Übersichtsarbeiten - OUP 01/2017
Möglichkeiten und Grenzen der Knorpelrekonstruktion bei Knorpelverletzungen großer Gelenke
Atesch Ateschrang1, Steffen Schröter1, Ulrich Stöckle1
Zusammenfassung: Die Behandlung von traumatischen und degenerativen Knorpelschäden wurde
stetig verbessert, wobei die autologe Knorpelzelltransplantation einen wichtigen Baustein darstellt. Insbesondere für
degenerative Knorpelschäden ist eine sehr genaue Ursachenanalyse notwendig, um durch die kausale Therapie eine gute Prognose der zusätzlich durchzuführenden Knorpelrekonstruktion zu erzielen. Dieser Artikel soll die Differenzialindikation der knorpelrekonstruktiven Möglichkeiten und Grenzen zusammenfassen und gleichzeitig die Wichtigkeit der Kausaltherapie bei degenerativen Knorpelschäden durch Fallbeispiele unterstreichen.
Schlüsselwörter: Knorpelschaden, Knorpelrekonstruktion,
Gelenkerhalt, autologe Knorpelzelltransplantation
Zitierweise
Ateschrang A, Schröter S, Stöckle U: Möglichkeiten und Grenzen der Knorpelrekonstruktion bei Knorpelverletzungen großer Gelenke.
OUP 2017; 1: 004–010 DOI 10.3238/oup.2016.0004–0010
Summary: The treatment of traumatic and degenerative cartilage lesions has been improved. Autologous chondrocyte implantation is a well established treatment option. A thorough cause analysis is necessary for degenerative lesions to improve the outcome after cartilage reconstructive surgery. This article summarizes a stage dependant treatment algorithm for cartilage lesions. Given examples underline the importance of additional reconstructive surgery to normalize joint biomechanics for degenerative cartilage damage.
Keywords: Cartilage damage, Cartilage reconstruction, joint preservation, autologous chondrocyte implantation
Citation
Ateschrang A, Schröter S, Stöckle U:Options and limitations of cartilage joint reconstruction.
OUP 2017; 1: 004–010 DOI 10.3238/oup.2016.0004–0010
Die Behandlung von Knorpelverletzungen ist nach wie vor ein praxisrelevantes Problem, da eine generell anwendbare Patentlösung noch immer nicht vorliegt, obwohl die Behandlungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahrzehnten stetig verbessert wurden. Einen essenziellen Fortschritt stellt die Inauguration der autologen Knorpelzelltransplantation (ACI) durch Matts Brittberg und Lars Peterson 1994 dar [1, 2]. Mittlerweile wurde die erste Generation der Knorpelzelltransplantation mit einer Zellsuspension unter einem autologen Periostlappen weiterentwickelt, sodass der Eingriff weichteilschonender und technisch vereinfacht wurde. Zudem konnte die revisionspflichtige Rate der verfahrensspezifischen Regenerathypertrophie signifikant reduziert werden [3, 4]. In diesem Artikel sollen die Indikationen bzw. Behandlungsmöglichkeiten als auch deren Grenzindikationen von Knorpel-Knochen-Rekonstruktionen am Kniegelenk zusammengefasst werden. Zusätzlich werden Fallbeispiele aufgeführt, um die einzelnen Optionen praxisnah darzustellen.
Knorpelschäden sollten in traumatische und degenerative Läsionen unterteilt werden, wobei die beginnende von der manifesten Arthrose abzugrenzen ist. Knorpelschäden sind lokalisierte Läsionen, wobei die gegenüberliegende artikulierende Knorpel-Kochen-Oberfläche keine Veränderungen zeigen sollte. In der Praxis ist die Mehrzahl der Knorpelschäden degenerativer Ursache, oder anders gesagt entstanden aufgrund repetitiver Mikrotraumatisierungen auf dem Boden einer biomechanischen Gelenkpathologie oder einer Überlastung, beispielsweise im Rahmen von Leistungssport.
Gerade degenerative Knorpelpathologien dürfen grundsätzlich nicht isoliert betrachten werden: Diese stellen nur die Folge bzw. das Epiphänomen eines zugrundeliegenden Gelenkproblems dar, sodass die Ursache im Kontext der spezifischen Gelenk-Biomechanik analysiert werden muss. Daher wird immer eine detaillierte klinische und bildgebende Untersuchung mit Erfassung der Bandstabilität, Begleitpathologien (im Falle eines Major-Traumas oder repetitiver Mikrotraumatisierungen) das Alignement (Ganzbeinstandaufnahme) und des betroffenen subchondralen Knochens notwendig. Die Ursachen sind unterschiedlich und beinhalten am Knie und Sprunggelenk Achsabweichungen mit und ohne ligamentäre Instabilitäten.
