Arzt und Recht - OUP 02/2018

Kündigungsfrist in der Probezeit*
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.3.2017 – 6 AZR 705/15 –

Wird in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag in einer Klausel eine Probezeit und in einer anderen Klausel eine Kündigungsfrist festgelegt, ohne dass unmissverständlich deutlich wird, dass diese ausdrücklich genannte Frist erst nach dem Ende der Probezeit gelten soll, ist dies von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer regelmäßig dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber schon von Beginn des Arbeitsverhältnisses an nur mit dieser Kündigungsfrist, nicht aber mit der zweiwöchigen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Kündigungsfrist kündigen kann.

* Nachdruck aus ArztRecht 11/2017 mit freundlicher Genehmigung des Verlags für ArztRecht, Fiduciastraße 2, 76227 Karlsruhe, www.arztrecht.org

Zum Sachverhalt:

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt, in dem das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis beendet worden ist.

Der Arbeitsvertrag enthielt auszugsweise folgende weitere Regelungen, wobei die Ziffer 4 in § 3 doppelt vergeben war:

„§ 3 Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses

1.

Der Arbeitsvertrag wird im Rahmen einer Neueinstellung befristet abgeschlossen gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG (sachgrundlose Befristung) für die Zeit vom 28.4.2014 bis zum 31.12.2015. …

2.

Der Mitarbeiter bestätigt mit seiner Unterschrift, dass vor Abschluss dieses Arbeitsvertrages kein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis mit der G. bestanden hat.

3.

Auch während einer etwaigen Befristung kann das Arbeitsverhältnis von beiden Parteien nach Maßgabe der Bestimmungen des MTV und den gesetzlichen Bestimmungen gekündigt werden.

4.

Nach Ablauf der vereinbarten Befristungszeit endet das Arbeitsverhältnis, ohne dass es einer entsprechenden Erklärung einer der Parteien bedarf, sofern nicht zuvor die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schriftlich vereinbart wurde.

4.

Die ersten 6 Monate nach Beginn des Arbeitsverhältnisses werden als Probezeit vereinbart. …

§ 8 Beendigung des Arbeitsverhältnisses

1.

Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gilt eine Kündigungsfrist von 6 Wochen zum Monatsende. Die nach den gesetzlichen Bestimmungen für den Arbeitgeber geltenden längeren Kündigungsfristen gelten auch für eine Kündigung durch den Mitarbeiter. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor Arbeitsantritt ist ausgeschlossen.

...“

Mit Schreiben vom 5.9.2014, das dem Kläger am selben Tag zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit zum 20.9.2014, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Mit seiner am 8.10.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger nur noch gegen die Länge der Kündigungsfrist.

Aus den Gründen:

Für die Kündigung in der Wartezeit war allein die Kündigungsfrist aus § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags maßgeblich. Der Kläger durfte den von der Beklagten vorformulierten Arbeitsvertrag dahin verstehen, dass die in § 8 Ziffer 1 des Vertrags vereinbarte Frist schon für Kündigungen in der Probezeit gelten sollte.

Vom Arbeitgeber vorformulierte Vertragsklauseln sind Allgemeine Geschäftsbedingungen

Die Regelungen des Arbeitsvertrags sind Allgemeine Geschäftsbedingungen, die vom Senat als typische Erklärungen selbst ausgelegt werden können. Das folgt aus dem äußeren Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung. Die Beklagte ist dementsprechend der Anwendung der §§ 305 ff. BGB auf den Vertrag durch die Vorinstanzen nicht entgegengetreten.

Der Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu ermitteln. Sie sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen (BAG 17.11.2016 – 6 AZR 487/15 – Rdnr. 22 mit weiteren Nachweisen). Abzustellen ist dabei auf den typischerweise bei Arbeitsverträgen der geregelten Art zu erwartenden nicht rechtskundigen Arbeitnehmer (vgl. BAG 21.4.2016 – 8 AZR 753/14 – Rdnr. 30; BGH 26.11.1984 – VIII ZR 188/83 – zu I der Gründe). Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es deshalb darauf an, wie der Vertrag bzw. seine einzelnen Klauseln nach der „nichtjuristischen Laiensphäre“ zu verstehen sind.

Aus Sicht des verständigen, nicht rechtskundigen durchschnittlichen Arbeitnehmers enthält der von der Beklagten vorformulierte Arbeitsvertrag nur eine einzige Kündigungsfristenregelung, die sich in § 8 Ziffer 1 findet. Die Beklagte hat nicht unmissverständlich deutlich gemacht, dass diese Frist erst nach dem Ende der in § 3 zweite Ziffer 4 des Vertrags festgelegten Probezeit gelten soll. Diese Kündigungsfristenregelung ist aus Sicht des durchschnittlichen Arbeitnehmers darum eigenständig und abschließend und soll von Beginn des Arbeitsverhältnisses an gelten, also auch schon während der vereinbarten Probezeit Wirkung entfalten.

