Übersichtsarbeiten - OUP 04/2014
Hallux valgus-ChirurgieVerfahren, Technik, KomplikationsvermeidungSurgical procedure, technique and avoidance of complications
Durch die Lateralisation der Sesambeinchen aufgrund der Medialisierung des Metatarsaleköpfchens kommt das mediale Sesambein lateral des Sulcus zu liegen, der für seine Führung bestimmt ist. Das laterale Sesambein artikuliert mit der lateralen Seite des Metatarsaleköpfchens im ersten Intermetatarsalraum. Die Sehnen des Flexor und des Extensor hallucis longus ziehen lateral am Kopf vorbei und fungieren so als Adduktoren, welche zur Deformität beitragen. Der Adductor hallucis und der laterale Kopf des Flexor hallucis brevis verstärken dies und werden mit der Zeit kontrakt, ebenso wie die laterale Gelenkskapsel. Der Abductor hallucis und der mediale Kopf des Flexor hallucis brevis verlieren ebenso ihr Abduktionsmoment. Die sich daraus ergebende Imbalance bedingt eine Dorsiflexion und Pronation der Großzehe, woraus eine Verringerung des Bodendrucks unter dem Großzehenballen mit Insuffizienz des ersten Zehenstrahls und Überlastung der angrenzenden Zehenstrahlen entsteht. In weiterer Folge resultiert eine Hammerzehendeformität der zweiten Zehe mit Subluxation im Metatarso-Phalangealgelenk [4].
Einteilung des Hallux valgus
Seit der von Keller [5] und Brandes [6] Anfang des 20. Jahrhunderts favorisierten Resektionsarthroplastik wurden über 130 verschiedene Eingriffe zur Korrektur von Fehlstellungen des ersten Zehenstrahls beschrieben [4]. Die differenzierte Betrachtungsweise der Deformität brachte eine Einschränkung des Einsatzspektrums der jeweiligen Verfahren mit sich und erfordert eine Berücksichtigung des Arthrosegrads sowie der Winkelstellung des ersten Mittelfußknochens bei der Indikationsstellung (s. Abb. 1). Mehrere Autoren schlugen daher Algorithmen zur Wahl des geeigneten operativen Verfahrens vor [4, 7, 8], welche bereits auch Eingang in die Gutachtenerstellung bei Schadenersatzforderungen nach unzureichender Hallux valgus-Korrektur gefunden haben. Das Ausmaß der Hallux valgus-Deformität wird üblicherweise anhand des Hallux valgus-Winkels (HVA) und dem Intermetatarsalwinkel (IMA) in 3 Schweregrade eingeteilt:
mild (HVA bis 19°, IMA bis 13°);
moderat (HVA 20°–40°, IMA 14°–20°);
schwer (HVA > 40°, IMA > 20°).
Die Kongruenz im ersten Metatarsophalangealgelenk ist dabei zu beachten.
Die Interobserver-Reliabilität (Reproduzierbarkeit) bei der Bestimmung dieser Werte unterscheidet sich erheblich zwischen den gemessenen Winkeln und zeigt den größten Korrelationskoeffizienten für den Hallux valgus-Winkel sowie den geringsten für die Messung des distalen Gelenkflächenwinkels (DMAA) [9]. Andererseits wurde die signifikante Korrelation zwischen dem DMAA und dem Rotationswinkel der Sesambeinchen nachgewiesen [9]; und die Korrektur des DMAA ist – ebenso wie die Reposition der Sesambeinchen unter das Metatarsaleköpfchen – eine Minimalforderung zur Vorbeugung eines Hallux valgus-Rezidivs (vgl. Abb. 2a und 2b). Darüber hinaus ist das Längenverhältnis des ersten zum zweiten Metatarsale (Metatarsaleindex) zu beachten, und die Richtung der jeweiligen Korrekturosteotomie (Verlängerung/Verkürzung/neutral) zur Vorbeugung bzw. Therapie von Metatarsalgien auszurichten [8].
