Originalarbeiten - OUP 02/2019
Kleinzehendeformitäten: ein Update
Renée A. Fuhrmann
Zusammenfassung:
Kleinzehenfehlstellungen weisen eine große Variabilität auf und sind meist kombiniert mit weiteren krankheitswertigen Veränderungen der Vorfußgeometrie. Die genaue klinische Untersuchung ist unverzichtbar, um die Kleinzehenfehlstellungen auf den unterschiedlichen Gelenkniveaus beurteilen zu können. Befundabhängig muss die Behandlungsstrategie, die sowohl die Weichteile als auch die knöchernen Strukturen adressiert, festgelegt werden. Ein physiologisch ausgerichtetes und stabiles Zehengrundgelenk ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung der Deformität. In Höhe der Interphalangealgelenke ist der Ausgleich der Gelenkfehlstellungen über eine Arthrodese oder Resektionsarthroplastik die Methode der Wahl. Die minimalinvasiven Operationstechniken verfolgen eine andere Behandlungsstrategie und basieren im Kleinzehenbereich maßgeblich auf phalangealen Osteotomien und Tenotomien.
Schlüsselwörter:
Krallenzehe, Hammerzehe, Mallet-Zehe, Kleinzehen, plantare Platte
Zitierweise:
Fuhrmann R: Kleinzehendeformitäten: ein Update. OUP 2019; 8: 076–081
DOI 10.3238/oup.2019.0076–0081
Summary: Lesser toe deformities present with various entities. Therefore thorough clinical assessment is mandatory to analyze malalignment at the 3 different joint lines. Attributed to the clinical and radiological findings soft tissue procedures (including plantar plate repair) and osteotomies of the lesser metatarsals have to be combined. A well aligned and stable metatarsophalangeal joint is always the keystone to a successful treatment of a lesser toe deformity. At the interphalangeal level, stabilization of the concerned joints via arthrodesis or resection arthroplasties is the method of choice. The strategy of minimally invasive surgery at the lesser toes differs from open procedures focusing on phalangeal osteotomies and tenotomies.
Keywords: hammer toe, claw toe, mallet toe, lesser toes, plantar plate
Citation: Fuhrmann R: Lesser toe deformities: an update. OUP 2019; 8: 076–081
DOI 10.3238/oup.2019.0076–0081
Klinik für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie, Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt
Einleitung
Die Klassifikation der Kleinzehendeformitäten wird durch eine uneinheitliche Nomenklatur erschwert. Während die isolierten Beugefehlstellungen im Zehenendgelenk in Anlehnung an die angloamerikanische Einteilung als Mallet-Zehe klassifiziert werden, sind es vor allem die Beugefehlstellungen im Kleinzehenmittelgelenk, die synonym sowohl als Hammerzehe als auch als Krallenzehe bezeichnet werden. Dies ist von untergeordneter Bedeutung, solange die Fehlstellungen im Grund-, Mittel- und Endgelenkniveau definiert und in das Behandlungskonzept einbezogen werden.
Die Fehlstellung der Kleinzehen kann eine Ebene betreffen oder mehrdimensional sein:
- 1. Sagittalebene: Überstreckung im Grundgelenk, Beugung im Mittel- und Endgelenk
- 2. Transversalebene: mediale oder laterale Achsenabweichung
- 3. Frontalebene: supinatorische oder pronatorische Verdrehung.
Diagnostik
Eine klinische Untersuchung des Fußes und der unteren Extremitäten stellt die Basis einer Therapieplanung dar. Neben der Erhebung des Lokalbefunds sind funktionelle Beeinträchtigungen (z.B. Verkürzung des M. gastrocnemius, Schwäche der Fußheber, Tenodeseeffekte) für die Festlegung der Behandlung ebenso bedeutsam, wie die Beachtung der Rückfußorientierung und der Längswölbung.