Im Arbeitsvertrag geregelte
Kündigungsfrist

Der Kläger durfte und musste die mit „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ überschriebene Regelung in § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags, die von den gesetzlichen Kündigungsfristen des § 622 Abs. 1 und Abs. 3 BGB zu seinen Gunsten abweicht, als die von der Beklagten auf sein Arbeitsverhältnis zugeschnittene und darum allein maßgebliche Festlegung der Kündigungsfrist verstehen. Der Kläger durfte davon ausgehen, dass der in § 1 des Arbeitsvertrags pauschal als Ganzes in Bezug genommene Manteltarifvertrag (MTV) insoweit keine Bedeutung haben sollte. Anhaltspunkte für die fehlende Eigenständigkeit der Regelung in § 8 Ziffer 1 des Vertrags lassen sich dieser selbst nicht entnehmen. Insbesondere fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass diese Frist nicht bereits ab dem Beginn des Arbeitsverhältnisses gelten sollte. Im Gegenteil trifft § 8 Ziffer 1 Satz 3 des Arbeitsvertrags mit dem Ausschluss der Kündigung vor Dienstantritt eine Regelung mit zeitlichem Bezug zum Vertragsbeginn, ohne in diesem Zusammenhang kürzere Kündigungsfristen für die Anfangsphase des Arbeitsverhältnisses festzulegen.

Der erforderliche Anhaltspunkt für die fehlende Eigenständigkeit der in § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags festgelegten Kündigungsfrist in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses ergibt sich entgegen der Auffassung der Revision auch nicht aus § 3 Ziffer 3 des Arbeitsvertrags. Aus Sicht des durchschnittlichen Arbeitnehmers ist mit der Festlegung, dass das Arbeitsverhältnis auch während der Befristung „nach Maßgabe der Bestimmungen des MTV und den gesetzlichen Bestimmungen gekündigt“ werden kann, allein die Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses als solches eröffnet. Welche Frist dabei einzuhalten ist, lässt sich aus dieser Sicht allein § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags entnehmen.

Bedeutung der vertraglich
vereinbarten Probezeit

Der Kläger musste auch nicht wegen der Vereinbarung einer Probezeit in der zweiten Ziffer 4 des § 3 des Arbeitsvertrags darauf schließen, dass die Kündigungsfrist des § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags erst nach dem Ende dieser Probezeit eigenständige Wirkung entfalten sollte.

Bereits die doppelte Vergabe der Ziffer 4 in § 3 des Arbeitsvertrags legt nahe, dass die darin erfolgte Bestimmung einer Probezeit nur versehentlich in den von der Beklagten vorformulierten Vertragstext aufgenommen worden ist. Im Übrigen enthält § 3 des Vertrags ausschließlich Bestimmungen, die im Zusammenhang mit der vereinbarten Befristung des Arbeitsverhältnisses stehen. Aus Sicht eines durchschnittlichen Arbeitnehmers ist die Vereinbarung einer Probezeit in diesem Zusammenhang verfehlt. Das spricht aus seiner Sicht für die Unbeachtlichkeit der zweiten Ziffer 4 in § 3 des Arbeitsvertrags.

Unabhängig davon konnte ein nicht rechtskundiger durchschnittlicher Arbeitnehmer allein der Vereinbarung einer Probezeit in § 3 zweite Ziffer 4 des Vertrags nicht entnehmen, dass in dieser Probezeit nicht die in § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags festgelegte Kündigungsfrist, sondern die in § 9.3 Unterabs. 2 Satz 2 MTV bzw. § 622 Abs. 3 BGB geregelte zweiwöchige Kündigungsfrist gelten sollte.

Allerdings gilt in einer vereinbarten Probezeit die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB grundsätzlich ohne besondere Vereinbarung (vgl. nur APS/Linck 5. Auflage BGB § 622 Rdnr. 69 mit weiteren Nachweisen). Die Arbeitsvertragsparteien können jedoch auch für die Kündigung in der Probezeit längere Kündigungsfristen vereinbaren (ErfK/Müller-Glöge 17. Auflage § 622 BGB Rdnr. 15).

Eine solche abweichende Regelung ist in § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags getroffen.

