Übersichtsarbeiten - OUP 05/2024
Operative Therapie der Arthrofibrose des KniegelenksVoraussetzungen, Planung und operative Strategien
Michael Jagodzinski, Veit Krenn, Philipp Traut
Zusammenfassung:
Die Arthrofibrose des Kniegelenks gilt als schicksalhafte Erkrankung mit hohen Rezidivraten mit einer Inzidenz von 2,5–10 % nach Implantation einer Knie-TEP. Bei fehlender Diagnose entwickeln sich häufig chronische Bewegungseinschränkungen mit oder ohne Schmerz mit Symptomen eines chronisch regionalen Schmerzsyndroms (CRPS). Ziel ist daher die frühzeitige Diagnose und die Unterbindung von schmerzhafter Physiotherapie. Erst im chronischen Stadium mit reduziertem Schmerz ist eine chirurgische Therapie zu erwägen. In Frage kommen hier die Wiedereröffnung des oberen Recessus, Entfernung von Narbengewebe aus dem anterioren Gelenk sowie eine dorsale Kapseldurchtrennung. In ausgeprägten Fällen kann eine Verschiebung des Streckapparates (Tuberositasosteotomie) bis hin zu einer stufenweisen Ablösung des Extensorenapparates (OP nach Judet) erforderlich sein. Der Wechsel der Endoprothese ist vor dem Hintergrund der geringeren Standzeiten eines Wechselimplantats restriktiv zu indizieren. Die Nachbehandlung muss die schmerzhafte Physiotherapie ebenso vermeiden wie eine Fokussierung nur auf das Kniegelenk. Häufig müssen die Rahmenbedingungen (Lymphödem, Muskelentspannung, psychische Begleitfaktoren) behandelt werden. Auch unter optimalen Bedingungen sind die Therapieerfolge eingeschränkt und eine restitutio ad integrum ist bei Arthrofibrose nach Knieendoprothese nicht zu erwarten.
Schlüsselwörter:
Arthrofibrose, Kniegelenk, Arthrolyse, Bewegungseinschränkung, KTEP
Zitierweise:
Jagodzinski M, Krenn V, Traut P: Operative Therapie der Arthrofibrose des Kniegelenks. Voraussetzungen, Planung und operative Strategien
OUP 2024; 13: 246–250
DOI 10.53180/oup.2024.0246-0250
Summary: Arthrofibrosis of the knee is regarded a fateful disease with high recurrence rates and an incidence of 2.5–10 % after total knee arthroplasty. If the diagnosis is missed, there is a high chance of developing a stiff joint with tenderness leading up to chronic pain, or a complex regional pain syndrome (CRPS). Therefore, early diagnosis and treatment are crucial in order to avoid such circumstances. The most important goal is to discontinue painful physiotherapy. In a chronic state with limited pain, surgical revision may be considered. The surgical goal is dependent on the localization of fibrotic tissue. The superior recess must be reopened and a cyclops in the intercondylar notch can be removed. Patella baja can be treated by resection of scar tissue or tibial tuberosity transfer. A Judet procedure is hardly necessary in localized cases. From the German Endoprothetic Register (EPRD) there is evidence that a total knee revision should be avoided whenever possible. Rehabilitation programs must adjust to the pain and stiffness symptoms of the patients. Even with optimum treatment strategies, the long term results of these adverse conditions remain limited.
