Arzt und Recht - OUP 06/2019
Gesetz für schnellere Termine und bessere VersorgungTerminservice- und Versorgungsgesetz – TSVG
Heiko Schott
Was griffig klingt, entpuppt sich insbesondere in Detailfragen als komplexes Regelwerk, bei dem spezielle Vorgaben und Einbindungen noch gar nicht geklärt sind. Das Gesetz, das bereits zum 11.05.2019 in Kraft trat, veranlasst erhebliche Änderungen zahlreicher Normen, u.a. des SGB V, des Bundesmantelvertrags, der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte, des EBM und des Sozialgerichtsgesetzes. Mit all seinen Regelungen greift der Gesetzgeber durchaus tief in die Praxisabläufe ein. Der KVNO-Vorstandsvorsitzende Dr. med. Frank Bergmann warnte angesichts der umfangreichen Änderungen, die mit neuen Dokumentations- und Meldepflichten einhergehen, vor einem „Bürokratie-Tsunami“1.
Der KVNO-Chef erneuerte in der Sonder-Vertreterversammlung seine Kritik an der Regelungswut der Politik, das TSVG betreffend, und führte aus: „Deutlicher hätte der Gesetzgeber sein Misstrauen gegenüber der Ärzteschaft nicht formulieren können.“2
Im Folgenden soll auf die zum jetzigen Zeitpunkt wesentlich erscheinenden Änderungen eingegangen, bzw. diese dargestellt werden.
Sprechstunden
Niedergelassene Ärzte müssen ab Inkrafttreten des TSVG mindestens 25 statt 20 Sprechstunden pro Woche für gesetzlich Versicherte anbieten. Zeiten für Hausbesuche werden darauf angerechnet. Diese Vorgabe gilt für einen vollständig ausgefüllten Sitz; bei einem halben Sitz halbiert sich auch die Mindestsprechstunden-Verpflichtung. Für dieses Mehrangebot gibt es keine gesonderte Vergütung.
Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben den gesetzlichen Auftrag, die Sprechstundenzeiten ihrer Mitglieder inklusive Angaben zur Barrierefreiheit der Praxis im Internet zu veröffentlichen. Außerdem sollen sie prüfen, ob die Ärzte die geforderten Mindestsprechstunden auch tatsächlich anbieten. Sollte diese Prüfung ergeben, dass in mindestens zwei aufeinanderfolgenden Quartalen die erforderlichen Zeiten unterschritten werden, ist der Vertragsarzt aufgefordert, die Sprechstundenzeiten umgehend zu erhöhen oder seinen Versorgungsauftrag durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Zulassungsausschuss zu beschränken. Kommt der Arzt dieser Aufforderung nicht fristgerecht nach, ist die Kürzung der Vergütung vorgesehenes Sanktionsmittel.
Offene Sprechstunde
In den bisherigen Veröffentlichungen heißt es regelmäßig:
„Fachärzte, die die grundversorgende und wohnortnahe Versorgung sicherstellen, müssen mindestens fünf Stunden offene Sprechzeit in der Woche anbieten.“4 Dies ist allerdings zumindest unvollständig dargestellt. Korrekterweise muss es diesbezüglich heißen: „Ärzte, die an der fachärztlichen Versorgung (...) teilnehmen und die insbesondere den Arztgruppen der grundversorgenden und wohnortnahen Patientenversorgung angehören, müssen (...).“5 Welche Arztgruppen als grundversorgend und wohnortnah definiert werden und welche Arztgruppen die offene Sprechstunde ab August 2019 anbieten müssen, ist derzeit nicht geregelt. Dies wird noch von KBV und GKV-Spitzenverband im Bundesmantelvertrag-Ärzte festgelegt werden. Die AOK geht beispielweise davon aus, dass konservativ tätige Augenärzte, Frauenärzte, Orthopäden und Hals-Nasen-Ohren-Ärzte unter diese Regelung fallen werden.6
Es steht allerdings bereits fest, dass Patienten für diese Sprechzeiten keine Überweisung benötigen. Alle Leistungen im Behandlungsfall, die im Rahmen von bis zu fünf offenen Sprechstunden pro Kalenderwoche erbracht werden, werden extrabudgetär vergütet.
