Übersichtsarbeiten - OUP 11/2016

Operative Strategien bei Mehretagenfrakturen des Femurs

Femur-Mehretagenfrakturen können mittels eines sog. All-in-one-Device wie dem langen cephalomedullären Nagel (Abb. 4) behandelt werden [9].

Die Idee dieses Behandlungskonzepts ist, dass das Implantat beide Frakturen überbrückt. Ein Nachteil ist die relative Instabilität des Implantats. Häufig werden zu dünne cephalomedulläre Nägel eingesetzt, die sich nicht ausreichend im Markraum verklemmen. Hinsichtlich der limitierten Verriegelungsoptionen ist die erforderliche Rotationsstabilität häufig nicht gewährleistet. Insbesondere das sog. flotierende Zwischenfragment, das vom Trochanter major zur Schaftmitte reicht und eine stabile Fixierung und Rotationssicherung erfordert, ist bei dieser Fixierungsmethode nicht immer sicher stabilisiert [10]. Bei diesem chirurgischen Verfahren erfordern sowohl die proximale als auch die Schaftfraktur eine präzise anatomische Reposition und korrekte Achs- und Rotationsausrichtung. Dabei ist bei der proximalen Fraktur eine moderate Valgusausrichtung des proximalen Fragments während der Reposition sogar erwünscht. Jegliche Varusabweichung des proximalen Fragments ist dagegen dringend zu vermeiden. Um eine unerwünschte Varusabweichung zu verhindern, kann eine offene Reposition, ggf. unter Zuhilfenahme zusätzlicher Sicherungsoptionen, erforderlich werden. Die knöcherne Heilung setzt eine stabile Fixierung beider Frakturen voraus. Außerdem kann eine Rotationsstabilität des Zwischenfragments, das weder proximal noch distal suffizient fixiert ist, durch die Verwendung von Cerclagen erreicht werden. Voraussetzung für eine solche zusätzliche Anwendung einer Cerclage ist das Vorliegen einer queren oder spiralförmigen Frakturkonfiguration [11, 12]. Alternativ bietet sich eine auxilläre winkelstabile Plattenosteosynthese an [13, 14].

Rendezvous-Technik

Die sog. Rendezvous-Technik verbindet die retrograde Marknagelosteosynthese und die DHS. Sie bietet die Möglichkeit, den Prinzipien des sog. Konzepts der Damage Control Orthopaedics (DCO) folgend eine Zwei-Schritt-Strategie anzuwenden [15]. Dabei wird am Unfalltag die Femurschaftfraktur mit einem externen Fixateur stabilisiert, während die proximale Femurfraktur mit DHS und Antirotationsschraube versorgt wird (Abb. 5).

Nach erfolgreicher Intensivtherapie und Stabilisierung des Patienten wird zweizeitig der Fixateur externe entfernt und der Verfahrenswechsel am Femurschaft auf eine retrograde Marknagelosteosynthese vorgenommen. Der retrograde Marknagel bietet die Möglichkeit einer dynamischen Kompression der Schaftfraktur und kann mit der DHS im Sinne eines Rendezvous kombiniert werden, indem die lateralen proximalen Verriegelungsschrauben für die Fixierung der Platte der DHS verwendet werden (Abb. 6). Die anterior-posteriore Verriegelungsschraube des Nagels ist dabei nicht verlegt, wird ebenfalls besetzt und sichert beide Frakturpartner.