Keywords: Arthrofibrosis, total knee replacement, arthrolysis, limited range of motion, TKR
Citation: Jagodzinski M, Krenn V, Traut P: Operative therapy of arthrofibrosis of the knee joint. Prerogatives, planning and execution
OUP 2024; 13: 246–250. DOI 10.53180/oup.2024.0246-0250
M. Jagodzinski: Agaplesion Ev. Klinikum Schaumburg, Obernkirchen
V. Krenn: Pathologie Trier, Wissenschaftspark Trier
P. Traut: Praxis für orthopädische Beratung und Begutachtung, Bad Oeynhausen
Bedeutung der Arthrofibrose
Definition und Ursachen
Die Arthrofibrose ist gekennzeichnet durch eine pathologische Vermehrung von Bindegewebszellen (Fibrozyten) durch eine abnorme Wundheilung nach Gewebeschädigung oder Operation [6]. Dies verursacht einen erheblichen Funktionsverlust bei Tätigkeiten im täglichen Leben. Das Bindegewebe kann lokalisiert, z.B. im vorderen Gelenk nach Kreuzband-OP oder generalisiert, in der Regel nach Knie-Totalendoprothese, einwachsen [26] und dort die schweren Funktionseinschränkungen und eine außergewöhnliche Gehbehinderung verursachen. Die Ätiologie kann dabei traumatisch, postinfektiös, postoperativ oder idiopathisch sein. Von der Arthrofibrose abgegrenzt werden müssen Bewegungseinschränkungen anderer Ursache, wie eine anterior platzierte VKB-Rekonstruktion [10] oder Knieendoprothesen mit ungenügender Abstimmung von Streck- und Beugespalt [2], hoch gewähltem Inlay zur Kompensation einer Bandinstabilität [22]oder ungenügender Abstimmung des Patellofemoralgelenks mit Overstuffing [18]. Häufig können diese Pathologien auch mit einer Gelenkfibrosierung einhergehen [1], so dass sowohl eine operative Revision durchgeführt als auch die Arthrofibrose behandelt werden müssen.
Diagnose
Klinische Symptome
Die Entstehung einer Arthrofibrose fällt neben der Bewegungseinschränkung durch ein Engegefühl des Gelenks, häufig Schraubstock ähnlich, Überwärmung und Schmerz, vor allem nach erfolgter Physiotherapie, auf [16, 30]. Patientinnen und Patienten erreichen häufig die geforderte Beweglichkeit mit einer Extension/Flexion von 0–0–90 Grad nicht. Frühzeitig durchgeführte Maßnahmen wie Narkosemobilisierung und Schmerzkatheteranlage, Verordnung einer elektrischen Bewegungsschiene wurden zwar in der Literatur als zielführende Maßnahmen beschrieben [26], führen aber häufig nicht zur Verbesserung, sondern zur Frustration mit Ausbildung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms, engl. Complex Regional Pain Syndrome (CRPS), mit Allodynie, Temperaturdifferenz, Haar- und Nagelwachstumsstörungen [5, 20, 26]. Die Budapest-Kriterien waren im eigenen Patientengut bei knapp 30 % der Betroffenen zumindest für einen Zeitraum von mehreren Monaten erfüllt. Ohne Diagnosestellung und durch Ignorieren von Befunden werden aber schmerzhafte Behandlungen häufig fortgesetzt, das CRPS verstärkt sich und die Gelenksteife und der Funktionsverlust nehmen zu [3].
Bildgebung
Eine Arthrofibrose stellt sich im Röntgenbild erst im fortgeschrittenen Stadium in Form von Ossifikationen und Patella baja dar [11]. Bei einem CRPS kann es zur lokalen Osteopenie kommen, die Skelettszintigrafie zeigt in der Meta-Analyse die höchste Sensitivität in der Bildgebung [4]. Im MRT ist im Frühstadium eine Verdickung der Synovialis, Veränderungen an Hoffa-Fettkörper und Patella und geringer Gelenkerguss darstellbar. Im Falle eines Zyklops sind Transplantatschäden und Gewebsödem an der vorderen Kreuzbandplastik erkennbar [12]. Im späten Stadium sind in der Regel nur straffes Bindegewebe, eine narbige Ummauerung der Patella und andere Teile der Synovialis, sowie eine Schrumpfung des Hoffa-Fettkörpers mit Patella baja sichtbar [11]. Sonografisch kennzeichnet die Frühphase eine Hyperämie mit Gewebsödem, die Spätphase geringen Gelenkerguss, Immobilisierung der Patella mit fehlender Gleitschicht im oberen Recessus und darstellbarer Vernarbung [17]. Die Arthrofibrose kann sich dabei in 4 Kompartimenten, bis hin zur Muskulatur des Oberschenkels, ausbilden (Abb. 1).