Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018
Gelenkersetzende Therapie bei Gonarthrose
Carsten O. Tibesku1
Zusammenfassung: Für die gelenkersetzende Therapie der Gonarthrose stehen prinzipiell Teil- und Totalersatz zur Verfügung. Der partielle Gelenkersatz ist dem totalen in der Funktion und Patientenzufriedenheit insbesondere bei jüngeren Patienten überlegen, hingegen ist die Langzeithaltbarkeit zumindest in Registerstudien höher beim totalen als partiellen Gelenkersatz.
Je nach Zustand der Bänder und dem Schädigungsmuster stehen Teilersätze des medialen, lateralen und patellofemoralen Kompartments zur Verfügung, welche auch miteinander kombiniert werden können.
Der Oberflächenersatz des Kniegelenks (Knie-TEP) unter Erhalt der Kollateralbänder stellt mit mehr als 150.000 Versorgungen pro Jahr in Deutschland die meistgebrauchte Prothese dar. Die verschiedenen Typen unterscheiden sich vor allem durch die intrinsische Stabilität, den meist verwendeten mit Erhalt des hinteren Kreuzbands (CR, cruciate retaining), gefolgt von dem Ersatz des hinteren Kreuzbands (PS, posterior stabilisiert) und dem selten verwendeten Erhalt beider Kreuzbänder (Bi-CR). Bei partieller Instabilität der Seitenbänder kommen teilgekoppelte Prothesen (CC, condylar constrained) und beim Verlust des medialen Seitenbands oder großen Differenzen zwischen Beuge- und Streckspalt gekoppelte Implantate zur Verwendung.
Neben den in festen Größen vorgefertigten „Standard“-
Implantaten finden seit einigen Jahren individualisierte Implantate Verwendung (custom TKA, patient-specific), deren Vorteil in der Rekonstruktion der Gelenklinie, des Patellalaufs,
einer natürlicheren Kinematik und der Vermeidung von Überständen und intraoperativer Kompromissbildungen liegt.
Neben der seit langem verwendeten Navigation finden als weitere Hilfsmittel zur optimalen intraoperativen Positionierung der Prothese patientenspezifische Instrumente (PSI) und Fräsroboter Verwendung. Während für die bildfreie Navigation und die patientenspezifischen Instrumente eine Verringerung der „Ausreißer“ der angestrebten Prothesenposition von ca. 25–30 % bei konventioneller Instrumentation auf ca. 10–15 % festgestellt wurde, stehen die Ergebnisse der Fräsroboter noch aus. Gegenüber der Navigation zeigen PSI einen Vorteil im Bereich der Rotationsausrichtung der femoralen und tibialen Komponenten.
Schlüsselwörter: Gonarthrose, operative Therapie, partieller
Gelenkersatz, Schlittenprothese, Knie-TEP, Knietotalendoprothese, patientenspezifisch, Individualprothese
Zitierweise
Tibesku CO: Gelenkersetzende Therapie bei Gonarthrose.
OUP 2018; 7: 396–406 DOI 10.3238/oup.2018.0306–0406
Summary: Reconstruction of the osteoarthritic knee is divided into partial and total knee replacement. Partial knee replacement is regarded superior in terms of patient satisfaction and functional results, especially in young patients, whereas total knee replacement has a slightly higher long term survival, at least in registry data. Depending on the intact ligaments and the worn compartments, there are partial replacements for the medial, lateral and patellofemoral compartment, which can also be used in combination.
Unconstrained total knee arthroplasty (TKA) with preservation of both collateral ligaments is the most often used knee replacement, with more than 150.000 surgeries per year in Germany. The miscellaneous types of TKA differ mainly by the intrinsic stability, the most often used being posterior cruciate retaining TKA (CR), followed by posterior stabilized TKA (PS) and the rarely used bi-cruciate retaining TKA (bi-CR). In cases of partial collateral ligament instability, condylar constrained TKA (CC) are used, and a lack of the medial collateral ligament or pronounced differences between flexion and extension gap lead to the use of hinge protheses.
Besides the standard „off-the-shelve“ implants, there is increasing interest in and use of custom or patient-specific TKA, which are considered advantageous in reconstruction of the joint line, patellar tracking, more natural kinematics and avoidance of overhangs and intraoperative compromises.
Besides the time-tested navigation, patient-specific instruments (PSI) and robot assistance have been introduced into TKA as tools for improved prosthesis positioning. Image-free navigation and PSI have been demonstrated to reduce the percentage of outliers from desired alignment from 25–30 % with conventional instruments to only 10–15 %, whereas results for robot assisted TKA are still pending. Compared to navigation, PSI have advantages with regards to rotational alignment of both femoral and tibial components.
Keywords: ostoarthritis of the knee, surgical therapy, partial knee replacement, unicompartmental knee replacement, total knee replacement, patient-specific, custom, knee arthroplasty
Citation
Tibesku CO: Joint replacement in osteoarthritis of the knee.
OUP 2018; 7: 396–406 DOI 10.3238/oup.2018.0306–0406
1 KniePraxis Prof. Dr. Tibesku, Straubing
Einführung
Die gelenkersetzende Therapie bei Gonarthrose lässt sich prinzipiell in den Teilersatz und den Totalersatz einteilen [1]. Die Vorteile des Teilgelenkersatzes gegenüber dem Oberflächenersatz sind vielfältig: Im direkten Vergleich ist der Teilersatz weniger invasiv, hat einen geringeren Blutverlust, schnellere Rehabilitation, geringere Kosten, geringere Infektionsgefahr, geringere und weniger schwere Komplikationen und im Fall des Versagens eine einfachere Revision. Für die Funktion des Kniegelenks spielt der Erhalt des vorderen Kreuzbands eine entscheidende Rolle: Ein Verlust des vorderen Kreuzbands führt zu einer vermehrten Quadrizepsvermeidung, welche beim Totalersatz ausgeprägter ist als beim Teilersatz [2–4]. Ebenso induziert das VKB die sog. Schlussrotation des Kniegelenks in Extensionsnähe. VKB-insuffiziente Kniegelenke, also alle Knietotalendoprothesen, können die Rotationsbewegungen des natürlichen Kniegelenks nicht nachahmen. Funktionelle Untersuchungen konnten zeigen, dass die Kinematik [5], Stabilität [6], Muskelaktivität [7], isokinetische Muskelkraft [7], der Gelenkstellungssinn (Propriozeption) [8] und die Ganganalyse [9] nach einer Schlittenprothese normaler war als nach einer Knie-TEP. Patienten mit einem Teilgelenk in einem Knie und einer Knie-TEP im anderen Gelenk, bevorzugten zu 50 % den Teilersatz oder empfanden keinen Unterschied [10]. Insbesondere jüngere Patienten erzielen eine signifikant höhere Zufriedenheit mit einem Teilgelenk gegenüber einer Knie-TEP [11].