Übersichtsarbeiten - OUP 11/2015
Leitliniengestützte medikamentöse Behandlung der Osteoporose
Jürgen Heisel1
Zusammenfassung: Aktuelle evidenzbasierte Leitlinie der DVO zur Indikation einer medikamentösen Behandlung einer Osteoporose basierend auf dem Ergebnis einer DEXA-Untersuchung der LWS und/oder der hüftgelenknahen Region. Auflistung verschiedener Substanzen (mit wissenschaftlich geführtem Nachweis ihrer Effizienz) mit Wirkungsweise, Dosierung, Nebenwirkungen sowie Kontraindikationen.
Schlüsselwörter: Osteoporose, Leitlinie, medikamentöse Behandlung
Zitierweise
Heisel J. Leitliniengestützte medikamentöse Behandlung der
Osteoporose.
OUP 2015; 11: 522–525 DOI 10.3238/oup.2015.0522–0525
Summary: Actual evidence based guidelines (DVO) of indication of osteoporosis treatment by special drugs based on the result of DXA-investigation of the lumbar spine and the proximal femoral region. Representation of different drugs (scientific significant proof) and their effect, dosis, side effects and contraindications.
Keywords: Osteoporosis, guidelines, treatment by drugs
Zitierweise
Heisel J. Guidelines for treatment of osteoporosis by special drugs. OUP 2015; 11: 522–525 DOI 10.3238/oup.2015.0522–0525
Einleitende Vorbemerkungen
Die Osteoporose – diskutiert wird eine multifaktorielle Genese – ist in Mitteleuropa bei generell hoher Lebenserwartung eine Volkskrankheit; in Deutschland beträgt die Zahl behandlungsbedürftiger Fälle nach verlässlichen Schätzungen etwa 7,5 Millionen Menschen. Bekannte starke Risikofaktoren für eine vermehrte Inzidenz von Wirbel- und hüftgelenknahen Frakturen sind u.a.
ein hohes Lebensalter,
prävalente Frakturen,
eine positive Familiennamnese,
Untergewicht,
Status nach Gastrektomie bzw. B-II-Magenresektion,
Nikotinabusus und/oder COPD (inhalative Glukokortikoidbehandlung),
Diabetes mellitus Typ I,
Hyperthyreose,
Immobilität und/oder Koordinationsstörungen mit Sturzneigung,
systemische Medikation mit Glukokortikoiden und Protonenpumpenhemmern.
Der Goldene Standard der Diagnostik ist die DEXA-Untersuchung.
Von einer medikamentösen Behandlungsbedürftigkeit im Falle einer postmenopausalen Situation oder bei Männern jenseits des 60. Lebensjahrs wird nach neuesten Studien bei einer erniedrigten DEXA-Knochendichte mit einem T-Score von < –2,0 an der LWS, dem Schenkelhals und/oder dem proximalen Gesamtfemur ausgegangen. Tabelle 1 zeigt die Konstellation für den T-Score, bei dem durchschnittlich ein mehr als 30%iges 10-Jahres-Frakturrisiko angenommen werden kann. Bei einer adäquaten medikamentösen Behandlung lasse sich das Risiko einer vertebragenen oder hüftgelenknahen Fraktur signifikant, d.h. effizient, senken. Die Leitliniengruppe der DVO empfiehlt, nicht mehr als 2 der o.a. Risikofaktoren bei der Anhebung des Schwellenwerts zu berücksichtigen, da die Interaktionen der Risikofaktoren oft nicht ausreichend bekannt seien.
Zugelassene Präparate
Sämtliche Substanzen zielen auf eine Optimierung der Osteoblastenaktivität und/oder Hemmung einer verstärkten osteoklastischen Wirkung vor allem im spongiösen Knochen ab, wobei unterschiedliche Angriffspunkte im ossären Stoffwechsel bestehen.
Kalzium – Vitamin D
Chemische Substanzen
- Kalzium v.a. als Carbonat, Citrat, Gluconat (Kau- oder Brausetabletten, Filmtabletten, Trinkampullen u.a.).
