Arzt und Recht - OUP 07-08/2013
Gutachtenauftrag – Cave „Nebenpflichten“
Zum Verfahren:
Im streitgegenständlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht hat der Kläger nun vorgetragen, der beklagte Arzt habe einen gänzlich anderen Eingriff vorgenommen, als bei der Besprechung und in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Konstanz dargestellt. Der beklagte Arzt habe dem Kläger in Aussicht gestellt, die versäumte Einrenkung der Knochen nachzuholen, also eine Reponierung und temporäre Fixierung des Mittelhandknochens vorzunehmen. Es würde nur eine geringfügige Versteifung (temporäre Arthrodese) der Mittel- bzw. Handwurzelknochen vorgenommen, die jedoch vernachlässigbar sei und die Beweglichkeit der Hand nicht beeinträchtigen würde. Er habe dem Kläger erklärt, der Kläger werde nach dem Eingriff keine Nervenschmerzen oder Migräneanfälle mehr haben. Schon der Vorschlag einer Korrekturoperation sei fragwürdig, wie das Privatgutachten der Ärzte Dr. R. und J. Mo. ergeben habe.
Tatsächlich sei der beklagte Arzt von der besprochenen Operation rechtswidrig und ohne Einwilligung des Klägers abgewichen. Statt der Einrenkung habe er dem Kläger durch Abtragung bzw. Kürzung von Knochen im Gelenkbereich die Chance einer Reponierung und vollständigen Wiederherstellung seiner Gesundheit genommen. Wäre die besprochene Operation durchgeführt worden, könnte der Kläger die Hand wieder uneingeschränkt nutzen. In jedem Fall sei der beklagte Arzt nicht befugt gewesen, eigenmächtig Knochenmaterial zu entfernen. Er hätte in jedem Fall die Operation beenden und ein anderes Vorgehen mit dem Kläger besprechen müssen. Keinesfalls hätte sich der Kläger bei zutreffender Darstellung der Chancen und Risiken des Eingriffs auf eine Operation eingelassen.
Da der beklagte Arzt ohne Einwilligung des Klägers eine gänzlich überflüssige, kosmetische Operation vorgenommen habe, treffe ihn die Beweislast dafür, dass die Schmerzen und Beeinträchtigungen des Klägers nicht auf seinen Eingriff zurückzuführen seien.
Aus den Gründen
Die Berufung des Klägers ist nach Auffassung des Oberlandesgerichts in geringem Umfang begründet. Der Kläger habe gegenüber den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.500,00 €, da der vom beklagten Arzt durchgeführten Handoperation keine hinreichende Patientenaufklärung vorangegangen ist. Der Eingriff sei mangels ordnungsgemäßer Einwilligung des Klägers rechtswidrig gewesen. Allerdings könne der Kläger nicht nachweisen, dass die Operation zu einer Verschlechterung seiner Handfunktion und zu den behaupteten gravierenden Beschwerden und gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Aus diesem Grund könne nur ein geringes Schmerzensgeld für die unmittelbar mit einer solchen Operation verbundenen gesundheitlichen Nachteile (Unannehmlichkeiten des Eingriffs, zeitweiliger Bewegungs- und Wundschmerz sowie eine Narbe an der Hand) zuerkannt werden.
Der Kläger sei über den operativen Eingriff nicht hinreichend aufgeklärt worden. Beweispflichtig für die ordnungsgemäße Einwilligung in die Operation, der eine richtige und vollständige Patientenaufklärung vorangehen muss, sei der Arzt.
Die Aussagen des beklagten Arztes in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Konstanz seien die Basis und der Bezugspunkt der Besprechung. Entsprechend der ausführlichen Schilderung in der Gerichtsverhandlung sollte demnach eine Korrekturoperation durchgeführt werden.
Ausweislich des Protokolls von der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Konstanz habe der beklagte Arzt in der Verhandlung die Möglichkeit aufgezeigt, die bestehende Fehlstellung des 4. und 5. Fingers operativ zu korrigieren und dadurch ein verbessertes Funktionsresultat zu erzielen. In dem Protokoll sei davon die Rede, dass intraoperativ eine Reponierung und eine temporäre Arthrodese (zeitlich beschränkte Einsteifung des Grundgelenks) durchgeführt werden könnte. Nicht nur aus der Sicht eines Laien, sondern auch für den in Arzthaftungssachen spezialisierten Senat erweckten diese Aussagen den Eindruck, als ob durch die Operation die ursprünglich versäumte Einrenkung der Gelenke nachgeholt und nach zeitweiliger Ruhigstellung die vollständige Funktion und Beweglichkeit der Hand – der Kläger klagte präoperativ insbesondere über die Unmöglichkeit eines vollständigen Faustschlusses – wieder hergestellt werden könne. Der Sachverständige habe auf Befragung des Senats die im Protokoll niedergelegte Schilderung der Operation ebenfalls in diesem Sinne aufgefasst. Ein derartiges Vorgehen (Einrichtung der verrenkten Mittelhandknochen) hätte angesichts der über 5 Jahre zurückliegenden Ausgangsverletzung – so der Sachverständige überzeugend – keine nennenswerte Aussicht auf Erfolg gehabt. Demnach treten bereits kurze Zeit nach einer Luxation durch die Heilung der Verletzung Veränderungen im Gelenk auf, die die Chancen einer Einrenkung senken. Dementsprechend habe der Gutachter die Einrenkung der luxierten Handknochen zum Zeitpunkt der Operation als faktisch nicht mehr möglich bezeichnet. Wolle man einen solchen Eingriff vornehmen, müsse man mit dem Patienten über die geringe Erfolgschance dieses Versuches sprechen, wobei in der Praxis kein Arzt einen solchen Versuch unternehmen würde, so der Gutachter.
Es möge sein, dass der beklagte Arzt subjektiv als erfahrener Facharzt ebenfalls nicht den Plan hatte, die Knochen „wieder einzurenken“, weil ihm klar war, dass mit einem solchen Versuch lediglich erhebliche Schädigungsgefahren verbunden sind, ohne dass dem nennenswerte Erfolgsaussichten gegenüber stehen. Tatsächlich habe er dem Kläger jedoch objektiv unzutreffend eine (aussichtslose) Reponierung der verrenkten Knochen angeraten. Ihm wäre es als Facharzt auf dem Gebiet der Handchirurgie jedoch
Der beklagte Arzt habe den Kläger damit vorwerfbar unzureichend über die Operation informiert. Der Eingriff sei nicht von der Einwilligung des Klägers gedeckt gewesen und folglich rechtswidrig.
Für die Beschwerden und Beeinträchtigungen, die glaubhaft und belegt sind, erachtet der Senat ein Schmerzensgeld von 1.500,00 € für angemessen und ausreichend.