Die Befunderhebung im Bereich des Vorfußes beginnt mit der Inspektion des Fußes im Stand: Im entspannten und aufrechten Stand des Patienten kann festgestellt werden, ob die Zehenkuppen den Boden berühren. Rötungen und Schwielenbildungen über den streckseitigen Mittelgelenken, den Zehenkuppen oder dem lateralen Aspekt der Zehe V sprechen für eine lokal vermehrte Druck- und Scherbelastung. Am sitzenden oder liegenden Patienten ist eine Inspektion der Fußsohle (Schwielen unter den Mittelfußköpfen) und der Zehenzwischenräume (hard corn, soft corn, Mykosen) möglich (Abb. 1a–b).
Die Palpation umfasst den streck- und beugeseitigen Gelenkspalt des Zehengrundgelenks und der Interphalangealgelenke, die plantaren Mittelfußköpfe und ggf. auch den Zehenzwischenraum. Differenzialdiagnostisch sollte der Intermetatarsalraum bei diffusen Vorfußschmerzen immer mituntersucht werden, um eine Morton-Neuralgie zu erfassen.
Die Funktion der Kleinzehen kann aktiv und passiv beurteilt werden. Bereits am stehenden Patienten lässt sich beurteilen, ob die Kleinzehen einen suffizienten Bodenkontakt haben bzw. ob dieser durch eine aktive Flexion hergestellt werden kann (z.B. Paper Grip-Test) [9]. Am sitzenden oder liegenden Patienten ist die Simulation der Zehenposition unter Belastung durch den Push-up-Test möglich. Die Untersuchung der aktiven Beugung und Streckung der Kleinzehen (auch gegen Widerstand) ist erforderlich, um die Funktion der Streck- und Beugemuskulatur einschätzen zu können.
Die Erfassung der Gelenkstabilität beinhaltet am Zehengrundgelenk den dorso-plantaren Schubladentest, mit dem sich eine Insuffizienz der plantaren Stabilisatoren erfassen lässt. In Höhe der Interphalangealgelenke ist die Überprüfung der Gelenkstabilität in der Transversal- und Sagittalebene entscheidend. Fehlstellungen müssen hinsichtlich ihrer passiven Ausgleichbarkeit (flexible/kontrakte Deformität) untersucht werden, da dies die Wahl des Operationsverfahrens beeinflusst. Die abschließende Überprüfung von Sensibilität und Durchblutung ist obligater Bestandteil jeder präoperativen Befunderhebung.
Die Befunderhebung des stehenden Patienten auf einem Spiegel-Podoskop oder eine Fußdruckmessung sind optionale Ergänzungen zum klinischen Befund.
Die bildgebende Diagnostik von Kleinzehendeformitäten besteht in einer Röntgenaufnahme des belasteten Vorfußes (antero-posterior und seitliche Projektion). Schrägaufnahmen (z.B. zur Frakturdiagnostik) und die Sprinteraufnahme (Darstellung des metatarsalen Alignments) sind besonderen Fragestellungen vorbehalten. Die MRT ist zur Diagnostik von Erkrankungen der Synovialis und der gelenkumgebenden Weichteile, aber auch zum Nachweis eines Bone bruise, hilfreich. Die Indikation zur Durchführung einer CT ist selten, kann jedoch bei tumoröser Destruktion der Zehen (z.B. Enchondrom) gegeben sein.
Therapie
Die Behandlungsstrategie von Kleinzehendeformitäten basiert auf der Wiederherstellung
- einer physiologischen und stabilen Gelenkstellung im Kleinzehengrundgelenk und
- einer funktionellen und stabilen Ausrichtung der Kleinzehe im Mittel- und Endgelenk.
Diese Behandlungsziele erfordern eine individuelle Therapieplanung mit Festlegung befundangemessener knöcherner und weichteiliger Korrekturmaßnahmen. Zu berücksichtigen ist, dass die Entwicklung des operationstechnischen Konzepts immer am Zehengrundgelenk beginnt und erst dann nach distal fortgesetzt wird. Nur nach Wiederherstellung einer physiologischen Ausrichtung des Zehengrundgelenks ist ein Eingriff an den Zehenmittel- und -endgelenken erfolgversprechend.