Originalarbeiten - OUP 04/2012

Rapid Recovery – ein innovativer Ansatz für Patienten in der Schulterendoprothetik
Rapid Recovery – an innovative approach for patients
in shoulder arthroplasty

Das zentrale Merkmal des Rapid Recovery-Ansatzes ist ein zusammenhängendes und indikationsorientiertes Organisationdesign der prä-, peri- und postoperativen Versorgung, das durch die Schritte Prozessoptimierung, klinische Verbesserungen, Evaluation und Gesundheitskommunikation gekennzeichnet ist [20]. Damit orientiert sich der Rapid Recovery-Ansatz an der Nutzenerwartung des Patienten, indem jeder der Schritte einen spezifischen Patientennutzen adressiert.

Tabelle 1 zeigt die wesentlichen Elemente des Rapid Recovery-Ansatzes aus der Perspektive der Behandelnden und den daraus resultierenden Nutzen für die Patienten.

Die verschiedenen Schritte des Rapid Recovery-Programms stehen nicht singulär neben oder übereinander, sondern sind in ihren Wirkungszusammenhängen untereinander zu betrachten. Das bedeutet, dass die Prozessoptimierung (Schritt 1) die Grundlage für die kontinuierlichen klinischen Verbesserungen (Schritt 2) bildet. Auch bedarf es einer ständigen Evaluation (Schritt 3) um festzustellen, ob Erneuerungen oder Änderungen bei den klinischen Verbesserungen überhaupt zu den gewünschten Ergebnissen führen. Die Erhebung von Qualitätscores ist ein wichtiger Bestandteil, um darauf aufbauend eine glaubwürdige Gesundheitskommunikation (Schritt 4) sicherzustellen [21].

Prozessoptimierung

Die Grundlage für die Etablierung des Rapid Recovery-Ansatzes bildet die Optimierung der Behandlungsprozesse der Schulterpatienten anhand folgender Prinzipien:

Patient als Partner der Behandlung

Interdisziplinäres Behandlungsteam

Evidenzbasierte und sektorübergreifende Protokolle

Gruppendynamik und Frühmobilisierung

Die umfangreiche Vermittlung von Informationen und Aufklärung des Patienten rund um alle seine Behandlungsschritte stellt ein wesentliches Kernelement des Rapid Recovery Programms dar. Der Patient wird für die Behandlung motiviert sowie aktiviert und damit zum Partner der Behandlung, der durch sein Wissen, seine Einstellung und sein Verhalten eigenverantwortlich zur Genesung beiträgt [22]. Das Ziel während der gesamten Behandlung ist, die Patientensouveränität zu stärken und den Patienten in die Lage zu versetzen, sich selbst zu helfen sowie sein Ergebnis der Behandlung nachhaltig zu sichern. Durch eine Patientenschule (Endoprothesenschule), die eine Woche vor der Operation stattfindet, wird der Patient bestmöglich für die Behandlung aktiviert [23], was sich nach Yoon et al [24] signifikant auf die Verweildauer auswirkt.

Die Optimierung der Behandlungsprozesse kann nur stattfinden, wenn alle Anwender über ein gemeinsames Verständnis des gesamten Behandlungsverlaufs verfügen [25]. Ein interdisziplinäres Behandlungsteam [26, 22], bestehend aus Operateuren, Anästhesisten, Pflege, Physiotherapie, Sozialdienst etc., trifft sich daher regelmäßig, um sich über die Organisation des Behandlungsablaufes auszutauschen und nach weiteren Optimierungspotentialen zu suchen. Die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses sowie einer gemeinsamen Sprache über den gesamten Behandlungsprozess erfolgt auf Basis von evidenzbasierten Protokollen, die kontinuierlich an den aktuellen Stand der medizinischen, pflegerischen und physiotherapeutischen Forschung sowie im Abgleich mit praktischen Erfahrungen angepasst werden. Für den Schulterpatienten wird dadurch eine einheitliche Kommunikation und somit eine Behandlungs- und Ablaufsicherheit in jeder Interaktion mit den Anwendern vermittelt.

