Übersichtsarbeiten - OUP 03/2020
Radiologische Diagnostik und Klassifikationen femuropatellarer Dysplasien
Alternative Methoden zur Bestimmung der vertikalen Patella-Lage bestehen beispielsweise via Caton-Deschamps-Index und Blackburne-Peel-Index. Bei der Methode nach Caton-Deschamps wird der Quotient aus der Länge der Patellagelenkfläche (Facies dorsalis patellae) und der Distanz zwischen Unterrand der Patellagelenkfläche und der ventralen oberen Knochengrenze der Tibia gebildet. Im Gegensatz zum Insall-Salvati-Index muss somit nicht die Insertionsstelle des Ligamentum patellae identifiziert werden, was die Robustheit und Reproduzierbarkeit dieser Verfahren steigert [8].
Horizontale Patellaposition (Axiale lineare Verschiebung und Patella-Shift)
Die horizontale Position der Patella bestimmt maßgeblich die patellofemorale Gelenkfläche. Hierbei handelt es sich um das Gleitlager, in welchem die Patella gegenüber der Trochlea femoris bewegt wird. Die einfachste Methode zur Bestimmung der horizontalen Patellaposition, besteht in der Messung der axialen linearen Verschiebung (Abb. 2A). Hierzu zeichnet man auf einer axialen Röntgenaufnahme oder im Axialschnitt (MRT/CT) zunächst eine Gerade durch die höchsten Punkte medialen und lateralen Femurkondyle (T, U). Anschließend werden zwei dazu senkrechte Geraden (i) durch den tiefsten Punkt der Trochlea femoris (S) und (ii) durch den tiefsten Punkt des Patellafirsts (F) gezogen. Die Distanz (d) zwischen den beiden Senkrechten wird definiert als die axiale lineare Verschiebung. Der Normbereich wird in der Literatur mit d ? 2 mm angegeben [8].
Zur Bestimmung der horizontalen Patellaposition hat sich darüber hinaus die Messung des patellofemoralen Kongruenzwinkels bewährt (Abb. 2B). Der patellofemorale Kongruenzwinkel ist primär abhängig vom lateralen Patella-Shift sowie von der Form von Patella und Trochlea femoris. Um ihn zu ermitteln, bestimmt man zunächst in axialer Schichtführung, respektive auf einer axialen Röntgenaufnahme, den tiefsten Punkt der Trochlea femoris (S) sowie die höchsten Punkte medialen und lateralen Femurkondyle (T, U). Die Geraden, welche durch Verbindung der Punkte ¯ST und ¯SU resultieren, bilden den Sulcuswinkel (s.u. Trochlea-Dysplasie). Der Winkel zwischen der Winkelhalbierenden des Sulcuswinkels (Abb. 2, dunkelblaue Linie) und der Verbindungslinie vom tiefsten Punkt der Trochlea (S) und des Patellafirsts (F) wird definiert als der Patellofemorale Kongruenzwinkel ? (Abb. 2B). Ein patellofemoraler Kongruenzwinkel von ? > +16° gilt als pathologisch; der Mittelwert beträgt ? = –6° [10].
Verkippung der Patella
(Patella-Tilt)
Ein gebräuchliches Maß für die Verkippung der Patella in der Horizontalebene (Tilt) ist die Bestimmung des lateralen patellofemoralen Winkels nach Laurin (Abb. 3) [11]. Hierzu zeichnet man auf einer axialen Röntgenaufnahme oder im Axialschnitt (MRT/CT) zunächst eine Gerade durch die höchsten Punkte medialen und lateralen Femurkondyle (T, U). Der Winkel zwischen der Geraden durch die Punkte ¯UT und der Geraden entlang der lateralen Patellafacette wird definiert als der patellofemorale Winkel nach Laurin (?). Ein nach lateral geöffneter Winkel gilt als normal (Abb. 2A), hingegen ein nach medial geöffneter Winkel (Abb. 2B) oder ein paralleler Verlauf der beiden Geraden als pathologisch. Letztgenannte begünstigen eine Instabilität der Patella.
Patella-Form
(Klassifikation nach Wiberg)
Die Patella ist scheibenförmig, in a.p.-Projektion dreieckig und wird häufig nach der Wiberg-Klassifikation hinsichtlich ihrer Form eingeteilt (Abb. 4) [12]. Die Klassifikation nach Wiberg beschreibt im Wesentlichen die Asymmetrie der medialen und lateralen Facette der Patella in der axialen Schicht. Die Facies lateralis ist dabei in der Regel ausgedehnter als die Facies mediales und reicht weiter nach kranial. Je höher die Wiberg-Klasse, desto ausgeprägter ist die Asymmetrie der Facetten (Tab. 2). Die Typen I, II und III nach Wiberg gelten als nicht pathologisch. Ferner wurde durch Baumgartl die nicht-pathologische Kategorie Typ II/III ergänzt, um Kniescheiben eindeutig zuordnen zu können, deren kleinere, mediale Facette weder konkav noch konvex, sondern plan ist [13]. Die Wiberg Typ IV-Kategorie gilt als pathologische Konfiguration und Sonderform der Patelladysplasie [14]. Auch eine eher flache, z.B. halbmondförmige Konfiguration der Patella (Wiberg Typ IV Sonderform) kann einen stabilen Lauf im Gleitlager beeinträchtigen.
Besondere Formen der
Patella-Fehlbildung
Die häufigste Fehlbildung der Patella ist die sogenannte Patella partita (geteilte Kniescheibe), die in der Entwicklung durch eine unzureichende Verschmelzung der Knochenkerne entsteht und erstmals im Jahre 1883 vom Petersburger Anatomen Wenzel Gruber beschrieben wurde [15]. Meist resultieren daraus 2 knorpelig getrennte Ossifikationszentren (Patella bipartita), jedoch sind auch 3 oder multiple Ossifikationszentren (Patella tri- respektive multipartita) möglich. Eine Patella partita verursacht nicht zwingend klinische Beschwerden und wird daher häufig als Zufallsbefund diagnostiziert. Insbesondere beim konventionellen Röntgenbild sollte beim V.a. Patellafraktur differentialdiagnostisch an eine Patella partita gedacht werden.
Verschiedene Faktoren können zudem zu einer erworbenen „Patella Magna“ führen. So sind beispielsweise Infektionen und Traumata (mit oder ohne Fraktur) häufige Ursachen. Zudem kann eine Verkalkung des patellofemoralen Bandes den falschen Eindruck einer Patellavergrößerung erwecken. Gleiches gilt für mediale und laterale Osteophyten. Eine kongenitale Patellahyperplasie ist sehr viel seltener und ist wie folgt definiert: Die Patellagrenzen überschreiten die medialen und lateralen Ränder des Sulcus trochlearis, sodass die Patella zu groß für die Gleitschiene ist [16].
Daneben existieren u.a. seltenere Formen der Patella-Aplasie und -Hypoplasie. Das “small patella syndrome” (SPS), auch bekannt als Scott-Taor-Syndrom, ist eine seltene autosomal-dominant vererbte Krankheit, die durch eine Hypoplasie der Patellen und verschiedene Anomalien des Beckens und der Füße assoziiert ist. Dieses Syndrom wurde erstmals 1979 von Scott und Taor beschrieben [17].