablösung, so bleibt die umgebende Deckschicht intakt [2, 15, 18].

Die isostatische Heißpressung be wirkt eine recht konstante Schichtdicke von 1500 µm. Die Gewährleistung der erforderlichen Porosität und der möglichst homogenen Gestaltung der Porenvolumina hingegen ist die Schwachstelle des Herstellungsverfahrens. Eine Porosität von 30 % als Untergrenze wird bei der Herstellung der Beschichtung gefordert. Ein weiterer Nachteil des Herstellungsverfahrens besteht in der Gefahr des Rückzuges von Titandrähten („spring back“) während der Kompression zu einer Halbschale. Ein geringerer Kontakt von aufgeschweißten Einzelfasern auf der Kernschale führt zwangsläufig zur Verringerung der Schichthaftung [13]. Das mechanische Versagen der Schichthaftung des Titandrahtnetzes wurde in der recht spärlichen Literatur nach einer Standzeit von 10–15 Jahren mit 1 % angegeben [8]. Mayman et al. fanden bei einer Standzeit von 10–15 Jahren nur 5 Fälle eines Beschichtungsschadens [11]. Insgesamt legen die Ergebnisse zur Stabilität der Schichthaftung den Schluss nahe, dass das Fiber-bonding-Verfahren zu einer starken Schichthaftung führt, die auch bei extremer Belastung und langer Standzeit in Relation zur Gesamthemisphäre der beschichteten Kernschale nur einen Schaden von 11 % der Beschichtungsfläche aufweist. In den Fällen der Schadensklassifikation Paprosky I, IIa und IIb mit noch stabilem Pfannensitz ist der alleinige Wechsel eines Inlays unter Belassen des Implantates aus rein materialtechnischer Sicht vertretbar. Die Stadien Paprosky IIc, IIIa und IIIb kommen bei nachgewiesener Pfannenlockerung für einen Erhalt des Implantates naturgemäß nicht mehr in Betracht.

Histologisch konnte bis zu einer Standzeit von knapp 3 Jahrzehnten ein kontinuierlicher Knochenumbau nachgewiesen werden. Ein Alleinstellungsmerkmal der Beschichtung resultierte aus dem metallurgischen Verfahren der Verschweißungstechnik. Zwischen den Verschweißungspunkten der gewellten Titandrähte bildeten diese kleine Brücken, die während des fiberbondings nur einen Punktkontakt zur Kernschale gefunden hatten. Unter diesen bogenförmig abgehobenen Titandrähten konnten lamellär strukturierte Knochenbrücken dargestellt werden. Möglicherweise trug diese „durchgreifende“ dreidimensionale Knochenverankerung zu der Langzeitfestigkeit der Pfanne auch unter Extrembedingungen bei.

Zusammenfassung

Der Beschichtungsschaden von 31 künstlichen Hüftpfannen mit Titandrahtbeschichtung betrug nach einer durchschnittlichen Standzeit von 20 Jahren (16–27 Jahre) in Relation zur gesamthemisphärischen Beschichtungsfläche 11 %. Die Schadenscharakteristik lag in 3 verschiedenen Erscheinungsformen vor. In 18 Fällen (58 %) lag ein intakter Verbund vor. In 2 Fällen (6,4 %) lag ein begrenzter Beschichtungsschaden durch mechanische Überlastung der osteointegrierten Restareale vor. In 8 Fällen (25,8 %) war ein Beschichtungsschaden nach Penetration oder Perforation des Metallkopfes durch die Kernschale hindurch mit weit über die Perforationsstelle hinaus fortschreitender Delamination nachzuweisen. In einem Fall (3,2 %) mit kompletter Lösung der Kernschale war ein Herstellungsfehler nicht sicher auszuschließen. Die Schadensgruppen Paprosky IIa und IIb zeigten eine vorwiegend pfannenrandnahe (äquatoriale) knöcherne Anbindung ohne Implantatlockerung oder Beschichtungsschaden. Anhand von histopathologischen Einzelschnitten konnten die allgemeinen histologischen Reaktionen von Knochenumbauvorgängen mit Vorliegen von reifem Knochen bis zu einer Standzeit von 27 Jahren nachgewiesen werden. Diese Befunde beweisen eine langzeitbeständige Osteokonduktion und eine dauerhaft wirksame Mechanoinduktion der flexiblen Beschichtung. Der Nachweis von lamellärem Knochen, der sich unterhalb von Titandrahtbrücken zur Kernschale hin entwickelte, war ein Alleinstellungsmerkmal der Kontinuumbeschichtung. Aus materialtechnischer Sicht einer stabilen Schichthaftung ist das operationstechnisch äußerst schonende Verfahren des Implantaterhaltes in situ mit alleinigem Inlaywechsel in allen Schadensstadien mit noch festem Sitz des Implantates vertretbar. Ein Beschichtungsschaden ist in diesen Fällen nicht zu erwarten.

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