Degenerative Veränderungen – Hallux rigidus
Bei einer arthrotischen Degeneration des Gelenks ist häufig eine Proliferation des Knochens am dorsalen Aspekt des Mittelfußköpfchens zu beobachten, die zu einem Impingement der proximalen Phalange bei Dorsalextension führt. Dadurch schlägt die proximale Phalange an, anstatt zu gleiten und verursacht Schmerzen. Die Therapie besteht in der Entfernung dieses knöchernen Überstands und damit der Beseitigung des Impingements, was meist auch zu einer deutlichen Schmerzbesserung führt. Im Falle einer fortgeschrittenen Arthrose ist bei aktiven Individuen die Arthrodese indiziert [8], wobei die Entscheidung hierfür primär anhand des klinischen Befunds zu treffen ist. Von der Industrie werden Implantate für den operativen Gelenkersatz des Großzehengrundgelenks angeboten, an unserer Abteilung werden derartige Eingriffe aufgrund der bislang schlechten Langzeitergebnisse jedoch nicht durchgeführt. Für wenig aktive Patienten, denen die Beweglichkeit im Großzehengrundgelenk wichtiger ist als die Belastbarkeit, kann eine Operation nach Regnauld [10] eine zeitlich begrenzte Alternative darstellen. Eine reine Resektionsarthroplastik, wie die Operation nach Keller [5] und Brandes [6], sind für die Therapie des Hallux valgus nicht mehr zeitgemäß und kommen lediglich in Ausnahmefällen bei älteren Patienten infrage, denen eine längere Teilbelastung nicht zugemutet werden kann.
Operative Verfahren
Distaler Weichteileingriff
Die Grundlage nahezu jeder gelenkerhaltenden Hallux valgus-Korrektur stellt der distale Weichteileingriff dar [11]. Dabei wird der Adductor hallucis sowie die Gelenkkapsel vom lateralen Sesambein gelöst und eine Reposition des Sesambeins unter das Metatarsaleköpfchen ermöglicht. Das laterale Seitenband des Großzehengrundgelenks sollte hier nach Möglichkeit erhalten bleiben, um einem Hallux varus vorzubeugen. Ob für den Weichteileingriff eine separate interdigitale Inzision dorsalseitig gewählt wird oder ein transartikulärer Zugang von medial , hat keinen Einfluss auf das klinische und radiologische Ergebnis [12]. Ein alleiniger Weichteileingriff ohne knöcherne Korrektur ist jedoch in den meisten Fällen unzureichend [4].
Korrekturosteotomien am ersten Metatarsale
Diese können proximal oder distal durchgeführt werden, wobei distale Osteotomien ein geringeres Korrekturpotenzial in Bezug auf den Intermetatarsalewinkel aufweisen [13]. Distale Osteotomien bedürfen einer weniger invasiven Darstellung des Mittelfußknochens und sind in der Regel bei milden bis moderaten Deformitäten indiziert. Anlässlich einer Umfrage gaben 87 % von 128 amerikanischen Fußchirurgen an, sich in solchen Fällen für eine Chevron-Osteotomie [14] zu entscheiden. 10 % würden den Eingriff mit einer Akin-Osteotomie [15] an der proximalen Phalange kombinieren, welche auch die Therapie der Wahl beim Hallux valgus interphalangaeus darstellt [16]. Zur Vermeidung der Köpfchennekrosen, die bei distalen Osteotomien in bis zu 20 % zu beobachten ist, wird eine Modifikation der ursprünglich von Austin beschriebenen Chevron-Osteotomie empfohlen, bei welcher ein langer, flacherer plantarer Schenkel der Osteotomie die von plantar unmittelbar hinter der knorpeligen Gelenkfläche in das Mittelfußköpfchen einstrahlenden Gefäße schonen soll [17] (Abb. 3).