Übersichtsarbeiten - OUP 02/2020

Periprothetische Acetabulumfrakturen

Aufgrund der oft notwendigen osteosynthetischen Stabilisierung des hinteren Pfeilers ist entsprechend meistens ein hinterer Zugang erforderlich. Neuere, intrapelvine Zugänge erlauben eine gute Situssicht und eine gewebeschonende Versorgung. Obligat ist in jedem Fall auch immer die intraoperative Stabilitätsprüfung der femoralen Komponente sowie der Hüftkopfwechsel bei durchzuführendem Pfannenwechsel. Liegen acetabuläre Knochendefekte vor, ist eine Defektadressierung gemäß Paprosky et al. zu empfehlen [17]. Generell werden „contained“ Defekte eher mit autologem oder allogenem Knochen aufgefüllt und „uncontained“ Defekte wie auch solche in der Hauptbelastungzone mit Allograft oder Augmenten stabilisiert. Des Weiteren ist im Revisionsfall die zementfreie der zementierten Versorgung vorzuziehen [17]. Neben den dargestellten etablierten Systemen gibt es mittlerweile auch Ansätze, Patienten individuelle Implantate einzusetzen, um eine wenig invasive Option zur Pfannenlagerwiederherstellung zu nutzen und ggf. auf eine Reposition der eigentlichen Fraktur zu verzichten [25]. Die Erfahrung mit einer solchen Technik ist aktuell jedoch noch als begrenzt zu werten.

Es ist des Weiteren wichtig, im Rahmen der Therapieplanung nachzuvollziehen, inwiefern es sich um eine schleichende Frakturgenese oder rein traumatologische Frakturentstehung handelt, um den verbleibenden Knochenstockanteil bzw. das biologische Integrationspotential und Heilungspotential der Diskontinuität richtig einzuschätzen [27]. Das Prinzip der Kompression mittels Osteosynthese ist für die klassische Fraktur anzuwenden, wohingegen bei der chronischen Instabilität mit reduzierter Knochenqualität auf Distraktion gesetzt wird (Tab. 2). Dies ist mittels Cup-and-Augment, Cage-and-Augment oder Cup-Cage-Konstrukten erzielbar, die mittlerweile meistens aus Biomaterialien wie Tantal oder trabekulärem Titan bestehen, die eine effiziente ossäre Integration ermöglichen [2]. In der Literatur zur Zeit am aktuellsten verfügbaren Fallserie von Hickerson et al. werden verschiedene Therapieprinzipen angewandt [13]. Rogers et al. stellten außerdem für die Beckendiskontinuität einen guten Behandlungsalgorithmus zusammen [26]. Hierbei sollte man auch die Möglichkeit einer zweizeitigen Versorgung im Hinterkopf haben, die zunächst eine reine Frakturkonsolidierung erlaubt, wenn bei der Erstversorgung aufgrund reduzierter Knochenqualität keine rigide und stabile acetabuläre Konstruktion möglich ist [2].

Verschiedene Autoren haben bisher versucht, die bisher rare Entität der periprothetischen Acetabulumfrakturen samt Entscheidungsfaktoren und Therapieprinzipien algorithmisch zusammenzufassen. Masri et al. orientierten sich 2004 ähnlich wie Peterson und Lewallen zunächst an der Stabilität der Pfanne, um dann abhängig von der Frakturdislokation im stabilen Fall und dem Knochenstock im instabilen Fall das weitere Vorgehen festzulegen [16]. Pierce et al. orientierten sich an der Paprosky-Klassifikation und Potty et al. wiederum an Helfet et al [23, 24]. Simon et al. präsentierten 2015 einen umfassenden, auf dem Entstehungsmechanismus und Frakturtyp beruhenden Behandlungsalgorithmus [30] ( Abb. 1). Die aktuellste Klassifikation und Handlungsempfehlung wurde von Pascarella et al. 2018 publiziert (Tab. 1) und kombiniert die Vorteile der o.g. relevanten Algorithmen von Masri bzw. Simon et al. (Abb. 2).

Fallbeispiel

80-jähriger Patient mit periprothetischer Acetabulumfraktur rechts nach Stolpersturz auf die Hüfte. In der präoperativen Röntgen- und CT-Diagnostik zeigt sich eine Pfannenlockerung und die Frakturausdehnung in den hinteren Pfeiler sowie der Z.n. Beckenringfraktur. Bei insgesamt reduzierter Knochenqualität erfolgte die Versorgung mit einer modularen Kranialzapfenpfanne. Die postoperative Röntgenkontrolle (Beckenübersicht, Hüfte axial, Ala- und Obturatoraufnahme) zeigt die erfolgte Rekonstruktion des Hüftgelenkes (Abb. 3–5).

Zusammenfassung

und

Schlussfolgerung

Periprothetische Acetabulumfrakturen sind seltene, jedoch zunehmende Verletzungen, die ein oft multimorbides und geriatrisches Patientenkollektiv betreffen. Man unterscheidet intraoperative von postoperativen Frakturen, die entweder traumatisch akut bedingt sind oder z.B. assoziiert mit vorbestehenden Osteolysen im Rahmen von Niedrigenergietraumata im Sinne von Insuffizienzfrakturen auftreten können. Die Diagnostik sollte immer eine Röntgen- als auch eine CT-Bildgebung umfassen und ggf. durch einen Infektausschluss bei entsprechender Anamnese ergänzt werden. Das zu wählende Behandlungskonzept sollte verschiedene Faktoren beachten. Hierzu zählen Frakturdislokation, Implantatstabilität, Knochenqualität, funktioneller Patientenanspruch sowie Erfahrung in Acetabulumchirurgie als auch Revisionsendoprothetik des chirurgischen Teams inklusive Verfügbarkeit eines entsprechenden Implantatportfolios. Die konservative Therapie kommt selten zum Einsatz. Operativ spielt die in der Regel osteosynthetische Stabilisierung der hinteren Säule eine tragende Rolle sowie die Erzielung einer adäquaten Pfannenfixierung in einem stabilen Pfannenwiderlager. Hierbei kommen meist dorsale Zugänge zum Einsatz. Die herausfordernde Versorgung periprothetischer Acetabulumfrakturen sollte an einem spezialisierten Zentrum erfolgen.

Interessenkonflikt:

Keine angegeben

Literatur

1. Ates DM, Koenen P, Otchwemah R, Bathis H: Periprosthetic fractures of the acetabulum and femur: Causes – classification – treatment algorithms. Der Orthopäde 2019; 48: 322–9

2. Benazzo F, Formagnana M, Bargagliotti M, Perticarini L: Periprosthetic acetabular fractures. International orthopaedics 2015; 39: 1959–63

3. Berry DJ, Lewallen DG, Hanssen AD, Cabanela ME: Pelvic discontinuity in revision total hip arthroplasty. The Journal of bone and joint surgery. American volume 1999; 81: 1692–702

4. Callaghan JJ: Periprosthetic fractures of the acetabulum during and following total hip arthroplasty: Instr Course Lect. 1998; 47: 231–5

5. Callaghan JJ, Kim YS, Pederson DR, Brown TD: Periprosthetic fractures of the acetabulum. The Orthopedic clinics of North America 1999; 30: 221–34

6. Dammerer D, Putzer D, Glodny B, et al.: Occult intra-operative periprosthetic fractures of the acetabulum may affect implant survival: International orthopaedics 2019; 43: 1583–90

7. Davidson D, Pike J, Garbuz D, Duncan CP, Masri BA: Intraoperative periprosthetic fractures during total hip arthroplasty: evaluation and management. The Journal of bone and joint surgery. American volume. 2008; 90: 2000–12

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