Übersichtsarbeiten - OUP 05/2023

Fahrtauglichkeit unter Schmerzmedikamenten

Zu den Methoden der Eignungsprüfung gehört zum einen die Erstellung des Gutachtens einer Fachärztin/eines Facharztes mit verkehrsmedizinischer Qualifikation nach FeV (Privatgutachten auf eigene Kosten), die medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU), eine praktische Fahrverhaltensprobe durch eine Fahrprüferin/einen Fahrprüfer, die neuropsychologische Testung, z.B. im Rahmen einer ambulanten oder stationären Behandlung; auch stehen verschiedene Untersuchungsstellen an Straßenverkehrsämtern, TÜV, Dekra und weiteren Begutachtungsstellen für die Überprüfung der Fahreignung zur Verfügung.

Aspekte der Testung sind im Wesentlichen die Belastbarkeit, Orientierungsleistung, Konzentrationsleistung, Aufmerksamkeitsleistung und Reaktionsfähigkeit.

Fahrtauglichkeit unter
Antidepressiva

Unterschieden wird hier zwischen tri- und tetrazyklischen Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Doxepin, Opipramol, Imipramin, Maprotilin, Mianserin, Nortriptylin, Clomopramin) bzw. den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) (z.B. Citalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin). Bei der ersten Gruppe sollte das Führen von Fahrzeugen zumindest während der ersten 10–14 Tage der Behandlung unterbleiben wegen der möglichen Einschränkungen des Reaktionsvermögens. Besonders zu Behandlungsbeginn ist mit Müdigkeit, Benommenheit, Schwindel, orthostatischer Hypotonie und Tachykardie zu rechnen. In der zweiten Gruppe wird davon ausgegangen, dass wegen der eher aktivierenden Effekte in der Regel keine Leistungsbeeinträchtigungen zu erwarten sind. Allerdings ist besonders zu Behandlungsbeginn mit Unruhe, Übelkeit und Schlafstörungen zu rechnen. Im Vordergrund steht auch daher die Selbstbeobachtung. Vor allem in der Anfangsphase und in der Kombination mit anderen Medikamenten ist äußerste Vorsicht geboten. Der Alkoholverzicht ist besonders ernst zu nehmen [9].

Cannabis als Medizin

Wer regelmäßig, täglich oder gewohnheitsmäßig, Cannabis konsumiert, ist in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Ausnahmen sind nur in seltenen Fällen möglich, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass Konsum und Fahren getrennt werden und wenn keine Leistungsmängel vorliegen. Wer gelegentlich Cannabis konsumiert, ist in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen gerecht zu werden, wenn er Konsum und Fahren trennen kann, wenn kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkende Stoffen und wenn keine Störung der Persönlichkeit vorliegen [10].

Am 4. Mai 2016 beschloss die Bundesregierung das „Cannabis-als-Medizin-Gesetz“, das nach Anhörung im Gesundheitsausschuss und Modifikationen in endgültiger Lesung im Bundestagsplenum am 19. Januar 2017 einstimmig von allen im Bundestag vertretenen Parteien verabschiedet wurde. Festgelegt wurde, dass Cannabis-Patientinnen und -Patienten hinsichtlich der Teilnahme am Straßenverkehr genauso zu behandeln seien, wie andere Patientinnen und Patienten, die unter einer Dauermedikation stehen bzw. ein psychoaktives Arzneimittel verordnet bekommen haben. Grundsätzlich dürfen Patientinnen und Patienten am Straßenverkehr teilnehmen, soweit sie aufgrund der Medikation nicht in ihrer Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt sind, d.h. sie müssen in der Lage sein, ein Fahrzeug sicher zu führen. Dabei gilt die gleiche Rechtslage wie bei anderen Medikamenten wie z.B. bei Opioid-Verschreibungen. Bei einem Verstoß droht eine Strafbarkeit nach § 316 des Strafgesetzbuches (StGB). Den Cannabis-Patientinnen und -Patienten droht keine Sanktionierung gemäß § 24 a Abs. 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), wenn Cannabis aus bestimmungsgemäßer Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt.

Auf der anderen Seite stellt die ständige Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) fest, dass es sich bei Cannabis als Medizin um ein Betäubungsmittel handelt. Es bestehen kaum evidenzbasierte Empfehlungen zur Therapie, außer den seit Jahren bekannten Empfehlungen. Ebenso ist aktuell nicht davon auszugehen, dass eine eindeutige Konzentrations-Wirkungs-Beziehung besteht, dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Darreichungsform als Blüten. Zu den Kontraindikationen gehören Suchterkrankungen, schwere Persönlichkeitsstörungen und Psychosen. Als häufige Nebenwirkungen werden Schwindel, Müdigkeit, Gleichgewichts-, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen, Desorientierung, Schläfrigkeit und Sehprobleme genannt.

Weiterhin stellte die Arbeitsgruppe fest: Das Verkehrsrisiko unter Cannabiseinfluss hängt ab von …

der Motivation des Konsums und der Wirkungserwartung, weniger vom Wirkstoffspiegel

der allgemeine psycho-physischen Leistungsfähigkeit

der spezifischen Wirkung vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Vorerkrankung

der Toleranz und Gewöhnung

der Anpassungsbereitschaft der Person und der Bereitschaft zu risikovermeidendem Verhalten

der Wahrnehmung und Beurteilung riskanter Verkehrssituation.

Dabei wird von der Arbeitsgruppe eine Grundhypothese formuliert:

Der Klient nimmt Cannabismedikamente oder -blüten zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung ein. Es sind keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen und die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik weisen keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung auf, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigen. Es ist nicht zu erwarten, dass der Klient in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen seiner Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird.

Bedenken, ob diese Annahme zutrifft, entstehen insbesondere:

wenn Hinweise auf früheren oder aktuellen Missbrauch oder auf Abhängigkeit von Cannabis oder anderen Psychotropensubstanzen (inkl. Alkohol) vorliegen

wenn eine akute weitere als die ggf. derzeit behandelte psychiatrische Erkrankung oder relevante Persönlichkeitsstörung schon bekannt sind

wenn Hinweise auf psychotische Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis in der Vergangenheit vorliegen

wenn Cannabiskonsum regelmäßig bereits im jugendlichen Alter (Adoleszenz) stattgefunden hat

wenn eine Verkehrsauffälligkeit vorliegt, die im Zusammenhang mit der Einnahme von Cannabismedikamenten oder anderen psychoaktiven Substanzen steht

bei Komorbidität oder zusätzlicher Einnahme von zentralwirksamen Arzneimitteln.

Zu den Inhabern bzw. Bewerbern für die Fahrerlaubnis der Gruppe 2 gehören Berufskraftfahrer, auch die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ist hier zu finden. Diese Inhalte der Tätigkeit stellen besondere Anforderungen an die Ausübung, auch finden sich in der Regel individuelle Umstände der Verkehrsteilnahme, z.B. lange Fahrten, nachts, keine selbstbestimmten Fahrzeiten.

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