Die Menisci sollten unbedingt in die knorpelrekonstruktiven Überlegungen miteingeschlossen werden, da sie wichtiger Bestandteil der Gelenkkongruenz sind und dadurch den mechanischen Druck der artikulierenden Flächen reduzieren. Eine weitere Entität stellen osteochondrale Läsionen dar, die als Osteochondrosis dissecans (OD) bezeichnet werden, die am häufigsten das Knie und das obere Sprunggelenk betreffen, aber auch am Hüft- und Ellengelenk auftreten können. Diese können entweder traumatisch als Knorpel-Knochen-Flake, akut durch Verletzungen entstehen, sich nach einem Trauma über mehrere Wochen bis Monate entwickeln oder völlig unabhängig idiopathisch bzw. als Ossifikationsstörung auftreten.
Typische isolierte traumatische Knorpelschäden treten häufig im Rahmen eines Distorsionstraumas auf und führen häufig zu Kapselbandläsionen wie beispielsweise Kreuzbandverletzungen am Knie oder Kapselbandrupturen des Sprunggelenks. Gerade zeitnah nach einem Trauma kann man die Unterschiede eines frisch traumatischen Knorpelschadens mit Flake-Ablösung zu einem chronischen Knorpelschaden durch die Mikroblutungen des subchondralen Knochens feststellen. Bei chronischen Prozessen ist die arthroskopische Differenzierung häufig allein nicht möglich, sondern nur mit Kenntnis der Anamnese, der klinischen Untersuchung und Bildgebung. Abbildung 1 zeigt typische traumatische und degenerative Knorpel-Läsionen, als auch beginnende und manifeste arthrotische Prozesse.
Der mikroskopische Knorpelaufbau besteht aus bis zu 80 % Wasser und erlaubt der Gelenkoberfläche ein reibungsarmes Gleiten. Die Knorpelmatrix ist hauptsächlich aus Kollagen Typ II aufgebaut sowie Aggrekan, einem hochmolekularen Proteoglykan. In diese Struktur sind Knorpelzellen eingebettet, wobei man einen gelenkspezifischen Aufbau in Punkto Zellverteilung und Anordnung feststellen konnte. Es verwundert nicht, dass in den Randbezirken von Knorpelschäden die spezifische Knorpelzellverteilung zusammenbricht und pathologischen Prozessen unterliegt, bis hin zu apoptotischen Zellprozessen [5].
Diagnostik
Die Diagnostik beinhaltet neben der klinischen Untersuchung mit Beurteilung der Bandstabilität, der Gelenkbiomechanik sowie des Ganzbein- und patellofemoralen Alignements auch den Ausschluss pathologischer Prozesse des subchondralen Knochens. Dies wird durch die ergänzende MR-Tomografie realisiert, wobei Reiz- bzw. Begleit-Ödeme diagnostisch manchmal nur schwer von eigenständigen OD-Herden abgegrenzt werden können. Wenn der Verdacht einer subchondralen Knochenbeteiligung vorliegt, sollte die CT einen osteolytischen Prozess ausschließen. Die Klassifikation des Knorpelschadens sollte idealerweise nach ICRS-Kriterien erfolgen.
Behandlungsmöglichkeiten
Bei Knorpel-Knochen-Läsionen muss nicht immer operativ interveniert werden. Obwohl Studien zeigen konnten, dass unbehandelte Knorpelschäden zur Größenzunahme neigen, besteht international Konsens darüber, dass lediglich vollschichtige und klinisch symptomatische Knorpelschäden einer operativen Intervention zugeführt werden sollten [6]. Liegt eine OD Grad I oder II vor, kann bei ansonsten ungestörter Biomechanik eine temporäre Entlastung mit Gehhilfen oder am Knie auch mit valgisierenden oder varisierenden Orthesen erfolgen. Zeigt sich jedoch ein relevantes biomechanisches Gelenkproblem, muss dieses ohne Kompromisse im Rahmen der Knorpel-Knochen-Rekonstruktion adressiert werden. In manchen Fällen reicht die chirurgische Normalisierung des Ganzbein- und/oder Patellofemoralen Alignements ohne eigentliche knorpelchirurgische Maßnahme völlig aus, insbesondere bei symptomatischem Knorpelschäden des Grad I und II.