Übersichtsarbeiten - OUP 03/2024

Matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation (mBMS) am Schultergelenk

Christoph Werry

Zusammenfassung:
Die Fallpräsentation beschreibt ein gelenkerhaltendes Verfahren bei vorbestehendem fokalen Knorpelschaden am Schultergelenk mit beginnender Arthrose bei einer jungen Patientin mit hohem sportlichem Anspruch. Hierdurch konnte ein deutlicher Gewinn der Lebensqualität nach einem Beobachtungszeitraum von 2 Jahren erzielt werden. Bildmorphologisch imponiert in den PD-Sequenzen im MRT nach Anwendung einer matrixaugmentierten Knochenmarkstimulation mit einer Hyaluronsäurematrix ein gutes Knorpelregenerat. Das klinische und bildmorphologische Ergebnis bietet Hoffnung für zukünftige Erfolge bei der Hinauszögerung des Schultergelenkersatzes.

Schlüsselwörter:
Arthroskopischer Gelenkerhalt Schulter, Knorpeltherapie, CAM-Procedure

Zitierweise:
Werry C: Matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation (mBMS) am Schultergelenk
OUP 2024; 13: 129–132
DOI 10.53180/oup.2024.0129-0132

Summary: The case presentation describes a joint-preserving procedure for pre-existing focal cartilage damage to the shoulder joint with the onset of osteoarthritis in a young female patient with high sporting demands. A significant improvement in quality of life was achieved after an observation period of two years. Imaging morphology shows good cartilage regeneration in the PD sequences in the MRI after application of matrix-augmented bone marrow stimulation using a hyaluronic acid matrix. The clinical and morphological results offer hope for future success in delaying shoulder joint replacement.

Keywords: Arthroscopic joint preservation shoulder, cartilage repair, CAM procedure

Citation: Werry C: Matrix augmented bone marrow stimulation (mBMS) on the shoulder joint
OUP 2024; 13: 129–132. DOI 10.53180/oup.2024.0129-0132

GFO Kliniken Niederrhein, St. Vinzenz Hospital Dinslaken

Einleitung

Fokale Knorpelschäden am Schultergelenk sind im Vergleich zu Gelenken der unteren Extremitäten selten. Oft werden sie, weil sie häufig lange asymptomatisch bleiben, seltener erkannt. Die gelenkerhaltende Therapie mit knorpelreparativen Eingriffen am Schultergelenk hat unter anderem deshalb bislang nicht den Stellenwert erreicht wie am Kniegelenk, Hüftgelenk oder Sprunggelenk. Als anatomische Besonderheit ist der Knorpel am Schultergelenk sehr dünn (zwischen 1,0 und 1,3 mm) [1]. Diese Besonderheit birgt Schwierigkeiten bei der bildlichen Darstellung im MRT. In den letzten Jahren ist der Stellenwert knorpelregenerativer Therapien deutlich gestiegen. Immer mehr orthopädische Chirurginnen und Chirurgen beschäftigen sich mit gelenkerhaltenen Maßnahmen einschließlich der Knorpeltherapie. Im Fokus steht gegenwärtig die Behandlung von Knorpelschäden an Hüfte, Knie und Sprunggelenk. Schnittmengen mit Schulterchirurgen sind seltener. Bislang gibt es wenige Publikationen, die sich mit knorpelregenerativen Verfahren am Schultergelenk befassen. Die erfolgreiche Transplantation autologer osteochondraler Zylinder wurde 2004 von Scheibel [2] beschrieben. Boehm konnte 2020 in einer Fallserie mit Beobachtungszeitraum von 3 Jahren gute Ergebnisse nach autologer Chondrozytentransplantation am Schultergelenk präsentieren [3].

Zur Hinauszögerung eines Gelenkersatzes an der Schulter stellte Millet et al. 2011 das Comprehensive-Arthroscopic-Management (CAM-Prozedur) [4] als Therapie bei fortgeschrittener Omarthrose vor. Das Verfahren beinhaltet ein Débridement, die Chondroplastik, die Synovialektomie und die Entfernung freier Gelenkkörper mit Kapselrelease sowie eine subakromiale Dekompression.

Die alleinige Chondroplastik, ebenso wie die Mikrofrakturierung konnten nur kurz- bis mittelfristig gute Ergebnisse am Kniegelenk zeigen, jedoch wurden erfolgreiche Behandlungen mit matrixassoziierter Knochenmarkstimulation publiziert. So bieten sich bei kleineren Knorpelschäden azelluläre Therapieverfahren mit Deckung des Defektes mit einer Kollagen- oder Hyaluronmatrix als Alternative an [5].

