Übersichtsarbeiten - OUP 09/2019
Kniegelenknahe Osteotomien bei Knorpeltherapie und Bandinstabilität
Das Ziel einer Achskorrektur im Rahmen der Knorpeltherapie ist es, optimale biomechanische Voraussetzungen für die Reifung des induzierten oder transplantierten Gewebes zu schaffen [4, 7, 13]. Durch eine hohe Tibia-Osteotomie (HTO) oder distale Femur-Osteotomie (DFO) kann die mechanische Achse aus dem geschädigten Kompartiment hinaus verlagert werden und so die Druckbelastung reduziert werden [2, 25]. Im Rahmen von Second-look-Arthroskopien nach valgisierender HTO bei Patienten mit medialer Gonarthrose zeigte sich bei den meisten Patienten auch ohne additive Knorpeltherapie eine partielle Regeneration des Knorpels [19]. Diese Studien belegen, dass Reparaturprozesse in Chondrozyten durch Aufhebung der mechanischen Überlastung induziert werden können. Somit sollte auch bei knorpelregenerativen Eingriffen eine mechanische Entlastung die biologischen Prozesse positiv beeinflussen. Eine weitere interessante Beobachtung machten Minas et al. [26] bei der Analyse von Langzeitüberlebensraten nach autologer Chondrozytentransplantation (ACT). Im Vergleich zu isolierten ACTs bei Patienten ohne Malalignment zeigten Patienten mit additiver entlastender Osteotomie nach 15 Jahren eine signifikant höhere Überlebensrate. Somit scheint eine mechanische Entlastung Vorteile für das klinische Ergebnis und Langzeitüberleben einer Knorpeltherapie zu bringen.
Ab welchem Ausmaß eine Achsfehlstellung im Rahmen einer Knorpeltherapie korrigiert werden muss, ist bisher unklar. Lange Zeit galt die Expertenmeinung, dass eine frontale Achsabweichung von ? 5° korrigiert werden sollte. Bei der Varusfehlstellung ist aus Sicht der Autoren die Indikation auch bei Fehlstellungen < 5° großzügig zu stellen. Bode et al. [7] untersuchten die Versagensraten bei Patienten mit Knorpelschäden der medialen Femurkondyle und einer Varusdeformität zwischen 1–5°. Die Behandlung erfolgte mittels isolierter ACT oder Kombination aus ACT und valgisierender HTO. Nach durchschnittlich 6 Jahren war die Überlebensrate in der Gruppe nach ACT + HTO mit 90 % signifikant höher als in der Gruppe nach isolierter ACT mit 58 %. Diese Studie erlaubt den Rückschluss, dass auch bei sehr geringer Varusdeformität (< 5°) die Indikation zur additiven HTO großzügig gestellt werden kann. Im eigenen Vorgehen wird eine additive Osteotomie dem Patienten mit Überschreiten der physiologischen Beinachse, also einer Varusdeformität von > 2° empfohlen; ab 5° sollte eine isolierte Knorpeltherapie nicht durchgeführt werden. Dieselben Richtwerte verwenden die Autoren auch bei vorliegender Valgusdeformität (Abb. 1).
Auch hinsichtlich des notwendigen Korrekturausmaßes gibt es keine klare Evidenz. Im Gegensatz zu Patienten mit Gonarthrose, bei welchen in der Regel eine Überkorrektur angestrebt wird, verfolgen die meisten Autoren bei Patienten mit Knorpelschaden das Ziel einer geraden Beinachse [13]. Da es sich bei diesen Patienten meist um relativ junge Patienten handelt, ist eine Überkorrektur auf Grund des Risikos einer progredienten Knorpeldegeneration im kontralateralen Kompartiment kritisch zu sehen.
Die klinischen Ergebnisse nach Knorpeltherapie und Achskorrektur sind vielversprechend. Minzlaff et al. [27] untersuchten die Langzeitergebnisse von 74 Patienten welche bei osteochondraler Läsion der medialen Femurkondyle und Genu varum ? 2° mittels valgisierender HTO und Transplantation autologer osteochondraler Zylinder versorgt wurden. Nach durchschnittlich 7,5 Jahre zeigte sich eine Abnahme des Schmerz-VAS um 4,8 Punkte und eine Zunahme des Lysholm-Scores um 33 Punkte. Die Überlebensrate, definiert als nicht-notwendige Konversion in eine Teil- oder Totalprothese, betrug nach 5 Jahren 95 %, nach 7 Jahren 93 % und nach 9 Jahren 90 %. Bode et al. [6] analysierten das klinische Outcome von 40 Patienten nach ACT der medialen Femurkondyle + valgisierender HTO. Nach 5 Jahren zeigte sich eine Abnahme des Schmerz-VAS von 6,7 auf 2,2 Punkte und eine Zunahme des Lysholm-Scores von 22 Punkten. Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug 100 %.
Zusammenfassung
- Varus- und Valgusfehlstellung sind ein Risikofaktor für das Entstehen eines Knorpelschadens im mehrbelasteten Kompartiment.
- Varus- und Valgusfehlstellung sind ein Risikofaktor für das Versagen knorpelregenerativer Therapieverfahren.
- Eine entlastende Osteotomie hat einen nachgewiesenen positiven Einfluss auf Reparaturprozesse von Chondrozyten.
- Die klinischen Ergebnisse nach kombinierter Osteotomie und knorpelregenerativen Maßnahmen bei fokalen Knorpelschäden sind vielversprechend.
- Ab 5° Varus- oder Valgusfehlstellung sollte keine isolierte Knorpeltherapie erfolgen.
- Die Autoren empfehlen, auch bei Fehlstellungen von 2–3°, eine Korrekturosteotomie zu erwägen
Osteotomien bei
Bandinstabilität
Hintergrund
Die ossäre Geometrie der unteren Extremität beeinflusst das Ausmaß der Kniegelenkinstabilität nach Bandrupturen und Achsfehler stellen einen signifikanten Risikofaktor für das Versagen von Bandplastiken dar [37]. Kniegelenknahe Osteotomien haben sich daher in der Behandlung von Bandinstabilitäten als kombiniertes oder sogar isoliertes Therapieverfahren etabliert [14]. Neben der Entlastung eines arthrotisch veränderten Kompartiments werden im instabilen Kniegelenk Osteotomien auch zum Schutz einer Bandplastik und zur Stabilisierung eines Gelenks auch ohne Bandplastik eingesetzt. Bei Osteotomien zur Behandlung von Bandinstabilitäten muss neben dem Varus-/Valgusalignment auch der tibiale Slope berücksichtigt werden [12].
Varus-/Valgusalignment
Bereits bei neutral ausgerichteter mechanischer Beinachse kommt es während der Standphase des Gehens durch das resultierende Adduktionsmoment des Unterschenkels zu einer Spannungszunahme der lateralen und posterolateralen Bandstrukturen. Eine Varusfehlstellung führt zu einer Zunahme des Adduktionsmoments und entsprechend zu einer weiteren Spannungszunahme. Eine isolierte Rekonstruktion der lateralen/posterolateralen Strukturen bei Varusdeformität unterliegt somit einer abnorm hohen Belastung, was über kurz oder lang zu einer erneuten Insuffizienz führt [30]. Entsprechendes gilt bei Valgusfehlstellung durch das resultierende Abduktionsmoment für die medialen und posteromedialen Strukturen.