Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018

Individualisierte Kniegelenkendoprothetik: patientenspezifischer Totalgelenkersatz

Die Ergebnisse nach patientenspezifischer individualisierter Kniegelenkendoprothetik sind aktuell noch begrenzt und liegen als Kongressbeiträge vor [1, 13]. In einer eigenen Untersuchung an 2 Zentren wurden die radiologischen Ergebnisse nach patientenspezifischer Kniegelenkendoprothetik untersucht [1]. Das Indikationsspektrum umfasste Gonarthrosen mit intaktem hinterem Kreuzband mit bis zu 15° Deformität (varus, valgus, flexion). Hierbei wurden prä- und postoperative Röntgenaufnahmen (Ganzbeinstand, Kniegelenk in 2 Ebenen und Patella tangential) von 131 Knieendoprothesen hinsichtlich Implantatpassform und Beinachse untersucht [1]. Dabei verbesserte sich die mechanische Beinachse von durchschnittlich 173,6° ± 3,6° präoperativ auf 178,1° ± 1,4° postoperativ. Weiter konnte der Verlauf der Femurtragachse (Miculicz-Linie) innerhalb des zentralen Drittels des Kniegelenkes von 25,9 % präoperativ auf 89,3 % postoperativ gesteigert werden. Es zeigte sich bei allen Patienten durchweg eine ideale Implantatpassform von < 3mm Überstand/Unterstand an Femur und Tibia. Ferner gab es keine intra-operativen Komplikationen.

Erste klinische Ergebnisse von bis zu 2 Jahren postoperativ können von einer Patientenkohorte von 303 Patienten berichtet werden, die an insgesamt 9 Zentren mit patientenspezifischem CAD/CAM-Implantat (iTotal CR, ConforMIS Inc., Bedford-MA) versorgt wurden [13]. Eingeschlossen wurden Pangonarthrosen mit intaktem hinterem Kreuzband und Seitenbändern mit bis zu 15° Deformität (varus, valgus, flexion). Patienten mit bilateralen Versorgungen, schwerer Osteoporose, rheumatoider Arthritis oder vorheriger Schlittenprothesenimplantation wurden von der Untersuchung ausgeschlossen. Aufgezeichnet wurden Komplikationen, Manipulationen wie Narkosemobilisationen, Transfusionen, der Bewegungsumfang, der Knee Society Score (KSS; Version 2011) und der Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score (KOOS) präoperativ (n = 348), nach 6 Wochen (n = 348), 6 Monaten (n = 296), 12 (n = 224) und 24 (n = 81) Monaten postoperativ [13].

Das mittlere Patientenalter betrug 65,4 Jahre (Spannbreite 40–84 Jahre), der mittlere Body-Mass-Index (BMI) betrug 30 (Spannbreite 18,5–41) und 56 % der Patienten waren weiblich. Der Bewegungsumfang verbesserte sich signifikant von 110° Flexion präoperativ auf durchschnittlich 123° Flexion postoperativ nach 2 Jahren (p < 0,05) (Abb. 1). Des Weiteren zeigten sich nach 2 Jahren alle 5 Domänen des KOOS-Scores (p < 0,05) und 3 von 4 Domänen des KSS-Scores signifikant verbessert. Der KSS verbesserte sich über den Zeitverlauf in seinem objektiven und funktionellen Unterscore (Abb. 2). Es wurden 2 Revisionsoperationen mit Implantatwechseln verzeichnet, eine wegen einer sturzbedingten periprothetischen Fraktur und eine wegen einer Nickelallergie. Bei insgesamt 9 Patienten (2,97 %) erfolgte eine Narkosemobilisation und bei 5 Patienten (1,45 %) wurde eine Blutkonserve postoperativ transfundiert. Die Patientenzufriedenheit mit dem Operationsergebnis in dieser Studie lag zum 2-Jahres-Zeitpunkt bei 91 %. Die bisher vorliegenden Ergebnisse sind vielversprechend, aber noch limitiert. Insbesondere liegen noch keine Langzeitergebnisse von vergleichenden, doppelt-verblindeten und randomisierten Studien vor, die eine abschließende Beurteilung dieses neues Implantatsystems erlauben.

