Übersichtsarbeiten - OUP 02/2019
Hallux valgus – ein Update
Joern Dohle
Zusammenfassung:
Die Hallux-valgus-Deformität ist die häufigste Fehlstellung des Fußes, die operativ korrigiert wird.
In westlichen Kulturkreisen liegt ihre Prävalenz bei bis zu 23 %, wobei überwiegend das weibliche Geschlecht betroffen ist. In der wissenschaftlichen Literatur besteht weiterhin Uneinigkeit hinsichtlich
Ätiologie und prädisponierender Faktoren, mit Ausnahme der juvenilen Hallux-valgus-Deformität, bei
der in der Regel eine anlagebedingte Fehlstellung des Gelenkflächenwinkels vorliegt. Eine kausale konservative Therapie ist nach wie vor nicht belegt. Eine operative Korrektur sollte unter Berücksichtigung der kürzlich in aktualisierter Form veröffentlichten Leitlinien durchgeführt werden. Bei Abweichung von der Leitlinie, wie z.B. bei Korrektur eines geringen Metatarsus primus varus durch eine Lapidus-Arthrodese, sollten die Gründe dokumentiert werden, z.B. eine Instabilität des ersten Tarsometatarsalgelenks. Die Chevron-Osteotomie kann als „goldener Standard“ zur Korrektur leichter Fehlstellungen bezeichnet
werden. Bei schwerer Fehlstellung stellt die Arthrodese des ersten Tarsometatarsalgelenks in Kombination mit einer „weichteiligen Rezentrierung“ des Großzehengrundgelenks eine Behandlungsoption dar, die unter Benutzung von medial oder plantar positionierter winkelstabiler Platte eine rasche postoperative Belastung des Fußes erlaubt.
Schlüsselwörter:
Hallux-valgus; Vorfußchirurgie
Zitierweise
Dohle J: Hallux valgus – ein Update. OUP 2019; 8: 059–067
DOI 10.3238/oup.2019.0059–0067
Summary: Hallux valgus deformity is the most common problem of the foot that needs operative correction.
A prevalence of up to 23 % has been reported for western populations with a clear predominance in women. There is still no consensus regarding etiology and predisposing factors with the exception of juvenile hallux valgus, which is frequently caused by a lateral orientation of the distal metatarsal joint surface. Non-operative treatment can reduce symptoms but is not able to reduce the amount of deformity. If operative correction is considered, surgery should be according to national guidelines, which have been recently updated in Germany. Any deviation from the published guidelines should be documented and explained. For example correction of mild to moderate hallux valgus deformity by a Lapidus arthrodesis can be justified by significant instability of the first tarsometatarsal joint. Otherwise the Chevron-Osteotomy is considered as “Golden Standard” for correction of mild to moderate deformity and is typically combined with a soft tissue realignment procedure of the hallux-metatarsal joint. For correction of moderate to severe deformities a modified Lapidus-Arthrodesis has gained popularity in recent years. Using medial or plantar locking plates, allows early weight-bearing after the operation und a rapid rehabilitation of the patients.
Keywords: Hallux valgus; forefoot surgery
Citation: Dohle J: Hallux valgus – an update OUP 2019; 8: 059–067 DOI 10.3238/oup.2019.0059–0067
OGAM Orthopädie, Wuppertal
Einführung
Die Hallux-valgus-Deformität ist nach wie vor die häufigste Fehlstellung des Fußes, die operativ korrigiert wird. Genaue Zahlen über die Häufigkeit operativer Korrekturen des Hallux valgus liegen für Deutschland leider nicht vor, was auf einer inkonsistenten Datenerhebung beruht.