- Vitamin D3 (25-OH-Calciferol).
- Kombinationen v.a. als Kau- und Brausetabletten.
Präparate
- Kalzium: Calcimed,, Calcium Verla, frubiase u.a. (400–800 mg).
- Vitamin D: Dekristol, Vigantoletten, Vigantol (400–1.000 I.E.) als Tabletten, Alfacalcidol, Bondiol, Calcitriol u.a. (Vitamin D3-Analoga, meist als Weichkapseln 0,25–2 myg).
- Kombinationen: CalciCare-D3, Calcigen D, Calcilac, Calcimagon-D3, Ossofortin u.a.m.
Indikationen: Als alleinige Medikation mit einem Kombinationspräparat nur zur Prophylaxe einer Osteoporose bei bestehenden Risikofaktoren noch ohne wesentlichen Knochenverlust geeignet.
Wirkungsweise: Erhöhung des Kalziumangebots bei Mangel oder vermehrtem Bedarf, Vitamin D3 als „Schlüssel“ für den Eintritt des Kalziums in die Zelle. Die Vorstufen von Vitamin D3 benötigen UV-Licht-Bestrahlung zur Bildung des biologisch aktiven Moleküls, daher Sonnenexposition v.a. im Winter sinnvoll.
Dosierung: Empfohlen wird die Einnahme vom Kombinationspräparaten: 1.000–1.500 mg Kalzium/Tag + 400–800 I.E. Cholecalciferol/die.
Nebenwirkungen: Gastrointestinale Symptome.
Kontraindikationen: Hyperkalzämie, Nephrolithiasis, M. Boeck.
Nota bene: Eine alleinige Behandlung einer nachgewiesenen Osteoporose mit diesen Präparaten ist in aller Regel nicht ausreichend. In diesen Fällen muss auf eine zusätzliche osteoanabole und/oder antiosteokatabole Medikation zurückgegriffen werden.
Bisphosphonate
Chemische Substanz: Synonym: Diphosphonate; der Pyrophosphorsäure ähnliche Präparate (s. Tab. 2).
Präparate: Siehe Tabelle 2.
Wirkungsweise: Hemmung der osteoklastären Knochenresorption und Rekrutierung der Osteoblasten.
Indikationen: Postmenopausale Osteoporose, Osteoporose des Mannes (klassische Standardpräparate), Prophylaxe einer kortikoidinduzierten Osteoporose.
Dosierung: In erster Linie tägliche oder wöchentliche Applikation als Standard (Tab. 2).
Nebenwirkungen: Asymptomatische vorübergehende Abnahme des Serum-Kalziums und -Phosphats, Schwindel, Augenentzündungen, Vertigo, Alopezie, Hautausschläge, atypische Femurfrakturen, bisweilen Gelenkschwellungen und periphere Ödeme, Risiko der Entwicklung einer Osteonekrose des Kiefers.
Kontraindikationen: Erkrankungen des Ösophagus, Unfähigkeit, mindestens 30 Minuten aufrecht zu stehen oder zu sitzen, Hypokalzämie, eingeschränkte Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance < 35 ml/min), aktive gastrointestinale Erkrankungen, Störungen des Mineralstoffwechsels, maligne Tumore, schlechte Mundhygiene.
Nota bene: In jedem Fall ist eine begleitende Applikation von Kalzium- und Vitamin-D-Präparaten erforderlich (s.o.).
Strontium
Chemische Substanz: Strontiumranelat
Präparat: Protelos
Wirkungsweise: Steigerung der Osteoblastenbildung und der Kollagensynthese, Hemmung der Knochenresorption (Verminderung der Osteoklastendifferenzierung).
Indikationen: Schwere postmenopausale Osteoporose; bei Männern mit hohem Frakturrisiko, wenn andere zugelassene Präparate nicht möglich sind (Unverträglichkeit, Kontraindikation).