Gegenstand dieses Case Reports ist die Übertragung der Kenntnisse mit erfolgreicher Behandlung von Knorpeldefekten am Kniegelenk im Sinne der Anwendung einer Matrix augmentierten Knochenmarkstimulation im arthroskopischen Operationsverfahren unter Verwendung einer Hyalofast-Membran© (Plasmaconcept) am Schultergelenk in Kombination mit der von Millet beschriebenen CAM-Prozedur.

Anamnese

Die 46-jährige Patientin stellt sich mit starken, seit einem halben Jahr exazerbierten Schmerzen der linken Schulter in der Sprechstunde mit VAS 7 vor. Die Dauer der Schulterbeschwerden gibt sie mit 3 Jahren an. Sie sei jahrelang sportlich aktiv gewesen (Klettern, Kraftsport), was sie nun aufgrund der Schmerzen habe aufgeben müssen. Die Schmerzen bestünden in Ruhe, insbesondere nachts beim Liegen auf der linken Schulter. Im EQ5D-Schulter schätzt die Patientin ihren Gesundheitszustand auf 51 Punkte.

Befund

Der äußere Weichteilmantel erscheint reizlos und ohne Überwärmung. Sensomotorische Einschränkungen bestehen an der oberen linken Extremität nicht. Die Bewegungsausmaße der linken Schulter zeigen beim Nacken- und Schürzengriff keine Einschränkungen. Allerdings sind die Bewegungen schmerzhaft und nur verlangsamt demonstrierbar. Die Untersuchung der Rotatorenmanschette ergibt einen schmerzhaften und kraftgeminderten Jobe-Test. Der 0°-Innenrotationstest gegen Widerstand ist schmerzfrei, der 0°-Außenrotationstest gegen Widerstand ist leicht schmerzhaft. Über dem Verlauf der langen Bizepsszene besteht ein Druckschmerz, der Palm-Up-Test ist schmerzhaft und kraftgemindert. O´Brian-Test schmerzhaft. Das Kennedy-Hawkins-Zeichen ist lebhaft positiv. Der Cross-Body-Test ist unauffällig, kein Druckschmerz über dem AC-Gelenk. Bei erheblichem Beschwerdemaß wird ein Constant-Score von 16 erreicht.

Bildgebung

Mitgeführt wird ein auswärtiges MRT der linken Schulter mit großer Knorpelläsion am Humuskopf und Osteophyt am caudalen Humuskopf. Darüber hinaus langstreckiger Riss des cranioventralen Labrums mit paralabraler Zyste. Deutliche Reizung in Umgebung der Bizepssehne mit Flüssigkeitsansammlung. Ausdünnung der Supraspinatus-Sehne mit Kaliberreduktion am Footprint. Die Röntgenaufnahmen zeigen einen Osteophyten am Humeruskopf im Sinne einer Arthrose Grad 1 nach Samilson und Prieto.

Therapie und Verlauf

Aufgrund der degenerativen Veränderungen und des jungen Alters der Patientin werden konservative und operative Therapiemaßnahmen eingehend erläutert. Bei beginnender Omarthrose schlagen wir eine CAM-Prozedur einschließlich einer Tenotomie der langen Bizepssehne mit Rekonstruktion des Labrums sowie Beurteilung und Behandlung des Knorpelschadens vor. Die Patientin zeigt sich mit dem Vorgehen einverstanden.

Operatives Vorgehen

Die Operation erfolgt in Beachchair-Lagerung, der Arm wird in einem pneumatischen Spider-Armhalter montiert und stabilisiert. Bei der diagnostischen Arthroskopie wird ein großflächiger drittgradiger Knorpelschaden am Humuskopf bestätigt. Es erfolgt im Rahmen des CAM-Procedure nach Millet [4] die Bergung freier Gelenkkörper, ein ausgedehntes Débridement des Knorpelschadens am Humeruskopf mit Resektion von lockeren Gewebsanteilen im Sinne einer Chondroplastik und die zusätzliche Tenotomie der langen Bizepssehne. Anschließende Rotatorenmanschetten-Intervalleröffnung mit Synovektomie und Débridement der Subscapularissehne sowie die Inspektion der Supraspinatussehne aus gelenkseitiger und bursaseitiger Perspektive zum Ausschluss einer Ruptur. Das rupturierte Labrum wird nach Anfrischung mit einem knotenlosen Anker auf der 1:30-Uhr-Position refixiert. Die knorpelregenerativen Maßnahmen beinhalten eine gründliche Präparation des Defektgrundes mit abgewinkelten scharfen Löffeln und Küretten. Nach dem Débridement findet sich eine Ausdehnung des Knorpelschadens auf kreisrunder Fläche mit rund 30 mm Durchmesser. Dort wird eine Mikrofrakturierung vorgenommen. Nach Ablassen der Spülflüssigkeit wird der Austritt von Blut aus den Kanälen der Mikrofrakturierung dokumentiert. Zur Implantation der Hyalofast-Membran© wird eine für die Hüftarthroskopie entwickelte Halfpipe als Shuttle-Instrument benutzt. Mit dem Tasthaken wird die Membran, welche im Verlauf durch das austretende und gerinnende Blut aus den Knochenkanälen adhärent wird, platziert. Durch Einspülen und erneutes Ablassen von Spülflüssigkeit kann bereits nach kurzer Dauer die Anheftung der Matrix ohne Tendenz zur Dislokation dokumentiert werden. Nach Beendigung des intraartikulären Anteils der CAM-Prozedur erfolgt die subacromiale Dekompression mit Bursektomie und sparsamer Resektion des knöchernen Akromion-Sporns und die Beurteilung der Supraspinatussehne mit Feststellung intakter Strukturverhältnisse aus der bursaseitigen Perspektive (Abb. 1–5).

