Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018

Individualisierte Kniegelenkendoprothetik: patientenspezifischer Totalgelenkersatz

Andre F. Steinert1,2, Boris M. Holzapfel1, Jörg Arnholdt1, Yama Kamawal1, Johannes Beckmann3, Maximilian Rudert1

Zusammenfassung: Der endoprothetische Gelenkersatz am Kniegelenk hat sich bei Patienten mit fortgeschrittener trikompartimenteller Kniegelenkarthrose zu einer der häufigsten und gleichzeitig erfolgreichsten Operationen entwickelt. Viele Untersuchungen zum klinischen Ergebnis nach Kniegelenkendoprothetik zeigen jedoch, dass die Patientenzufriedenheit geringer ist, als ursprünglich gedacht, und dass bis zu ein Fünftel der Patienten mit dem postoperativen Ergebnis nicht vollständig zufrieden ist. Dabei lässt sich ein Teil der geschilderten Beschwerden auf eine nicht optimale Passform der Implantate mit einer daraus resultierenden unphysiologischen Kniegelenkkinematik zurückführen. Um diese Limitierungen der Standard-Kniegelenk-Implantate zu verbessern, wurde die patientenspezifische Kniegelenkendoprothetik entwickelt. Hierbei wird auf der Grundlage einer Computertomografie des Beins ein 3-dimensionales Kniegelenkmodel erstellt, mit dessen Hilfe in einem „Computer-Aided Design/Computer-Aided Manufacturing“(CAD/CAM)-Prozess sowohl patientenspezifische Instrumente als auch patientenspezifische Implantate hergestellt werden können. Dies hat einen besonderen Vorteil bei Patienten mit asymmetrischen anatomischen Verhältnissen am Kniegelenk, da beispielsweise am Femur der distale Femurwinkel wiederhergestellt werden und an der Tibia die kortikale Oberfläche mit dem Kniegelenkimplantat ideal abgedeckt werden kann. Das aktuelle Versorgungsspektrum umfasst trikompartimentelle Kniegelenkarthrosen, die mit kreuzbanderhaltender als auch kreuzbandsubstituierender Technik endoprothetisch zu versorgen sind. Die initialen klinischen und radiologischen Ergebnisse sind vielversprechend. Langzeitresultate stehen aktuell noch aus.

Schlüsselwörter: individuelle Endoprothetik, patientenspezifisch, totalendoprothetischer Gelenkersatz, Kniegelenkarthrose, kreuzbanderhaltend, kreuzbandersetzend, CAD/CAM

Zitierweise
Steinert AF, Holzapfel BM, Arnholdt J, Kamawal Y, Beckmann J, Rudert M: Individualisierte Kniegelenkendoprothetik: patientenspezifischer Totalgelenkersatz.
OUP 2018; 7: 212–218 DOI 10.3238/oup.2018.0212–0218

Summary: Total knee replacement (TKR) has advanced to be one of the most frequent and successful surgeries for the treatment of tricompartmental knee osteoarthritis. Several meta-analyses dealing with clinical outcomes after TKR have revealed that patient satisfaction is lower than originally thought, with about one fifth of the patients being not completely satisfied with their TKR surgery. These complaints are partly related to insufficient fit of the implant and the subsequent unphysiological knee joint kinematics. To overcome the implant-associated limitations of „off-the-shelf“ components, patient-specific TKR has been developed. Based on a computed tomography (CT) scan of the affected leg, a 3-dimensional model of the knee joint is created which is then used to create patient-specific instruments and implants in a computer-aided design/computer-aided manufacturing (CAD/CAM) process. This is of special advantage in OA patients with asymmetric anatomical knee joint measures, as for example the distal femoral angle is restored as well as the tibial cortical bone can be ideally covered with the implant. The current spectrum of care comprises tricompartmental knee disease that is treated with posterior cruciate ligament preserving as well as posterior cruciate ligament substituting TKRs. The initial clinical and radiological results are promising, however mid- and long-term clinical outcome data is lacking to date.

