Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018
Individualisierte Kniegelenkendoprothetik: patientenspezifischer Totalgelenkersatz
Andre F. Steinert1,2, Boris M. Holzapfel1, Jörg Arnholdt1, Yama Kamawal1, Johannes Beckmann3, Maximilian Rudert1
Zusammenfassung: Der endoprothetische Gelenkersatz am Kniegelenk hat sich bei Patienten mit fortgeschrittener trikompartimenteller Kniegelenkarthrose zu einer der häufigsten und gleichzeitig erfolgreichsten Operationen entwickelt. Viele Untersuchungen zum klinischen Ergebnis nach Kniegelenkendoprothetik zeigen jedoch, dass die Patientenzufriedenheit geringer ist, als ursprünglich gedacht, und dass bis zu ein Fünftel der Patienten mit dem postoperativen Ergebnis nicht vollständig zufrieden ist. Dabei lässt sich ein Teil der geschilderten Beschwerden auf eine nicht optimale Passform der Implantate mit einer daraus resultierenden unphysiologischen Kniegelenkkinematik zurückführen. Um diese Limitierungen der Standard-Kniegelenk-Implantate zu verbessern, wurde die patientenspezifische Kniegelenkendoprothetik entwickelt. Hierbei wird auf der Grundlage einer Computertomografie des Beins ein 3-dimensionales Kniegelenkmodel erstellt, mit dessen Hilfe in einem „Computer-Aided Design/Computer-Aided Manufacturing“(CAD/CAM)-Prozess sowohl patientenspezifische Instrumente als auch patientenspezifische Implantate hergestellt werden können. Dies hat einen besonderen Vorteil bei Patienten mit asymmetrischen anatomischen Verhältnissen am Kniegelenk, da beispielsweise am Femur der distale Femurwinkel wiederhergestellt werden und an der Tibia die kortikale Oberfläche mit dem Kniegelenkimplantat ideal abgedeckt werden kann. Das aktuelle Versorgungsspektrum umfasst trikompartimentelle Kniegelenkarthrosen, die mit kreuzbanderhaltender als auch kreuzbandsubstituierender Technik endoprothetisch zu versorgen sind. Die initialen klinischen und radiologischen Ergebnisse sind vielversprechend. Langzeitresultate stehen aktuell noch aus.
Schlüsselwörter: individuelle Endoprothetik, patientenspezifisch, totalendoprothetischer Gelenkersatz, Kniegelenkarthrose, kreuzbanderhaltend, kreuzbandersetzend, CAD/CAM
Zitierweise
Steinert AF, Holzapfel BM, Arnholdt J, Kamawal Y, Beckmann J, Rudert M: Individualisierte Kniegelenkendoprothetik: patientenspezifischer Totalgelenkersatz.
OUP 2018; 7: 212–218 DOI 10.3238/oup.2018.0212–0218
Summary: Total knee replacement (TKR) has advanced to be one of the most frequent and successful surgeries for the treatment of tricompartmental knee osteoarthritis. Several meta-analyses dealing with clinical outcomes after TKR have revealed that patient satisfaction is lower than originally thought, with about one fifth of the patients being not completely satisfied with their TKR surgery. These complaints are partly related to insufficient fit of the implant and the subsequent unphysiological knee joint kinematics. To overcome the implant-associated limitations of „off-the-shelf“ components, patient-specific TKR has been developed. Based on a computed tomography (CT) scan of the affected leg, a 3-dimensional model of the knee joint is created which is then used to create patient-specific instruments and implants in a computer-aided design/computer-aided manufacturing (CAD/CAM) process. This is of special advantage in OA patients with asymmetric anatomical knee joint measures, as for example the distal femoral angle is restored as well as the tibial cortical bone can be ideally covered with the implant. The current spectrum of care comprises tricompartmental knee disease that is treated with posterior cruciate ligament preserving as well as posterior cruciate ligament substituting TKRs. The initial clinical and radiological results are promising, however mid- and long-term clinical outcome data is lacking to date.
