Informationen aus der Gesellschaft - OUP 03/2024
Hybrid-DRGMehr Fluch als Segen für Orthopädie und Unfallchirurgie
Frank Schemmann, Guido Köhne, Christoph Wilde
Zum 01.01.2024 erfolgte die Einführung der ersten Hybrid-DRGs für gesetzlich und privat Krankenversicherte in Deutschland. Aus dem Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie wurden 2 Hybrid-DRGs aus den DRG I20E und I20F kreiert. Diese umfassen, neben zahlreichen Eingriffen am Vorfuß, auch Sehnennähte am Unterschenkel sowie Osteosynthese-Operationen von einfachen Metatarsale-Frakturen. Von Seiten der Fachverbände wurde und wird die Ausgestaltung und Kalkulation dieser 2 Hybrid-DRGs nicht nur heftig kritisiert, sondern auch infrage gestellt.
Durch unzureichende Regelungen, Vorbereitungen und Datenmangel zur Umsetzung dieser Hybrid-DRGs im Alltag, insbesondere aus dem ambulanten Sektor, blieben erhebliche Mängel und Fragen zurück. Wie kann ein in sich differenziertes System (EBM) in ein Pauschalsystem implementiert werden, ohne dass dabei Verluste an Qualität und Wirtschaftlichkeit entstehen?
Entgegen der Hybrid-DRGs aus dem chirurgischen Bereich, welche mit Abschlägen von 20–30 % auf 1-Tages-DRGs kalkuliert wurden, ergaben sich bei den orthopädischen bzw. unfallchirurgischen Hybrid-DRGs I20M und I20N Abschläge von 50–60 % auf 1-Tagesfälle der DRGs. Die daraus resultierenden Erlöse decken isolierte und einfache Eingriffe am Vorfuß, wie bspw. die Exostosenabtragung, Tenotomie oder Krallenzehen-Korrekturen über Maß ab. Komplexere Eingriffe, wie Osteotomien bei Hallux valgus, Arthrorisen, beidseitige Eingriffe sowie bestimmte arthroskopische Eingriffe am Sprunggelenk können hingegen nicht kostendeckend erbracht werden.
Initial wurden vom Bundesministerium für Gesundheit 36 Operationsprozeduren als Hybrid-OPs an das Institut für Entgelt im Krankenhaus übermittelt. Aus unterschiedlichen Gründen wurden insbesondere im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie die DRG I20E & I20F letztlich nahezu vollständig in Hybrid-DRGs umgewandelt. Aus anfangs 6 Prozedurenkodes für Arthrodesen am Zehengelenk wurden 66 Prozedurenkodes, welche explizit eine Hybrid-DRG (Hybrid-OPS) auslösen. Hinzu kommen weit mehr als 100 Prozedurenkodes, welche unter bestimmten Voraussetzungen (Verweildauer < 2 Tage) zu impliziten Hybrid-OPs transferieren, wodurch unter anderem komplexe Mehrstrahleneingriffe in nicht kostendeckende Hybrid-DRGs umgewandelt werden. Die Vorschläge des InEK wurden demzufolge vom BMG unkritisch in die Hybrid-DRG-Verordnung umgesetzt.
Im Vordergrund drängt sich die Frage auf, wie es dazu kommen konnte. Sollten doch die Hybrid-DRGs in den Erlösen zwischen den Erlösen der 1-Tages-DRG-Fälle und der ambulanten Operationen rangieren. Einige wesentliche Punkte wurden bei der Kalkulation nicht hinreichend berücksichtigt.
Bei der Betrachtung der zugrundeliegenden DRGs des Starterkatalogs der Hybrid-DRGs dominierten relativ homogene DRGs insbesondere im Bereich der Leistenhernien. Aufgrund der Homogenität der beinhalteten Operationsprozeduren lassen sich diese Daten besser und spezifischer kalkulieren. Die für die DRG I20M kalkulierte DRG I20F stellt hingegen eine Resteklasse-DRG dar und beinhaltet eine sehr inhomogene Gruppe an Eingriffen, die an Fuß und Sprunggelenk durchgeführt werden. Somit erfolgte nach dem InEK-Prinzip der Mischkalkulation von DRGs ebenfalls eine Mischkalkulation von Hybrid-DRGs. Dies bedeutet, einfache Eingriffe erfahren eine deutliche Überfinanzierung und komplexere, kostenintensive Fälle eine deutliche Mindervergütung.