Dosierung: Gelbes Granulat zur Herstellung einer Suspension zur oralen Einnahme, täglich ein Beutel mit 2 g. Einnahme zwischen den Mahlzeiten (Resorption durch Milchprodukte verringert!).
Nebenwirkungen: Selten Übelkeit, Diarrhoe zu Behandlungsbeginn, Thromboembolie (Risiko 1,4), Myokardinfarkt (Risiko 1,6).
Kontraindikationen: Akute venöse Thromboembolien, tiefe Beinvenenthrombose in der Anamnese, längere Immobilisation, ischämische Herzkrankheit, paVK, chronische Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min).
SERMs (Selektive Estrogen-
Rezeptormodulatoren)
Chemische Substanz: Derivate des humanen Östrogens.
Präparate: Raloxifen, Evista, Optruma
Wirkungsweise: Östrogen-agonistischer Effekt mit Hemmung der Osteoklasten und Umkehrung des progredienten postmenopausalen Knochenmassenverlusts (Reduktion der Serumspiegel des Resorptionsmarkers CTX und NTX nachweisbar). Weitere Wirkung: Signifikante Senkung des Brustkrebsrisikos.
Indikationen: Nur bei Unverträglichkeit oder Kontraindikationen gegenüber konventionellen Osteoporosetherapeutika unter sorgfältiger individueller Abwägung von Nutzen und Risiko im Rahmen der Sekundärprävention einzusetzen (evtl. Rücksprache mit dem Gynäkologen). Bei nicht hysterektomierten Frauen ist eine Zusatzbehandlung mit einem Gestagen obligatorisch.
Dosierung: 1-mal 60 mg (Filmtablette)/Tag unabhängig von den Mahlzeiten.
Nebenwirkungen: Leicht erhöhte Rate von Hitzewallungen und Thrombosen, gastrointestinale Symptome (Nausea, Emesis, Dyspepsie), grippeähnliche Symptome, erhöhter Blutdruck, häufig Kopfschmerzen einschließlich Migräne, Hautausschläge, Wadenkrämpfe, Mammabeschwerden, periphere Ödeme, Cholelithiasis, gelegentlich Thrombozythopenien.
Kontraindikationen: Noch gebärfähige Frauen, thromboembolische Ereignisse in der Anamnese, eingeschränkte Leberfunktion einschließlich Cholestase, schwere Nierenfunktionsstörungen, ungeklärte Uterusblutungen.
Calcitonin
Chemische Substanz: Nebenschilddrüsenhormon Thyreocalcitonin (Proteohormon).
Präparat: Calcitonin 50 I.E./-100 I.E.-Rotexmedica
Indikationen: Prävention eines akuten Verlusts an Knochenmasse nach einer plötzlichen Immobilisation mit kürzlich zurückliegender osteoporotischer Fraktur.
Wirkungsweise: Hemmung der Kalziumfreisetzung im Knochen (direkter Antagonist des Parathormons), Verminderung der Kalziumresorption im Darm, Förderung der renalen Kaliumausscheidung.
Dosierung: 100 IE/Tag oder 50 IE 2-mal/Tag s.c. oder i.m. für 2 bis maximal 4 Wochen (während der Immobilisation).
Nebenwirkungen: Sehr häufig Übelkeit mit oder ohne Erbrechen, Flush, gelegentlich lokale Irritationen am Applikationsort, Hautausschlag, metallischer Geschmack im Mund, Schwindel, verstärkte Diurese, sehr selten Bronchospasmus.
Kontraindikationen: Hypokalzämie, Patienten < 18 Jahre, Stillzeit. Bei Verdacht auf Überempfindlichkeit sollte vor Beginn der Behandlung ein Hauttest durchgeführt werden.
Nota bene: Nicht geeignet zur Langzeittherapie einer Osteoporose (da hier Risiko einer malignen Erkrankung).
Parathormon
Chemische Substanz: Humanes rekombinantes Teriparatid (1–34 rh PTH, Peptidhormon).
Präparat: Forsteo.