Keywords: individual knee endoprosthetics, total joint replacement, knee OA, patient-specific, cruciate-preserving, cruciate-substituting, CAD/CAM arthroplasty
Citation
Steinert AF, Holzapfel BM, Arnholdt J, Kamawal Y, Beckmann J, Rudert M: Individual knee arthroplasty: patient-specific total joint replacement.
OUP 2018; 7: 212–218 DOI 10.3238/oup.2018.0212–0218
1 Orthopädische Klinik König-Ludwig-Haus, Lehrstuhl der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Hintergrund
Die gegenwärtigen Probleme der Standard-Knieendoprothetik beruhen z.T. auf implantatassoziierten Faktoren inklusive Implantatfehldimensionierung oder -fehlpositionierung oder -fehlbalancierung, mit der Folge einer abnormen postoperativen Kniegelenkkinematik. Die Folge ist, dass etwa 20 % der Patienten mit ihrem postoperativen Ergebnis nach Standard-Kniegelenkendoprothetik unzufrieden sind [3, 4, 7, 8, 9]. Um diese Limitierungen zu adressieren, wurde ein patientenspezifisches Kniegelenkendoprothesensystem entwickelt, das auf der Rationale beruht, das Implantat an die patientenindividuelle Anatomie anzupassen und nicht umgekehrt, wie es bei der endoprothetischen Regelversorgung der Fall ist. Dies macht Sinn, da die Anatomie des Kniegelenk sowohl am Femur als auch an der Tibia in hohem Maß individuell unterschiedlich ist einschließlich der Variabilität der Epikondylenachse, der Trochleamorphologie und der Tibiaplateaugeometrie, wobei symmetrische Implantate in den meisten Fällen nicht die exakte Oberflächenanatomie des Kniegelenks und die natürliche Kniegelenkkinematik wiederherstellen können [11, 12]. Auch besondere Designcharakteristika, wie die Genderdesigns oder auch Einzelradiusdesigns vieler Knieprothesensysteme, können die individuellen anatomischen Charakteristika wie Rotationsunterschiede der Trochlea und der epikondylären Achse nicht berücksichtigen und die natürliche Kniekinematik verändern [5, 6, 10]. Dabei ist die Kniekinematik an sich ein komplexer Bewegungsvorgang mit einem medialen Pivotieren und einem Roll-Gleit-Mechanismus während der Kniebeugung und -streckung, wobei insbesondere dem lateralen Rollback für ein natürliches Bewegungsgefühl des Kniegelenks besondere Bedeutung beigemessen wird [5, 6]. Bei der Individualendoprothetik wird auf Basis einer Computertomografie des Beins ein 3-dimensionales Kniegelenkmodell erstellt, mit dessen Hilfe in einem „Computer-Aided Design/Computer-Aided Manufacturing“(CAD/CAM)-Verfahren sowohl patientenspezifische Instrumente als auch patientenspezifische Implantate hergestellt werden können [10]. Das aktuelle Versorgungsspektrum im Bereich Vollgelenkersatz umfasst trikompartimentelle Kniegelenkarthrosen, die mit kreuzbanderhaltender als auch kreuzbandsubstituierender Technik endoprothetisch zu versorgen sind.
Kreuzbanderhaltende
Versorgung mit patientenspezifischer Kniegelenktotalendoprothese (iTotal G2 CR)
Für Patienten mit trikompartimenteller Kniegelenkarthrose und intakten Seitenbändern und hinterem Kreuzband stellt die Versorgung mit der sogenannten patientenspezifischen kreuzbanderhaltenden Vollgelenkendoprothese des Kniegelenks (ConforMIS iTotal cruciate-retaining (CR) G2), eine Behandlungsmöglichkeit mit guten initialen Ergebnissen und hoher Wahrscheinlichkeit eines forgotten knees dar [2, 10]. Die Indikationsstellung orientiert sich dabei an der Indikationsstellung zur trikompartimentellen kreuzbanderhaltenden Kniegelenkendoprothetik bei den Implantaten „von der Stange“. Die Vorteile im Vergleich zur Standard-Kniegelenkendoprothetik liegen in der individuellen Anpassung der Oberflächenanatomie, die eine Wiederherstellung der individuellen Kniegelenkkinematik verspricht [2]. Dies schließt als einziges Implantatsystem eine Wiederherstellung des distalen Femurwinkels mit ein, was durch individuell unterschiedliche Inlayhöhen medial und lateral realisiert wird. Dabei werden jeweils 2 unterschiedliche Inlayhöhen medial (6 und 8 mm) und 3 individuelle unterschiedliche Inlayhöhen in 1 mm Abständen lateral (A, B, C) geliefert. Weiter kann so eine vollständige Abdeckung kortikalen Oberflächen mit dem Implantat an Femur und Tibia regelhaft erreicht werden. Dies stellt insbesondere bei asymmetrischen anatomischen Verhältnissen in puncto Implantatpassform und Wiederherstellung der Kniegelenkkinematik einen Versorgungsvorteil dar. Röntgenbilder einer exemplarischen Versorgung mit patientenspezifischem ungekoppeltem Totalgelenkersatz (ConfirMIS iTotal CR G2TM) sind in Abbildung 1 dargestellt.