Dabei kann dahinstehen, ob einem nicht rechtskundigen durchschnittlichen Arbeitnehmer, wie die Revision annimmt, die Auswirkung der Vereinbarung einer Probezeit auf die Länge der in dieser Zeit einzuhaltenden Frist bekannt ist oder ob ein solcher Arbeitnehmer nur davon ausgeht, dass in dieser Zeit noch kein Kündigungsschutz gilt, also die Probezeit mit der Wartezeit des § 1 KSchG gleichsetzt (so vereinzelt auch die ältere Rechtsprechung des BAG, vgl. 5.2.2004 – 8 AZR 639/02 – zu II 3 a der Gründe; 20.8.1998 – 2 AZR 83/98 – zu II 3 der Gründe, BAGE 89, 307).

Jedenfalls galt nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Arbeitnehmers aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Arbeitsvertrags der Parteien die in dieser Klausel festgelegte Kündigungsfrist schon während der Probezeit. § 3 des Arbeitsvertrags ist mit „Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses“ überschrieben. Zwar weist die Revision mit Recht darauf hin, dass der Begriff „Dauer“ deutlich macht, dass § 3 auch Regelungen enthält, die Bedeutung für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben. Alle folgenden Klauseln dieses Paragrafen beziehen sich jedoch bis zur ersten Ziffer 4 ausschließlich auf die Befristung des Arbeitsverhältnisses. § 3 Ziffer 3 eröffnet während des Befristungslaufs eine Kündigungsmöglichkeit, § 3 erste Ziffer 4 legt die rechtlichen Folgen des Befristungsauslaufs fest. Die folgende Regelung der Probezeit in § 3 zweite Ziffer 4 steht mit den davor stehenden Klauseln in keinem rechtlichen oder inhaltlichen Zusammenhang. Zwar steht, worauf die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen hat, die Probezeit begriffsnotwendig am Anfang des Arbeitsverhältnisses. Gleichwohl muss der durchschnittliche Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, dass in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Vertrag unter der Überschrift „Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses“ Bestimmungen erfolgen sollen, die die Länge der Kündigungsfrist berühren, wenn zugleich in einer anderen Klausel, die ausdrücklich mit „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ überschrieben ist, die Kündigungsfrist ohne jede Ausnahme festgelegt ist. Das gilt umso mehr, als der von der Beklagten vorformulierte Vertrag außerordentlich komplex ist und zahlreiche verästelte Regelungen enthält. Der Kläger konnte deshalb erwarten, dass die Beklagte in dem Vertrag die Fallgestaltungen aufführen würde, in denen sie eine von der Frist des § 8 Ziffer 1 abweichende Frist festlegen wollte. Das ist nicht geschehen. An keiner Stelle des Arbeitsvertrags wird für den durchschnittlichen Arbeitnehmer deutlich, dass die Beklagte als Verwenderin kündigungsrechtlich Konsequenzen aus einer vereinbarten Probezeit ziehen, insbesondere für den Beginn des Arbeitsverhältnisses kürzere Kündigungsfristen vorsehen wollte. Eine Kündigungsfrist ist ausdrücklich nur in § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags ohne Ausnahmeregelung für die Dauer der Probezeit festgelegt. Allein diese Frist ist deshalb aus Sicht des durchschnittlichen Arbeitnehmers von Beginn an und damit auch bereits während der Probezeit für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses maßgeblich.

Allerdings hat, worauf die Revision zutreffend hinweist, die Vereinbarung einer Probezeit im Regelfall nur den Zweck, während dieser Zeit mit verkürzter Frist kündigen zu können. Ist § 8 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags bereits in der Probezeit maßgeblich, läuft die Vereinbarung der Probezeit leer. Das ist jedoch die Folge der von der Beklagten selbst formulierten Vertragsklauseln, die ihren der Vereinbarung der Probezeit zugrundeliegenden Regelungswillen dem durchschnittlichen Arbeitnehmer nicht hinreichend deutlich macht. Hätte die Beklagte als Verwenderin vorgeben wollen, dass in der Probezeit die zweiwöchige Kündigungsfrist des § 9.3 Unterabs. 2 Satz 2 MTV bzw. § 622 Abs. 3 BGB gelten soll, hätte sie dies entweder in § 3 im Zusammenhang mit der Vereinbarung der Probezeit deutlich machen oder die Regelung in § 8 des Vertrags unzweideutig auf die Zeit nach dem Ende der Probezeit begrenzen müssen. Dafür hätte die Einfügung der drei Worte „nach der Probezeit“ im Anschluss an die § 8 Ziffer 1 des Vertrags einleitende Passage „Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gilt“ genügt. An der von ihr vorgegebenen Formulierung, die für den durchschnittlichen, juristisch nicht vorgebildeten Arbeitnehmer nur den Schluss zulässt, dass die einzige Kündigungsfristenregelung in § 8 des Arbeitsvertrags vom ersten Tag des Arbeitsverhältnisses an maßgeblich sein sollte, muss sich die Beklagte festhalten lassen.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt

Martin Ruhkamp, Karlsruhe

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