Übersichtsarbeiten - OUP 12/2013
Osteosyntheseverfahren in der Kinder- und Jugendtraumatologie
Bei der Frakturart, die bei der Frakturbehandlung im Wachstumsalter eine besondere Rolle spielt, unterscheidet man zwischen stabilen und instabilen Frakturen. Stabile Frakturen können zumeist konservativ behandelt werden, instabile Frakturen eher operativ, da diese nicht selten sekundär dislozieren. Sobald bei der Behandlung kindlicher Frakturen eine Narkose erforderlich wird, sollte das primäre Behandlungsregime das definitive sein, um weitere Interventionen wie erneute Nachrepositionen oder Verfahrenswechsel zu vermeiden [5, 9, 10, 23].
Die so genannte „Bowing fracture“ stellt eine besondere Frakturart dar. Sie ist häufig mit schlechten funktionellen Ergebnissen und geringem Korrekturpotenzial verbunden. Das Verfahren der Wahl ist hier die geschlossene Reposition und Osteosynthese mittels ESIN.
Die Frakturlokalisation
Das Behandlungsregime von Frakturen im Bereich der oberen Extremität unterscheidet sich deutlich von dem Behandlungsregime der unteren Extremität, und ob jeweils die Epiphyse, Diaphyse oder Metaphyse eines Knochens betroffen ist. Bei Epiphysenfrakturen mit Beteiligung der Gelenkflächen werden Gelenkstufen nur bis zu einer Größe von maximal 2 mm akzeptiert. Es ist zu beachten, dass es sich hierbei um einen Richtwert handelt, der auf keinerlei Evidenz basiert [2]. Bei Diaphysenfrakturen ist es wichtig, die Belastungsachse wieder zu rekonstruieren, und bei Metaphysenfrakturen die Gelenkachse [28]. Darüber hinaus besteht in verschiedenen Knochensegmenten wie z.B. am proximalen Humerus ein erhebliches Korrekturpotenzial, sodass bei Verletzungen in diesem Bereich Fehlstellungen bis zu einem gewissen Grad tolerierbar sind [5, 13].
Die Rahmenbedingungen
Nicht selten beeinflussen gewisse Rahmenbedingungen das Behandlungsregime von Frakturen im Wachstumsalter. So haben mehrere Studien gezeigt, dass Pseudarthrosen und postoperative Komplikationen häufiger in Krankenhäusern auftreten, in denen kindliche Frakturen im Vergleich seltener pro Jahr behandelt werden [22, 23]. Auch die Erfahrung des behandelnden Arztes spielt eine wichtige Rolle, da es bei der Anwendung verschiedener Verfahren eine Lernkurve gibt. Immer häufiger ist zu beobachten, dass z.B. Unterarmfrakturen operiert werden, die konservativ mittels Gipskeilung behandelt werden könnten, da nur noch wenige Ärzte und Pflegekräfte in der Durchführung dieses Verfahrens geübt sind [5].
Eher eine untergeordnete Rolle spielen bei Kindern und Jugendlichen der Unfallmechanismus und die Anzahl der Frakturfragmente [30]. Trotz alledem wird in den letzten Jahren ein Trend auffällig, dass durch neue Sportarten und -ausrüstungen sowie Veränderungen im Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen Frakturen bei jüngeren Patienten auftreten, die vor Jahren noch im höheren Jugendlichenalter beobachtet wurden. Die Frakturen sind komplexer geworden, sodass zur Versorgung dieser Verletzungen ganz neue Therapieansätze erforderlich werden [23].