Kreuzbandersetzende
Versorgung mit patientenspezifischer Kniegelenktotalendoprothese (iTotal PS)
Für die Patienten, bei denen aufgrund eines insuffizienten hinteren Kreuzbands und/oder entsprechender Fehlstellung eine kreuzbandersetzende Versorgung gewünscht wird, steht seit 2016 die patientenspezifische kreuzbandersetzende Vollgelenkendoprothese des Kniegelenks (ConforMIS iTotal posterior-stabilized, PS) zur Verfügung. Die Indikationsstellung orientiert sich dabei an der Indikationsstellung zur trikompartimentellen kreuzbandersetzenden Kniegelenkendoprothetik mit Standardimplantaten. Die Vorteile im Vergleich zur Standard-Kniegelenkendoprothetik liegen wie bei der Versorgung mit kreuzbandersetzender Technik in der individuellen Anpassung der Oberflächenanatomie und der damit verbundenen Wiederherstellung der individuellen Kniegelenkkinematik, einschließlich der Wiederherstellung des distalen Femurwinkels. Dieser ist wieder durch individuell unterschiedliche Inlayhöhen medial und lateral realisiert, wobei das posteriorer stabilized Inlay als ein Stück in 3 unterschiedlichen Inlayhöhen geliefert wird. Weiterhin kann mit diesem Implantat regelhaft eine vollständige Abdeckung der kortikalen Oberflächen am Femur und Tibia erreicht werden. Dies stellt insbesondere bei asymmetrischen anatomischen Verhältnissen in puncto Implantatpassform und Wiederherstellung der Kniegelenkkinematik einen Versorgungsvorteil dar. Röntgenbilder einer exemplarischen Versorgung mit patientenspezifischem kreuzbandersetzendem Totalgelenkersatz (ConfirMIS iTotal PS G2TM) sind in Abbildung 2 dargestellt.
Herstellung, Design und
Operationstechnik des
individuellen
Knietotalgelenkersatzes
(iTotal G2 CR/PS)
Sowohl die Implantate als auch die zur Implantation und zur exakten Ausrichtung verwendeten Instrumente werden patientenindividuell anhand einer auf CT-Daten basierenden 3D-Rekonstruktion geplant und dann im 3D-Druckverfahren im CAD-CAM-Design hergestellt [10]. Das Spektrum möglicher Versorgungen beim Vollgelenkersatz am Kniegelenk umfasst die kreuzbanderhaltenden (CR) als auch kreuzbandersetzenden Operationstechniken. Die individuelle Planung erfolgt durch einen Ingenieur, der anhand des CT-Datensatzes zunächst ein 3D-Modell des jeweiligen Kniegelenks einschließlich der Beinachsen herstellt [10]. Anhand dieses Modells wird mithilfe eines Algorithmus die individuelle Oberflächengeometrie berechnet, die Resektionsebenen anhand der mechanischen Beinachse knochensparend ausgerichtet, Implantatdicken berechnet und auch knöcherne Verluste und Osteophyten werden planerisch berücksichtigt. Anhand dieser Maßgaben erfolgt dann das Design der individuellen Implantate und Instrumente, um eine optimale Passform, Abdeckung sowie Komponentenrotation zu ermöglichen, was die Wiederherstellung der natürlichen Kniegelenkkinematik vermittelt [2].