Extrabudgetäre Vergütung für „Neupatienten“
Erstmals erhalten Praxen eine extrabudgetäre Vergütung in voller Höhe für die Behandlung neuer Patienten. Als „neu“ gilt ein Patient, wenn er in den vergangenen beiden Jahren nicht abgerechnet worden ist. Offen ist hingegen noch die nicht ganz unwesentliche Frage, für welche Fachgruppen diese Regelung überhaupt gilt. Auch diesen Punkt müssen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) noch in naher Zukunft fixieren.
Regressrisiko
Unsicherheit besteht indes bei der Frage des zukünftigen Regressrisikos und dem damit in Zusammenhang stehendem Procedere. Während die KV Berlin beispielsweise davon ausgeht, dass es zukünftig „einen erhöhten Regressschutz“ geben wird7, geht die KVNO davon aus, dass „das Regressrisiko weiter drastisch sinken werde“8. Beiden Zitaten steht der Verfasser allerdings äußerst kritisch gegenüber. Richtig ist, dass es Regresse und Nachforderungen voraussichtlich ab 1. Juli 2019 maximal zwei Jahre rückwirkend geben darf, bisher waren es vier Jahre. Hier gilt der Erlass des Honorarbescheids als Fristbeginn. Richtig ist ebenfalls, dass es keine Stichprobenprüfungen mehr geben wird. Allerdings werden Prüfungen „auf begründeten Antrag“ hin erfolgen und auch zusätzliche, an Durchschnittswerten orientierte Prüfungen durch die KVen sind – abgesehen von unterversorgten Gebieten – weiterhin möglich. Insofern stellt die Abkürzung der Prüfungszeiträume zunächst einen vermeintlichen Vorteil dar, der jedoch ohne Weiteres aufgrund der bestehenden Datenstruktur keinen merkbaren Effekt auf die Ärzteschaft haben wird. Weitere, tatsächliche Absenkungen des Regressrisikos sind nicht ersichtlich.
Terminservicestellen (TSS)
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Terminservicestelle müssen künftig ab dem 01.01.2020 nach einem standardisierten Verfahren eine telefonische Ersteinschätzung vornehmen, wenn ein Patient anruft. Sie sollen dann feststellen, an welche medizinisch gebotene Versorgungsebene sie den Patienten am besten vermitteln. Mit anderen Worten: Die Terminservicestelle entscheidet, wer als Notfall an die 112 durchgestellt, in die Notaufnahme eines Krankenhauses, zum ärztlichen Bereitschaftsdienst oder ins Wartezimmer einer offenen Arztpraxis geschickt wird.
Die Terminservicestelle wird unter der bundesweiten Nummer 116117 erreichbar sein.
Für die von der Terminservicestelle (TSS) vermittelten Patienten sollen Praxen je Behandlungsfall und für das aktuelle Quartal abgestaffelte Zuschläge auf die Versicherten- bzw. Grundpauschale erhalten, mit der die Vermeidung langer Wartezeiten belohnt wird. Die Höhe der Zuschläge soll davon abhängen, wie schnell der Patient nach Kontakt mit der Terminservicestelle in der Praxis behandelt wird: 50 % bei einem Termin innerhalb von 8 Tagen und bei Akutfällen, 30 % bei einem Termin innerhalb von 9 bis 14 Tagen und 20 % bei einem Termin innerhalb von 15 bis 35 Tagen.
Im Übrigen sei erwähnt, dass Hausärzte, die dringende Facharzttermine vermitteln, pauschal und extrabudgetär 10 Euro erhalten. Wie diese letztgenannte Regelung mit der ärztlichen Berufsordnung (Stichwort: Zuweisung gegen Entgelt) vereinbar sein soll, erschließt sich in keinster Weise.
Korrespondenzadresse
Rechtsanwalt Heiko Schott
Fachanwalt für Medizinrecht
Leithestraße 39
45886 Gelsenkirchen
Mail@Schmelter-Schott.de
1 KVNO aktuell vom 03.05.2019
2 So KVNO aktuell vom 03.05.2019
3 Vgl. § 19a Zulassungsverordnung der Ärzte (n.F.)
4 Vgl. z.B. KV Berlin, TSVG-die wichtigsten Neuerungen im Überblick
5 Vgl. § 19a Absatz 1 Zulassungsverordnung der Ärzte (n.F.)
6 Vgl. www.aok-bv.de/hintergrund/gesetze/index_20827.html
7 KV Berlin, TSVG-Die wichtigsten Neuerungen im Überblick
8 KVNO aktuell, Sonderausgabe TSVG, S. 8