Die Wahl des Osteosyntheseverfahrens
Sobald der Entschluss zu einem operativen Therapieregime getroffen wurde, muss die Wahl des Osteosyntheseverfahrens erfolgen. Dieses sollte nach kindertraumatologischen Prinzipien gewählt werden, d.h. suffizient und möglichst weichteilschonend sein sowie in korrekter Relation zum Frakturausmaß stehen. Abbildung 1 zeigt ein negatives Beispiel einer operativ versorgten kindlichen distalen Unterarmfraktur. Die Wahl des Implantats im Bereich des Radius und der Zugangsweg sowie der hiermit verbundene Weichteilschaden stehen in keinem Verhältnis. Des Weiteren wurde hier gleichzeitig scheinbar unwis-sentlich eine temporäre Epiphysiodese der distalen Wachstumsfuge durchgeführt. Im Bereich der Ulna erfolgte eine K-Draht-Stabilisierung. Hier ist zu beachten, dass die Versorgung der distalen Ulnafraktur in diesem Bereich meist nicht notwendig ist. Weiterhin ist zu erwähnen, dass durch das Einbringen des Osteosynthesematerials an der Ulnaspitze nicht selten Wachstumsstörungen provoziert werden.
Zur Behandlung von Frakturen im Kindes- und Jugendalter stehen folgende minimalinvasive Verfahren zur Verfügung [5]:
- Kirschner-Draht-Stabilisierung,
- elastisch stabile intramedulläre Nagelung (ESIN),
- Fixateur externe Stabilisierung,
- Schraubenosteosynthese,
- lateraler Femurnagel für Jugendliche (adolescent lateral femoral nail (ALFN)).
Im Weiteren wird auf die Beschreibung von Ausnahmeindikationen einzelner Verfahren wie z.B. die Plattenosteosynthese bei Korrektureingriffen verzichtet.
Die Kirschner-Draht-Stabilisierung
Das Verfahren der Kirschner-Draht(K-Draht)-Stabilisierung wurde bereits 1920 von Dr. Martin Kirschner entwickelt und wird bis heute eingesetzt. Bei der K-Draht-Stabilisierung werden Drähte aus Edelstahl oder Titan mit einer Stärke von 0,5–3 mm verwendet. Die Drähte werden transkutan eingebracht und können die Knochenfragmente punktuell erfassen. Hierbei werden die Fragmente nur adaptiert und keine Kompression auf die Fraktur ausgeübt. Durch die Flexibilität der Drähte und dem dadurch entstehenden Risiko sind die Frakturen nicht übungsstabil. Dies macht eine zusätzliche Ruhigstellung im Gips erforderlich. Die Drähte werden meist für 4–6 Wochen in situ belassen [29]. Die K-Drähte sollten vor allem am distalen Humerus und am distalen Radius über einen kleinen Hautschnitt eingebracht werden, um das Risiko einer Sehnen- und/oder Nervenirritation so gering wie möglich zu halten [21]. Falls die Fraktur nur mittels K-Draht-Osteosynthese durch die Fuge stabilisiert werden kann, sollten die Anzahl und Stärke der Drähte so gering wie möglich gewählt werden und insbesondere die Anzahl der Bohrversuche minimiert werden. Eine Wachstumsstörung wird jedoch eher durch das Ausmaß der verletzten Fuge, als durch den hier kurzzeitig einliegenden K-Draht [1] bestimmt. Die Drähte können über dem Hautniveau belassen werden, sodass bei der Metallentfernung meist keine erneute Narkose notwendig ist [10, 21]. Bei beidseits eingebrachten K-Drähten dürfen diese aus Stabilitätsgründen nicht auf Frakturhöhe kreuzen.
Mögliche Indikationen zur Frakturstabilisierung mittels K-Draht sind:
- Epiphysiolysen- und Epiphysenfrakturen,
- metaphysäre Frakturen,
- supracondyläre Humerusfraktur (Verfahren der Wahl) (Abb. 2).
Es wird empfohlen, Frakturen, auf die muskuläre Kräfte wirken, wie die Condylus-radialis-Fraktur, nicht mittels K-Drähten zu stabilisieren. Ebenso hat sich bei Oberarmkopffrakturen mit entsprechender Indikation die ESIN im Gegensatz zur K-Draht Stabilisierung bewährt [5].