Auf dieser Grundlage wird eine Operationsplanungsskizze (iView 2.0) für die patientenindividuellen Instrumente und Implantate erstellt, die sowohl die Implantat- als auch Instrumentenpositionierung anzeigt sowie auch die resultierenden knöchernen Resektionshöhen an Femur und Tibia, sodass im Sinne einer wahren „measured resection“-Technik jederzeit eine intraoperative Selbstkontrolle bei der Durchführung der Knochenschnitte erfolgen kann [2, 10].
Nach operativem Standardzugang und Meniskektomie erfolgt mit den Instrumenten F1–F3 die distale Femurresektion, die im Falle einer Kondylenasymmetrie als Stufenresektion erfolgt. Dabei ist das F1-Instrument als Bohrschablone auf die Osteophyten designt und vermittelt die Entknorpelungsbohrung. Das F2-Instrument setzt als Bohrschablone auf der kortikalen Oberfläche auf und vermittelt durch ein Aufsetzen des F3-Instrumentes als Resektionsblock die distale Femurresektion sowie durch Bohrungen die Positionierung des Femurresektionsblocks F4. Die Höhen der knöchernen Resektate am distalen Femur medial und lateral können zur Selbstkontrolle mit der Planungszeichnung verglichen werden. Am F3-Instrument sind jeweils +2 und –2 mm Resektionsoptionen zur individuellen Anpassung vorgehalten.
Danach erfolgt die Tibiaresektion die mit dem T1-Instrument vermittelt wird. Nach Entknorpelung der Ansatzpunkte des T1-Instrumentes wird dieses mit dem extramedullärem Ausrichtstab auf die Tibiaoberfläche aufgebracht und an der Tibiavorderkante ausgerichtet. Es stehen 2 Optionen zur Verfügung, zum einen ein T1–Resektionsblock mit fixiertem 5°-Slope und ein T1-Resektionsblock mit individuell anatomischem Slope, wobei aus kinematischen Gründen nicht mehr als 10°-Slope angeboten werden. Die Autoren haben sehr gute Erfahrungen mit der Versorgung mit dem 5°-Slope-T1-Instrument gesammelt. Die Höhen des knöchernen Resektats an der Tibia jeweils medial vorne und hinten als auch lateral vorne und hinten können zur Selbstkontrolle mit der Planungszeichnung verglichen werden. Am T1-Instrument sind jeweils +2 und –2 mm Resektionsoptionen zur individuellen Anpassung vorgehalten.
Die 2 nächsten Operationsschritte dienen der Balancierung von Streck- und Beugelücke. Dabei wird mit dem T2-Instrument in Kniegelenkstreckung die Strecklücke balanciert. Das T2-Instrument ist bei einer Kondylenasymmetrie am distalen Femur als Stufenblock gefertigt. Mittels Entfernung von etwaigen Randosteophyten am distalen Femur und Tibia können somit Feinanpassungen an der Strecklücke erfolgen. Sind symmetrische Verhältnisse im Bereich der Strecklücke erreicht, wird das Kniegelenk in 90°-Beugestellung gebracht und mit dem T3-Instrument die Beugelücke balanciert. Bei asymmetrischen Verhältnissen im Bereich der posterioren Kondylen ist das T3-Instrument asymmetrisch konfiguriert. Nun wird der Femurresektionsblock F4 auf die initial mit dem F2-Block generierten Bohrlöcher gepinnt. Der F4-Block hat eine Außenrotationsmöglichkeit von 5°, sodass zusammen mit dem T3-Block in 90°-Beugestellung eine symmetrische Beugelücke generiert werden kann. Ist die Beugelücke balanciert, wird der F4-Block endgültig fixiert und die abschließende Femurresektion erfolgt mittels Abkantschnitten anterior, posterior und schräg anterior. Mit dem Block F5 erfolgen die finalen Abkantschnitte schräg posterior. Bei der kreuzbandersetzenden Technik wird mit dem Block F6 abschließend die Resektion der modularen Box für den Zapfen des posterior-stabilized Inlays vorgenommen.