Postoperativer Verlauf

Im weiter ambulanten Beobachtungszeitraum erfolgen regelmäßige klinische Kontrollen sowie MRT-Bildgebungen mit Knorpelsequenzen zur Beurteilung des Regenerates nach ein und zwei Jahren. Hierbei kann ein gutes Knorpelregenerat dargestellt werden. In der Kontrolluntersuchung nach 6 Monaten berichtete die Patientin, dass sie wieder sportlich aktiv sei und auch klettern könne. Der im EQ5D-Schulter bemessene Gesundheitszustand wird nach 6 Monaten mit 81 angegeben. Nach 12 Monaten liegt die VAS bei 3, der Gesundheitszustand wird mit 65 angegeben. Klettern kann die Patientin nach einem Jahr nicht mehr, da die Kraft fehlt. Nach 2 Jahren gibt die Patientin einen Gesundheitszustand von 71 an. Der VAS-Wert liegt weiterhin bei 3. In der klinischen Nachuntersuchung bietet die Patientin unter Angabe von hoher Zufriedenheit einen Constant-Score von 65 Punkten. Somit verbleibt noch eine deutliche Einschränkung der Schulterfunktion, die jedoch im Vergleich zur präoperativen Situation (Constant Score = 16) eine erhebliche Verbesserung der Funktion bei subjektivem Wohlbefinden darstellt.

Postoperative Bildgebung

Von der Überörtlichen Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin Duisburg-Dinslaken wurden zur postoperativen Beurteilung des Knorpels speziell entwickelte PD-Sequenzen angefertigt. Nach einem Jahr (Abb. 6, 7) war bereits ein nahezu vollschichtiges Regenerat entstanden. In der Verlaufskontrolle nach 2 Jahren fand sich ein den ehemaligen Defektbereich umfassend deckendes Knorpelgewebe (Abb. 8, 9). Die subchondrale knöcherne Grenzlamelle verblieb nach der Behandlung formverändert, bildete jedoch keinen knöchernen Bump aus, was sonst häufig nach Mikrofrakturierungen zu beobachten ist.

Diskussion

Der vorliegende Fall zeigt einen erfolgreichen Therapieverlauf nach knorpelreparativem Vorgehen durch Mikrofrakturierung und Implantation einer fermentierten Hyaluronsäure-Membran und CAM-Prozedur mit kurzzeitigem Rückgewinn der sportlichen und dauerhaftem Rückgewinn der beruflichen Aktivität. Durch Millet et al. wurde die Wirksamkeit der CAM-Prozedur nachgewiesen. Welchen Anteil die knorpeltherapeutische Behandlung am Gesamtergebnis trägt, ist nicht klar. Allerdings zeigt die bildgebende Diagnostik im Verlauf eine weitgehende Wiederherstellung des Knorpelschadens mit neu entstandenem Knorpelgewebe im ursprünglichen Defektbezirk. Ob durch die geschilderte Kombinationsbehandlung Knorpeltherapie und CAM-Prozedur ein reproduzierbares und zuverlässiges Therapieverfahren besteht, welches Vorteile gegenüber der alleinigen CAM-Prozedur zeigt, muss in weiteren Fällen untersucht und wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Vermutlich stellt die matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation auch am Schultergelenk eine sehr gute Therapiealternative zur aufwendigeren autologen Chondrozytentransplantation oder zur Transplantation osteochondraler Zylinder dar. Die matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation kann somit eine weitere Behandlungsstrategie zum Hinauszögern eines Gelenkersatzes bedeuten.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Christoph Werry

GFO Kliniken Niederrhein

St. Vinzenz Hospital Dinslaken

Dr.-Otto-Seidel-Str. 31–33

46535 Dinslaken

christoph.werry@st-vinzenz-hospital.de

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