Das Rapid Recovery-Programm setzt neben der Schulung des Patienten auch auf die positive Wirkung von Gruppendynamik [27]. Es werden Patientengruppen von bis zu 6 Personen gebildet, die gemeinsam aufgenommen, operiert und mobilisiert werden. So erfolgt die Aufnahme einer Patientengruppe am gleichen Tag und auch Physiotherapieübungen werden gemeinsam durchlaufen. Ein Gemeinschaftsraum dient der Gruppe als Übungs- und Essensraum. So wird jede selbstständige Aktivität des Patienten als Übung für die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs) und damit als Unterstützung für eine möglichst rasche Genesung verstanden. Die Philosophie des Rapid Recovery-Programms folgt der Leitidee, dass sich der Patient so wenig wie möglich alleine im Krankenbett aufhalten soll, da dies oft zu einer sog. „Pyjama Paralyse“ führt. Deswegen findet u.a. eine Mobilisierung bereits am Tag der Operation statt. Die Gruppe aus „Gleichgesinnten“ fördert die Motivation und eine positive Einstellung zur Mobilisierung und Genesung. Auf der anderen Seite findet eine Reduktion der Stimulationsabhängigkeit des Patienten ausschließlich von den primären Leistungserbringern statt.

Die Merkmale des Rapid Recovery-Programms stellen sich wie folgt dar:

Kontinuierliche klinische Verbesserungen

Die Frühmobilisierung der Patienten wird insbesondere durch die Einführung von klinischen Verbesserungen rund um den chirurgischen Eingriff gewährleistet. Hierzu zählen u.a. ein optimiertes Schmerzmanagement, ein Flüssigkeits-, Drainagen- und Kathetermanagement sowie ein spezielles Physiotherapiekonzept. Das Behandlungsteam stellt sich kontinuierlich die Frage, ob die verwendeten Verfahren und Techniken dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung entsprechen oder ob es sich dabei um überholte Traditionen handelt. Als Beispiel ist auf die Anwendung von Wunddrainagen hinzuweisen. Die dazu existierende Evidenz zeigt, dass die Verwendung von Wunddrainagen keinen Zusatznutzen bringt [5]. Trotz dieser Erkenntnis werden Drainagen in Deutschland üblicher Weise eingesetzt.

Im Rahmen der medizinischen Optimierung gilt es stets stringent die Patientenperspektive einzunehmen und die Frage zu beantworten, inwieweit die etablierten Maßnahmen und Prozedere einen evidenten Beitrag für eine rasche postoperative Rekonvaleszenz, z.B. durch geringere Übelkeit oder weniger Schmerzen, leisten.

Evaluation

Zur Sicherung einer kontinuierlichen Verbesserung der Behandlung beinhaltet das Rapid Recovery-Programm die Evaluation der operativen Ergebnisse [22]. Das Programm verfolgt das Ziel, eine hauseigene Evidenz aufzubauen. Anerkannte Funktionalitätscores für die Beurteilung der oberen Extremitäten wie z.B. der Constant Score oder auch der Dash Score werden regelmäßig erfasst. Gleichzeitig werden Schmerztagebücher geführt und die Patientenzufriedenheit zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgewertet. Die dadurch geschaffene hauseigene Evidenz wird zur nachhaltigen Qualitätskontrolle, die dem interdisziplinären Team Transparenz über deren Ergebnisse bei der Behandlung und bei der Entscheidung über Neuerungen im Behandlungsverlauf gibt. Wichtig ist dabei, dass nur innerhalb eines vorher gut organisierten und optimierten Behandlungsprozesses Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge einer medizinischen, pflegerischen oder physiotherapeutischen Veränderung ermittelt werden können. Ohne diese Transparenz bleibt unklar, warum welches Ergebnis bei einem Patienten erzielt worden ist und an welchen Stellschrauben zur weiteren Verbesserung angesetzt werden muss.

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