Sind alle Knochenschnitte erfolgt, können die Probekomponenten aufgebracht werden und die Probereposition mit kinematischer Testung kann erfolgen. Bei der kreuzbanderhaltenden Technik stehen 2 verschiedene Inlayhöhen medial (6 und 8 mm) und 3 Inlayhöhen lateral (A, B und C) zur Anpassung zur Verfügung. Bei der kreuzbandersetzenden Technik werden 3 posterior-stabelized Probeinlays verschiedener Höhe jeweils medial und lateral vorgehalten. Mit der Entfernung restlicher Osteophyten und Weichteilrelease können finale Feinanpassungen – falls erforderlich – durchgeführt werden. Sind optimale kinematische Voraussetzungen gegeben, kann die Rotationsausrichtung der Tibiakomponente mit dem Block T4 erfolgen. Durch Anlegen an die posterolaterale Tibiakante und Einrotieren zur Tibiavorderkante, passt sich das T4-Instrument ideal an die kortikale Resektionsoberfläche der Tibia an. Nach Pinfixierung erfolgt die entsprechende Zubereitung mit Vertiefungsbohrer und Kreuzschlitzmeißel. Nun können – falls erforderlich – nochmals Probekomponenten und Probeinlays ideal getesteter Höhen auf Wunsch eingebracht und getestet werden. Ist ein Patellarückflächenersatz erforderlich, kann dieser in konventioneller Technik erfolgen. Hierfür sind Schablonen und Probepatellae mit 2 mm Größenunterschieden vorhanden. Nach anschließender Testung kann die Zubereitung des Implantatlagers und die finale Zementierung der Implantate sowie das Einbringen der/des finalen Inlays erfolgen [2].
Ergebnisse zum individuellen Vollgelenkersatz (ConforMIS iTotal CR G2)
Die Ergebnisse nach patientenspezifischer individualisierter Kniegelenkendoprothetik sind aktuell noch begrenzt und liegen als Kongressbeiträge vor [1, 13]. In einer eigenen Untersuchung an 2 Zentren wurden die radiologischen Ergebnisse nach patientenspezifischer Kniegelenkendoprothetik untersucht [1]. Das Indikationsspektrum umfasste Gonarthrosen mit intaktem hinterem Kreuzband mit bis zu 15° Deformität (varus, valgus, flexion). Hierbei wurden prä- und postoperative Röntgenaufnahmen (Ganzbeinstand, Kniegelenk in 2 Ebenen und Patella tangential) von 131 Knieendoprothesen hinsichtlich Implantatpassform und Beinachse untersucht [1]. Dabei verbesserte sich die mechanische Beinachse von durchschnittlich 173,6° ± 3,6° präoperativ auf 178,1° ± 1,4° postoperativ. Weiter konnte der Verlauf der Femurtragachse (Miculicz-Linie) innerhalb des zentralen Drittels des Kniegelenkes von 25,9 % präoperativ auf 89,3 % postoperativ gesteigert werden. Es zeigte sich bei allen Patienten durchweg eine ideale Implantatpassform von < 3mm Überstand/Unterstand an Femur und Tibia. Ferner gab es keine intra-operativen Komplikationen.
Erste klinische Ergebnisse von bis zu 2 Jahren postoperativ können von einer Patientenkohorte von 303 Patienten berichtet werden, die an insgesamt 9 Zentren mit patientenspezifischem CAD/CAM-Implantat (iTotal CR, ConforMIS Inc., Bedford-MA) versorgt wurden [13]. Eingeschlossen wurden Pangonarthrosen mit intaktem hinterem Kreuzband und Seitenbändern mit bis zu 15° Deformität (varus, valgus, flexion). Patienten mit bilateralen Versorgungen, schwerer Osteoporose, rheumatoider Arthritis oder vorheriger Schlittenprothesenimplantation wurden von der Untersuchung ausgeschlossen. Aufgezeichnet wurden Komplikationen, Manipulationen wie Narkosemobilisationen, Transfusionen, der Bewegungsumfang, der Knee Society Score (KSS; Version 2011) und der Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score (KOOS) präoperativ (n = 348), nach 6 Wochen (n = 348), 6 Monaten (n = 296), 12 (n = 224) und 24 (n = 81) Monaten postoperativ [13].