Indikationen: Sehr hohes Frakturrisiko, unzureichendes Ansprechen oder Unverträglichkeit anderer Substanzen.
Wirkungsweise: Stimulation des Knochenaufbaus (osteoanabol mit Steigerung des Knochenremodelings und Zunahme der trabekulären Vernetzung).
Dosierung: Tägliche subkutane Injektion von 20 myg s.c. (Oberschenkel oder Abdomen).
Nebenwirkungen: Sehr häufig Gliederschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, häufig Herzpalpitationen, Anämie, Ischiassyndrom, Müdigkeit, Thoraxschmerzen, Juckreiz, gelegentlich Gewichtszunahme u.a.m.
Kontraindikationen: Vorbestehende Hyperkalzämie, Gravidität, Stillzeit, schwere chronische Niereninsuffizienz Stadium IV und V (Kreatinin-Clearance < 30 ml/min), maligne Skeletterkrankung, Erhöhung der alkalischen Phosphatase, vorausgegangene Strahlentherapie, offene Epiphysenfugen.
Nachteile: Hohe Therapiekosten, zeitlich begrenzte Therapiedauer (2 Jahre) mit anschließend notwendiger antiresorptiver Therapie.
Biologicals
Chemische Substanz: Denosumab.
Präparat: Prolia.
Wirkungsweise: Hemmung der Osteoklastenbildung, -differenzierung und -lebensdauer (Rezeptorblockade) mit linearem Anstieg der Knochenmineraldichte (sog. Ligandenhemmer).
Indikationen: Fortbestehend hohes Frakturrisiko bzw. Fehlschlagen oder ungenügendes Ansprechen konventioneller Präparate.
Dosierung: 60 mg subkutan alle 6 Monate.
Nebenwirkungen: Häufiger Infekte der Harnwege und oberen Luftwege, Ischiassyndrom, Katarakt, Obstipation, Hautausschlag, Gliederschmerzen, gelegentlich Divertikulitis, bakterielle Entzündungen des Unterhausgewebes, Ohrinfekte, Ekzeme, seltene anaphylaktische Reaktionen, Kieferosteonekrosen, Hypokalzämien, atypische Femurfrakturen.
Kontraindikation: Hypokalzämie.
Nota bene: Angemessene Kalzium- und Vitamin D-Applikation erforderlich, sorgfältige Mundhygiene wichtig!
Fazit für den
klinischen Alltag
Der aktuell leitliniengerechte „Goldene Standard“ in der medikamentösen Osteoporosetherapie ist die Applikation von Bisphosphonaten (hier vorzugsweise Risedronat und Alendronat) unter gleichzeitiger Gabe von Kalzium (1.000–1500 mg/Tag) und Vitamin D (400–800 I.E./Tag), wobei grundsätzlich eine DEXA-Untersuchung unter zusätzlicher Berücksichtigung der individuellen Risikofaktoren zugrunde gelegt werden sollte. Nur im Falle schwerer Krankheitsbilder, mangelnder Effizienz dieser Standardtherapie oder bei deren Unverträglichkeit bzw. Kontraindikation sollte auf eine der übrigen Alternativsubstanzen zurückgegriffen werden. Wichtig ist die engmaschige ärztliche Führung des betroffenen Patienten, wobei eine erneute DEXA-Messung nach Ablauf von 2 Jahren überlegt werden kann.
Fluoride (hier v.a. Natriumfluorid) werden in der Osteoporosetherapie nicht mehr empfohlen, da die Knochenmasse zwar verbessert werden konnte, die Frakturinzidenz jedoch unbeeinflusst blieb.
Interessenkonflikte: Keine angegeben
Korrespondenzanschrift
Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult.
Jürgen Heisel
Jörglestraße 14
72661 Grafenberg
prof.heisel@gmx.de
Literatur
1. DVO Leitlinie Osteoporose (2014)
2. Rote Liste 2015. 55. Ausgabe. Frankfurt/Main (2015)
Fussnoten
1 Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Facharzt für Rehabilitative und Physikalische Medizin, Grafenberg