Diskussion

Mit steigendem Bedarf an eine endoprothetische Versorgung bei fortgeschrittener Pangonarthose und gesteigerter Erwartungshaltung bei immer jünger werdendem Patientengut wächst auch das Anspruchsprofil von Patient und Arzt. Hier gilt es, bei der Indikationsstellung ein möglichst realistisches Bild der Chancen und Risiken der totalendoprothetischen Kniegelenkversorgung zu vermitteln. Je nach Übersichtsstudie sind zwischen 15 und 39 % mit dem Ergebnis ihrer kniegelenkendoprothetischen Versorgung unzufrieden [3, 4, 7, 8, 9]. Damit sind diese Resultate insgesamt schlechter als beispielsweise bei der Hüftendoprothetik und verlangen eine differenzierte Analyse der Ursachen, um die Ergebnisse verbessern zu können. Bei den Ursachen der Unzufriedenheit kann man grob implantatunabhängige Faktoren von den implantatabhängigen Faktoren unterscheiden, die u.a. auf Funktionsstörungen durch Implantatfehlrotation, Implantatüberdimensionierung, Implantatüber- oder -unterstand zurückzuführen sind [7, 9]. Diese implantatassoziierten Risikofaktoren können mit einer patientenspezifischen Implantatversorgung umgangen werden. Dazukommen die Patienten, bei denen formal zwar keine Implantatfehlpositionierung vorliegt, aber die Standard-Kniegelenkendoprothesenversorgung eine veränderte Kniegelenkkinematik zur Folge hat [5, 6]. Dies ist von besonderer Relevanz bei asymmetrischen Kondylenverhältnissen, bei denen die Gelenklinie nicht gerade, sondern schräg verläuft. Auch bei der Operationstechnik nach dem sogenannten kinematischen Alignement wird versucht, eine schräge Gelenklinie zu rekonstruieren, was jedoch oft schräge Knochenschnitte am distalen Femur oder der proximalen Tibia notwendig macht [11, 12]. Eine potenziell eingeschränkte Implantathaltbarkeit bei abweichender Implantationstechnik von der mechanischen Achse ist bereits mehrfach in der Literatur thematisiert worden. Die patientenspezifische Implantatversorgung ist bisher das einzige Implantat- und Operationssystem, das sowohl die distale Resektion am Femur und den Tibiaschnitt senkrecht zur mechanischen Achse vermittelt als auch die Kondylenasymmetrie berücksichtigt und den distalen Femurwinkel rekonstruiert [2, 10]. Dieser anatomische Ansatz hat klare Vorteile gegenüber einer Standard-Kniegelenkendoprothesen- Versorgung insbesondere bei asymmetrischen anatomischen Verhältnissen. Daher bleibt abzuwarten, ob die individuelle Kniegelenkkinematik mit Standardimplantaten in allen Fällen rekonstruiert werden kann. Weitergehende Überlegungen lassen angesichts der großen anatomischen Variabilität am distalen Femur und der proximalen Tibia [11, 12] bezweifeln, ob das postulierte kinematische Kniegelenkbewegungskonzept vom medial pivoting und lateral rollback wirklich auch so für alle Kniegelenke zutrifft. Aufgrund der technischen Schwierigkeiten bei der Visualisierung der individuellen Kniegelenkkinematik [5, 6], müssen die Antworten auf diese Fragen auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben werden. In jedem Falle ist aber anzunehmen, dass die Chancen, dem forgotten Knee möglichst nahe zu kommen, höher ist, je anatomischer wir die individuelle Kniegelenkanatomie rekonstruieren.

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