Das mittlere Patientenalter betrug 65,4 Jahre (Spannbreite 40–84 Jahre), der mittlere Body-Mass-Index (BMI) betrug 30 (Spannbreite 18,5–41) und 56 % der Patienten waren weiblich. Der Bewegungsumfang verbesserte sich signifikant von 110° Flexion präoperativ auf durchschnittlich 123° Flexion postoperativ nach 2 Jahren (p < 0,05) (Abb. 1). Des Weiteren zeigten sich nach 2 Jahren alle 5 Domänen des KOOS-Scores (p < 0,05) und 3 von 4 Domänen des KSS-Scores signifikant verbessert. Der KSS verbesserte sich über den Zeitverlauf in seinem objektiven und funktionellen Unterscore (Abb. 2). Es wurden 2 Revisionsoperationen mit Implantatwechseln verzeichnet, eine wegen einer sturzbedingten periprothetischen Fraktur und eine wegen einer Nickelallergie. Bei insgesamt 9 Patienten (2,97 %) erfolgte eine Narkosemobilisation und bei 5 Patienten (1,45 %) wurde eine Blutkonserve postoperativ transfundiert. Die Patientenzufriedenheit mit dem Operationsergebnis in dieser Studie lag zum 2-Jahres-Zeitpunkt bei 91 %. Die bisher vorliegenden Ergebnisse sind vielversprechend, aber noch limitiert. Insbesondere liegen noch keine Langzeitergebnisse von vergleichenden, doppelt-verblindeten und randomisierten Studien vor, die eine abschließende Beurteilung dieses neues Implantatsystems erlauben.
Diskussion
Mit steigendem Bedarf an eine endoprothetische Versorgung bei fortgeschrittener Pangonarthose und gesteigerter Erwartungshaltung bei immer jünger werdendem Patientengut wächst auch das Anspruchsprofil von Patient und Arzt. Hier gilt es, bei der Indikationsstellung ein möglichst realistisches Bild der Chancen und Risiken der totalendoprothetischen Kniegelenkversorgung zu vermitteln. Je nach Übersichtsstudie sind zwischen 15 und 39 % mit dem Ergebnis ihrer kniegelenkendoprothetischen Versorgung unzufrieden [3, 4, 7, 8, 9]. Damit sind diese Resultate insgesamt schlechter als beispielsweise bei der Hüftendoprothetik und verlangen eine differenzierte Analyse der Ursachen, um die Ergebnisse verbessern zu können. Bei den Ursachen der Unzufriedenheit kann man grob implantatunabhängige Faktoren von den implantatabhängigen Faktoren unterscheiden, die u.a. auf Funktionsstörungen durch Implantatfehlrotation, Implantatüberdimensionierung, Implantatüber- oder -unterstand zurückzuführen sind [7, 9]. Diese implantatassoziierten Risikofaktoren können mit einer patientenspezifischen Implantatversorgung umgangen werden. Dazukommen die Patienten, bei denen formal zwar keine Implantatfehlpositionierung vorliegt, aber die Standard-Kniegelenkendoprothesenversorgung eine veränderte Kniegelenkkinematik zur Folge hat [5, 6]. Dies ist von besonderer Relevanz bei asymmetrischen Kondylenverhältnissen, bei denen die Gelenklinie nicht gerade, sondern schräg verläuft. Auch bei der Operationstechnik nach dem sogenannten kinematischen Alignement wird versucht, eine schräge Gelenklinie zu rekonstruieren, was jedoch oft schräge Knochenschnitte am distalen Femur oder der proximalen Tibia notwendig macht [11, 12]. Eine potenziell eingeschränkte Implantathaltbarkeit bei abweichender Implantationstechnik von der mechanischen Achse ist bereits mehrfach in der Literatur thematisiert worden. Die patientenspezifische Implantatversorgung ist bisher das einzige Implantat- und Operationssystem, das sowohl die distale Resektion am Femur und den Tibiaschnitt senkrecht zur mechanischen Achse vermittelt als auch die Kondylenasymmetrie berücksichtigt und den distalen Femurwinkel rekonstruiert [2, 10]. Dieser anatomische Ansatz hat klare Vorteile gegenüber einer Standard-Kniegelenkendoprothesen- Versorgung insbesondere bei asymmetrischen anatomischen Verhältnissen. Daher bleibt abzuwarten, ob die individuelle Kniegelenkkinematik mit Standardimplantaten in allen Fällen rekonstruiert werden kann. Weitergehende Überlegungen lassen angesichts der großen anatomischen Variabilität am distalen Femur und der proximalen Tibia [11, 12] bezweifeln, ob das postulierte kinematische Kniegelenkbewegungskonzept vom medial pivoting und lateral rollback wirklich auch so für alle Kniegelenke zutrifft. Aufgrund der technischen Schwierigkeiten bei der Visualisierung der individuellen Kniegelenkkinematik [5, 6], müssen die Antworten auf diese Fragen auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben werden. In jedem Falle ist aber anzunehmen, dass die Chancen, dem forgotten Knee möglichst nahe zu kommen, höher ist, je anatomischer wir die individuelle Kniegelenkanatomie rekonstruieren.