Postoperativ erfolgt eine Röntgenkontrolle des Femurs mit angrenzenden Gelenken in 2 Ebenen. Letztlich soll die postoperative Röntgenkontrolle auch dem Ausschluss einer proximalen Femurfraktur bei stabilisierten Femurschaftfrakturen dienen und muss daher immer auch das Hüftgelenk komplett mit erfassen. Unser Nachbehandlungskonzept sieht die Einhaltung einer Teilbelastung von 20 kg für 6 Wochen vor. Regelmäßige klinische und radiologische Nachkontrollen erfolgen 6 Wochen, 3 und 6 Monate postoperativ. Anschließend können die Nachkontrollintervalle je nach Verlaufsbefund ausgedehnt werden. Die knöcherne Heilung wird radiologisch durch Brückenkallus und Knochentrabekel, die die Frakturlinie überbrücken, in mindestens 3 von 4 Kortikalices sowie klinisch bei beschwerdefreier Vollbelastung nachgewiesen. Mögliche Achsabweichungen oder eine Beinlängenverkürzung werden durch eine Röntgenganzbeinaufnahme sowie eine Rotationsabweichung durch ein Rotations-CT ausgeschlossen. Die elektive Metallentfernung wird in der Regel ein Jahr nach knöcherner Heilung durchgeführt.

Eigene Ergebnisse 2001–2015

Zwischen 2001 und 2015 wurden in unserer Klinik 85 Patienten (63 Männer und 22 Frauen) mit ipsilateraler Femur-Mehretagenfraktur behandelt. Das Durchschnittsalter betrug 44 Jahre. In allen Fällen war der Unfallmechanismus ein Hochenergietrauma (35 Autounfälle, 32 Motorradunfälle, 18 Stürze > 3 m). Eine Polytraumatisierung lag in 69 Fällen und ein Monotrauma in 16 Fällen vor. Die Schockraumbehandlung aller Patienten wurde anhand der ATLS-Richtlinien durchgeführt [16]. Alle Patienten erhielten ein Ganzkörper-CT inklusive CT-Darstellung der verletzten unteren Extremität. 42 Patienten wurden mit dem All-in-one Device behandelt, 16 Patienten mit der Rendezvous-Technik und 37 Patienten mit der konventionellen Technik mit 2 nicht überlappenden Implantaten. Bei 48 der 85 Patienten wurde eine zweizeitige Strategie angewendet, während bei 37 Patienten ein einzeitiges Verfahren durchgeführt wurde. Bei zweizeitigem Vorgehen erfolgte die definitive Osteosynthese durchschnittlich 5 Tage nach der Initialtherapie.

Die vollständige Frakturheilung 2 Jahre nach Trauma wurde bei 72 von 85 Patienten festgestellt. Als relevante Komplikation zeigte sich die Pseudarthrosenentwicklung einer der Frakturen, wobei sich wie beim klinischen Verlauf gemäß Friedman und Wyman Score [17] keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Gruppen ergaben.

Diskussion

Ipsilaterale Femur-Mehretagenfrakturen werden im Allgemeinen durch Hochgeschwindigkeits- bzw. Hochenergietrauma ausgelöst. Die erhebliche Krafteinleitung erfolgt in der Regel entlang des Femurschafts und verursacht eine Fraktur klassischerweise im 3. und 4. Schaftfünftel. Die Kraft schreitet in das proximale Femur fort und verursacht häufig eine vertikale Frakturlinie im basozervikalen Übergang ohne Dislokation der Frakturfragmente. Dabei treten Schenkelhalsfrakturen im Vergleich zu trochantären Frakturen im Verhältnis 9 : 1 auf. Für die operative Strategie ist es entscheidend zu verstehen, dass das Intermediärfragment zwischen der proximalen Fraktur und der Schaftfraktur den sog. floating part darstellt. Dieses Zwischenfragment erfordert eine stabile Fixierung und absolute Rotationsstabilität. Die Stabilisierung dieser Verletzungen ist ein Notfalleingriff. Analog zur Behandlung aller Mehretagenfrakturen an Extremitäten wird auch hier empfohlen, die Frakturstabilisierung von distal nach proximal durchzuführen. Wenn die Schenkelhalsfraktur disloziert ist, sollte die chirurgische Therapie der Wahl primär die Stabilisierung der Schaftfraktur und sekundär der Schenkelhalsfraktur sein. Die stabilisierte Schaftfraktur ermöglicht die sichere Reposition der verschobenen proximalen Fraktur.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4