Insbesondere im Bereich von Orthopädie und Unfallchirurgie bedarf es in den allermeisten Fällen einer Mehrfachkodierung eines Eingriffs, um diesen spezifisch abzubilden. Besonders betroffen sind aufgrund der Mehrstrahligkeit zahlreiche Eingriffe der Hand- und Fußchirurgie. Im DRG-System können diese Besonderheiten erfasst werden und fließen in die Kalkulation der DRGs ein. Im ambulanten Bereich erfolgt die Abrechnung der operativen Eingriffe nach EBM. Unterteilt wird – im Gegensatz zum DRG-System – in Haupt- und Nebeneingriffe. Kodiert werden die Haupteingriffe und bei Erlösrelevanz und unter bestimmten Voraussetzungen Simultaneingriffe, wie bspw. eine eigene Diagnose, zusätzlicher Hautschnitt oder Schnitterweiterung und zusätzliche 15 Minuten Operationszeit. Eingriffe und damit Operationsprozeduren, welche die Definition des Simultaneingriffs verfehlen, werden nicht dokumentiert. Insofern liegt beiden Abrechnungssystemen grundsätzlich eine unterschiedliche Datenbasis zugrunde.
Zur Kalkulation der Hybrid-DRGs lagen dem InEK dementsprechend nur „eingeschränkt vergleichbare Daten“ zur Kalkulation vor. Erschwerend kam hinzu, dass die Daten aus dem ambulanten Bereich über das Institut des Bewertungsausschusses (InBA) nicht fallbezogen, sondern prozedurbezogen übermittelt wurden. Das bedeutet, dass keine hinreichend validen Daten auf Fallebene in die Kalkulation einfließen konnten und pauschal hochgerechnet werden mussten. Simultaneingriffe wurden in dieser Berechnung nicht hinreichend berücksichtigt, was wiederum zu einer Herabsetzung der Hybrid-DRG-Erlöse führte.
Die Kalkulation der Kosten erfolgte ausschließlich aus Kostenkalkulationsdaten des InEK, valide Kostenkalkulationsdaten aus dem ambulanten Sektor lagen weder für den vertragsärztlichen Bereich noch für die im Krankenhaus erbrachten ambulanten Operationen (AOP) vor. In Kombination mit weiteren Faktoren erklären diese Sachverhalte, warum die Erlössituation der orthopädisch-unfallchirurgischen Eingriffe derzeit und in Zukunft nicht die tatsächlichen Kosten dieser Eingriffe widerspiegeln.
Das aktuelle Konzept der Kalkulation der Hybrid-DRGs eignet sich zur Kalkulation homogener Eingriffsgruppen. Im aktuellen DRG-System dominieren – insbesondere im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie – DRGs mit erheblicher Inhomogenität. Für die Weiterentwicklung des Hybrid-DRG-Systems bedarf es entsprechend einer Eingrenzung der infrage kommenden Eingriffe – abgekoppelt von den jetzigen DRGs – um das Modell der Kalkulation und Abrechnung weiter zu entwickeln und zu etablieren. Ohne entsprechende Änderungen in der Datenlieferung, Kalkulation und Unterteilung der Hybrid-DRGs anhand differenzierter Fallgruppen wird die ambulante Versorgung von Versicherten im Bereich der Orthopädie und Unfallchirurgie, insbesondere auch bei arthroskopischen Eingriffen, nachhaltig gefährdet.
Erschwerend kommt für die Kalkulation der Hybrid-DRGs 2025 hinzu, dass für die Erlöskalkulation als Datenbasis der ambulanten Eingriffe das Jahr 2022 und nicht wie bei den stationären Fällen das Jahr 2023 vereinbart wurde. Somit werden auch die im EBM 2023 neu eingeführten Förderzuschläge für die Ambulantisierung nicht in die Kalkulation einfließen und eine weitere Unterfinanzierung der orthopädisch-unfallchirurgischen Hybrid-DRGs zementieren.
Das aktuelle System experimentiert auf Kosten der Versicherten und Leistungserbringenden mit Kalkulationsmodellen der Zukunft. Anstatt aus den Fehlern von 2024 zu lernen, droht die Fortsetzung einer fehlerhaften Kalkulation trotz entsprechender Einwände der Fachgesellschaften und Berufsverbände. Für das Jahr 2025 jedoch voraussichtlich nicht durch das BMG, sondern durch die Vertreter der Selbstverwaltungspartner KBV, DKG und GKV.
Vonseiten der GFFC (Gesellschaft für Fuß- und Sprunggelenkschirurgie e.V.) wurde im Sinne der InEK Grouper-Logik eine Differenzierung bzw. Aufteilung der bestehenden Hybrid DRGs I20M und I20N beantragt. Hierdurch könnten der Schweregrad des Eingriffs und auch der Sachkostenaufwand berücksichtigt und in die Vergütung komplexerer ambulanter Eingriffe sowie auch beidseitiger Eingriffen einfließen.
Es bleibt zu hoffen, dass wenn auch die Warnungen der Fachverbände an das BMG schon nicht gehört wurden, die Selbstverwaltung bei der Ausgestaltung des Hybrid-DRG-Systems 2025 aus den Kinderkrankheiten des Hybrid-DRGs lernt und eine notwendige Anpassung bei der Datensammlung, der Ausgestaltung der Hybrid-DRGs und der Kostenkalkulation vornehmen.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Frank Schemmann
Zentrum für orthopädische Chirurgie
OC-Boxberg
Boxbergweg 3
66538 Neunkirchen
fschemmann@arcor.de