Mit dem vorliegenden patientenspezifischen Implantatsystem konnte gezeigt werden, dass eine ideale anatomische Implantatpassform zu erreichen ist, ohne etwaige Implantatüber- oder -unterstände [1]. Die mechanische Beinachse konnte ebenso gut wiederhergestellt werden [1]. Die initialen klinischen Ergebnisse mit diesem Implantasystem sind ebenfalls sehr vielversprechend [13]. Da sich die individuellen totalendoprothetischen Gelenkersätze in ihrer Bauform, biomechanischen Eigenschaften und Implantationstechnik von den Standardimplantaten unterscheiden, werden sie als zementierte Sonderprothese am Kniegelenk mit OPS 5–822.91 kodiert. Weitere Untersuchungen, die die erhobenen Daten mit denen der Versorgung mit Standardimplantaten über einen längeren Zeitraum vergleichen, werden die Wertigkeit dieser Ergebnisse weiter beleuchten. Letztlich konnte hier selbstverständlich nur ein Zwischenstand und die persönlichen Schlussfolgerungen der Autoren dargelegt werden.
Schlussfolgerung
Durch die Einführung der Individualendoprothetik am Kniegelenk in Form von patientenspezifischen Implantaten und Instrumenten steht eine neuartige Technik der endoprothetischen Versorgung zur Verfügung, welche sich von der Kniegelenkendoprothetik mit sogenannten Standard-Kniegelenk-Implantaten unterscheidet. Mittels CAD/CAM-Technologie werden basierend auf einer CT-Untersuchung der unteren Extremität patientenspezifische Instrumente und Implantate für den anatomischen totalendoprothetischen Kniegelenkersatz in kreuzbanderhaltender und kreuzbandersetzender Technik hergestellt. Nachteile sind die assoziierte Strahlenbelastung, die Fertigungszeit von 6 Wochen und die gesteigerten Implantatkosten. Vorteilhaft an diesem neuen Implantatsystem ist die Rekonstruktionsmöglichkeit der individuellen Kniegelenkanatomie, einschließlich des distalen Femurwinkels bei senkrechten Resektionsebenen zur mechanischen Achse an Femur und Tibia. Eine derartige anatomische Rekonstruktion verspricht der natürlichen Kniekinematik und damit dem forgotten knee möglichst nahe zu kommen. Die initialen radiologischen und klinischen Ergebnisse sind vielversprechend, klinische Langzeitergebnisse stehen derzeit noch aus.
Interessenkonflikt: Keine angegeben.
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. med. Andre F. Steinert, MHBA
Chefarzt Orthopädie, Endoprothetik
Krankenhaus Agatharied GmbH
Lehrkrankenhaus der LMU München
Norbert-Kerkel-Platz
83734 Hausham
andre.steinert@khagatharied.de
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Fussnoten
2 Krankenhaus Agatharied GmbH, Abteilung Unfallchirurgie und Orthopädie, Hausham
3 Sportklinik Stuttgart