Stationäre Eingriffe werden über das statistische Bundesamt (Destatis) erfasst, wobei ambulante Eingriffe über die jeweils zuständige Kassenärztliche Vereinigung abgerechnet und erfasst werden. Mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen, hier existieren 2 Kassenärztliche Vereinigungen, hat jedes Bundesland eine KV. Die Daten werden aber bundesweit nicht zusammengeführt, sodass keine verlässlichen bundesweiten Statistiken über die Häufigkeit operativer Hallux-valgus-Korrekturen bestehen.
In der Literatur wird eine Prävalenz der Hallux-valgus-Deformität von 23–35 % berichtet [2, 28, 42]. Überwiegend ist das weibliche Geschlecht betroffen, wobei sich in der Literatur große Unterschiede hinsichtlich der Häufigkeitsverteilung zwischen Frauen und Männern finden. Teilweise wird ein Häufigkeitsverhältnis von 15:1 [42] angegeben, in manchen Metaanalysen auch „nur“ von 2,3:1 [28]. Zu unterscheiden sind dabei allerdings Angaben zur Prävalenz einerseits gegenüber Angaben zur Geschlechtsverteilung in Publikationen über operative Verfahren, da letztere auch durch die Bereitschaft zur operativen Korrektur bei vorhandener Fehlstellung geprägt sind.
Merke: Die Hallux-valgus-Deformität ist die häufigste Fehlstellung des Fußes, die operativ korrigiert wird.
Ätiologie und Pathogenese
Bei der Hallux-valgus-Deformität handelt es sich um eine 3-dimensionale Fehlstellung der Großzehe, die in der Regel mit einer Fehlstellung des ersten Metatarsale in Form eines Metatarsus primus varus verbunden ist. Allgemein akzeptierte Komponenten der Deformität sind:
Pronation der Großzehe
Deviation der Großzehe nach lateral, dem eigentlichen Hallux valgus
Deviation des ersten Metatarsale nach medial, dem Metatarsus primus varus
Dezentrierung des Großzehengrundgelenks
Liegt allerdings eine anlagebedingte Fehlstellung des Metatarsale mit Verkippung der Gelenkfläche nach lateral vor, kann trotz Hallux valgus ein zentriertes Großzehengrundgelenk vorliegen. Eine derartige Konstellation liegt häufig beim juvenilen Hallux valgus vor (Abb. 1).
Schuhwerk
Hinsichtlich der Genese, also wie es zur Entstehung einer Hallux valgus Deformität kommt, besteht weiterhin Uneinigkeit, mit Ausnahme der bereits erwähnten anlagebedingten Fehlorientierung der Gelenkfläche des distalen ersten Metatarsale. Während einerseits eine genetische Komponente vermutet wird [31], wird andererseits der Schuh als wesentlicher Faktor für die Entstehung gesehen [19, 36].
Eine aktuelle Studie von Borchgrevink et al. untersucht den Einfluss von Schuhwerk mit Absatz auf die Prävalenz einer Hallux-valgus-Deformität. Dazu wurden 205 Frauen im Alter zwischen 40 und 66 Jahren in Norwegen klinisch und radiologisch untersucht und nach benutztem Schuhwerk am Arbeitsplatz gruppiert. Als „High-Heel“ wurden Schuhe mit einer Absatzhöhe von ? 5 cm bezeichnet. Bedingung für eine Aufnahme in die Studiengruppe „High Heels am Arbeitsplatz“ war, dass die Frauen für mehr als 5 Jahre am Arbeitsplatz regelmäßig Schuhe mit hohem Absatz tragen mussten (High-Heel). In die Kontrollgruppe wurden nur Frauen aufgenommen, die am Arbeitsplatz keine Schuhe mit Absatz getragen hatten. Eine erhöhte Prävalenz einer Hallux-valgus-Deformität ließ sich weder klinisch noch radiologisch in einer Gruppe ermitteln. Auch hinsichtlich der erhobenen Scores (SEFAS und AOFAS) lag kein signifikanter Unterschied vor. Fußschmerzen und Schwielen waren allerdings in der „High-Heel“-Gruppe häufiger zu beobachten [4].