Keywords: individual knee endoprosthetics, total joint replacement, knee OA, patient-specific, cruciate-preserving, cruciate-substituting, CAD/CAM arthroplasty

Citation
Steinert AF, Holzapfel BM, Arnholdt J, Kamawal Y, Beckmann J, Rudert M: Individual knee arthroplasty: patient-specific total joint replacement.
OUP 2018; 7: 212–218 DOI 10.3238/oup.2018.0212–0218

1 Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Lehrstuhl der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Hintergrund

Die gegenwärtigen Probleme der Standard-Knieendoprothetik beruhen z.T. auf implantatassoziierten Faktoren inklusive Implantatfehldimensionierung oder -fehlpositionierung oder -fehlbalancierung, mit der Folge einer abnormen postoperativen Kniegelenkkinematik. Die Folge ist, dass etwa 20 % der Patienten mit ihrem postoperativen Ergebnis nach Standard-Kniegelenkendoprothetik unzufrieden sind [3, 4, 7, 8, 9]. Um diese Limitierungen zu adressieren, wurde ein patientenspezifisches Kniegelenkendoprothesensystem entwickelt, das auf der Rationale beruht, das Implantat an die patientenindividuelle Anatomie anzupassen und nicht umgekehrt, wie es bei der endoprothetischen Regelversorgung der Fall ist. Dies macht Sinn, da die Anatomie des Kniegelenk sowohl am Femur als auch an der Tibia in hohem Maß individuell unterschiedlich ist einschließlich der Variabilität der Epikondylenachse, der Trochleamorphologie und der Tibiaplateaugeometrie, wobei symmetrische Implantate in den meisten Fällen nicht die exakte Oberflächenanatomie des Kniegelenks und die natürliche Kniegelenkkinematik wiederherstellen können [11, 12]. Auch besondere Designcharakteristika, wie die Genderdesigns oder auch Einzelradiusdesigns vieler Knieprothesensysteme, können die individuellen anatomischen Charakteristika wie Rotationsunterschiede der Trochlea und der epikondylären Achse nicht berücksichtigen und die natürliche Kniekinematik verändern [5, 6, 10]. Dabei ist die Kniekinematik an sich ein komplexer Bewegungsvorgang mit einem medialen Pivotieren und einem Roll-Gleit-Mechanismus während der Kniebeugung und -streckung, wobei insbesondere dem lateralen Rollback für ein natürliches Bewegungsgefühl des Kniegelenks besondere Bedeutung beigemessen wird [5, 6]. Bei der Individualendoprothetik wird auf Basis einer Computertomografie des Beins ein 3-dimensionales Kniegelenkmodell erstellt, mit dessen Hilfe in einem „Computer-Aided Design/Computer-Aided Manufacturing“(CAD/CAM)-Verfahren sowohl patientenspezifische Instrumente als auch patientenspezifische Implantate hergestellt werden können [10]. Das aktuelle Versorgungsspektrum im Bereich Vollgelenkersatz umfasst trikompartimentelle Kniegelenkarthrosen, die mit kreuzbanderhaltender als auch kreuzbandsubstituierender Technik endoprothetisch zu versorgen sind.

Kreuzbanderhaltende
Versorgung mit patientenspezifischer Kniegelenktotalendoprothese (iTotal G2 CR)

Für Patienten mit trikompartimenteller Kniegelenkarthrose und intakten Seitenbändern und hinterem Kreuzband stellt die Versorgung mit der sogenannten patientenspezifischen kreuzbanderhaltenden Vollgelenkendoprothese des Kniegelenks (ConforMIS iTotal cruciate-retaining (CR) G2), eine Behandlungsmöglichkeit mit guten initialen Ergebnissen und hoher Wahrscheinlichkeit eines forgotten knees dar [2, 10]. Die Indikationsstellung orientiert sich dabei an der Indikationsstellung zur trikompartimentellen kreuzbanderhaltenden Kniegelenkendoprothetik bei den Implantaten „von der Stange“. Die Vorteile im Vergleich zur Standard-Kniegelenkendoprothetik liegen in der individuellen Anpassung der Oberflächenanatomie, die eine Wiederherstellung der individuellen Kniegelenkkinematik verspricht [2]. Dies schließt als einziges Implantatsystem eine Wiederherstellung des distalen Femurwinkels mit ein, was durch individuell unterschiedliche Inlayhöhen medial und lateral realisiert wird. Dabei werden jeweils 2 unterschiedliche Inlayhöhen medial (6 und 8 mm) und 3 individuelle unterschiedliche Inlayhöhen in 1 mm Abständen lateral (A, B, C) geliefert. Weiter kann so eine vollständige Abdeckung kortikalen Oberflächen mit dem Implantat an Femur und Tibia regelhaft erreicht werden. Dies stellt insbesondere bei asymmetrischen anatomischen Verhältnissen in puncto Implantatpassform und Wiederherstellung der Kniegelenkkinematik einen Versorgungsvorteil dar. Röntgenbilder einer exemplarischen Versorgung mit patientenspezifischem ungekoppeltem Totalgelenkersatz (ConfirMIS iTotal CR G2TM) sind in Abbildung 1 dargestellt.

Kreuzbandersetzende
Versorgung mit patientenspezifischer Kniegelenktotalendoprothese (iTotal PS)

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